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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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Examen für die Erlaubniß zum Predigen -- mit ziemlichem Erfolge studirt.
Freilich später auch Philosophie, was manchem Gemüthe als keine Empfehlung
erscheinen wird, bei dem Kirchenrathe aber, dem ich mich vorzustellen hatte,
vermuthlich insofern eine war, als ich, wenn es an das Ausspielen meiner
Karten ging, nach den theologischen Zeugnissen auch mit einem stattlichen
lateinischen Doctor - und Magisterdiplom auftrumpfen konnte.

Wie gescheidt ich mir damals erschien! Und wie "grün" ick) mir jetzt vor¬
komme, wenn ich mein vergilbtes Tagebuch nach diesen Dingen durchblättere!

Um auf das Folgende ganz vorbereitet zu sein, muß man noch wissen,
daß in jener Zeit (abgesehen von den Methodisten und Baptisten) nur die
orthodoxen lutherischen Gemeinden unter den amerikanischen Deutschen eine
Organisation besaßen, die sie unter einer Oberbehörde miteinander verband
und sie und ihre Prediger den unsrigen einigermaßen ähnlich erscheinen ließ.
Die übrigen --- bei Weitem die Mehrzahl -- waren nichts anderes als sich
selbstregierende Clubs oder Casinos, die sich ihren Pastor wählten, wie ein
profanes Casino, eine profane Ressource sich den Castellan wählt. Man baute,
kaufte oder miethete sich eine Kirche, möblirte sie nach Kräften mehr oder
minder elegant und besorgte sich einen Prediger, der nicht ordinirt zu sein,
nicht einmal studirt zu haben brauchte, der in der Regel nach Verlauf eines
Jahres entlassen werden konnte, und der vor Allem die Aufgabe hatte, die
Kirche möglichst voll zu predigen; denn nur durch Vermiethen vieler Stühle
wurden die Kosten gedeckt und wurde vielleicht noch ein profitables Geschäft
gemacht.

Von welchen tausenderlei kleinen Ränken ein solcher abhängiger Seelen¬
hirt umschlichen war, welche Rücksichten auf Geschmack und Laune der Ge¬
meinde er zu nehmen hatte, und was für eine Sorte von Amtsbrüdern er
bei einer so gestalteten Lage der Dinge in nicht seltnen Fällen neben sich sah,
kann der deutsche Leser sich schwerlich auch nur annähernd vorstellen.

Auch ich hatte von diesen Verhältnissen anfangs keine Ahnung, Ich
war eben ein "Grüner". Erst nach und nach, gleichsam tropfenweise, erfuhr
ich, wie die Sache in Wahrheit stand. Aber als ich einmal A gesagt, mußte
ich wohl oder übel B sagen, trotzdem, daß ein Tropfen immer bitterer war
und mir immer mehr Verdruß und Scham zu Gesichte steigen ließ, als der
vorige. Wie ich dann nicht weiter konnte im Alphabet, ließ ich das Weiter¬
buchstabiren eben sein, schüttelte den Staub von meinen Füßen und zog wieder
von dannen. Ich war jetzt nicht mehr "grün," im Gegentheil, ich war --
recht roth geworden.

Und nun wollen wir unsre Geschichte selbst vornehmen, indem wir die
auf sie bezüglichen Stücke aus meinem Tagebuche lösen und mit einander
verbinden.


Examen für die Erlaubniß zum Predigen — mit ziemlichem Erfolge studirt.
Freilich später auch Philosophie, was manchem Gemüthe als keine Empfehlung
erscheinen wird, bei dem Kirchenrathe aber, dem ich mich vorzustellen hatte,
vermuthlich insofern eine war, als ich, wenn es an das Ausspielen meiner
Karten ging, nach den theologischen Zeugnissen auch mit einem stattlichen
lateinischen Doctor - und Magisterdiplom auftrumpfen konnte.

Wie gescheidt ich mir damals erschien! Und wie „grün" ick) mir jetzt vor¬
komme, wenn ich mein vergilbtes Tagebuch nach diesen Dingen durchblättere!

Um auf das Folgende ganz vorbereitet zu sein, muß man noch wissen,
daß in jener Zeit (abgesehen von den Methodisten und Baptisten) nur die
orthodoxen lutherischen Gemeinden unter den amerikanischen Deutschen eine
Organisation besaßen, die sie unter einer Oberbehörde miteinander verband
und sie und ihre Prediger den unsrigen einigermaßen ähnlich erscheinen ließ.
Die übrigen —- bei Weitem die Mehrzahl — waren nichts anderes als sich
selbstregierende Clubs oder Casinos, die sich ihren Pastor wählten, wie ein
profanes Casino, eine profane Ressource sich den Castellan wählt. Man baute,
kaufte oder miethete sich eine Kirche, möblirte sie nach Kräften mehr oder
minder elegant und besorgte sich einen Prediger, der nicht ordinirt zu sein,
nicht einmal studirt zu haben brauchte, der in der Regel nach Verlauf eines
Jahres entlassen werden konnte, und der vor Allem die Aufgabe hatte, die
Kirche möglichst voll zu predigen; denn nur durch Vermiethen vieler Stühle
wurden die Kosten gedeckt und wurde vielleicht noch ein profitables Geschäft
gemacht.

Von welchen tausenderlei kleinen Ränken ein solcher abhängiger Seelen¬
hirt umschlichen war, welche Rücksichten auf Geschmack und Laune der Ge¬
meinde er zu nehmen hatte, und was für eine Sorte von Amtsbrüdern er
bei einer so gestalteten Lage der Dinge in nicht seltnen Fällen neben sich sah,
kann der deutsche Leser sich schwerlich auch nur annähernd vorstellen.

Auch ich hatte von diesen Verhältnissen anfangs keine Ahnung, Ich
war eben ein „Grüner". Erst nach und nach, gleichsam tropfenweise, erfuhr
ich, wie die Sache in Wahrheit stand. Aber als ich einmal A gesagt, mußte
ich wohl oder übel B sagen, trotzdem, daß ein Tropfen immer bitterer war
und mir immer mehr Verdruß und Scham zu Gesichte steigen ließ, als der
vorige. Wie ich dann nicht weiter konnte im Alphabet, ließ ich das Weiter¬
buchstabiren eben sein, schüttelte den Staub von meinen Füßen und zog wieder
von dannen. Ich war jetzt nicht mehr „grün," im Gegentheil, ich war —
recht roth geworden.

Und nun wollen wir unsre Geschichte selbst vornehmen, indem wir die
auf sie bezüglichen Stücke aus meinem Tagebuche lösen und mit einander
verbinden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/23>, abgerufen am 06.02.2025.