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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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der unverheiratheten und die Keuschheit der verheiratheten Familie des Bru¬
ders zu erhalten" und über die Constitution und das Wirken der Loge
Schweigen zu bewahren oder die Strafe zu leiden, daß ihm Arme und Beine
vom Körper abgetrennt werden. Er erhält darauf Licht und Freiheit wieder,
d. h. die Augenbinde und die Fesseln werden ihm abgenommen. Alle Lichter
sind ausgelöscht. Nur ein Feuer brennt im Osten, dahinter sitzt, auf einen
Stock gestützt, der Exmeister und betrachtet ein vor ihm stehendes Gerippe.
Als er den Candidaten erblickt, erhebt er einen Knochen und sagt: "Wer
kommt, meine Betrachtungen zu stören?" Candidat: "Ehrwürdiger Herr, ich
habe das Gerücht von Eurem Studium der verborgenen Wissenschaften gehört
und bitte um Eure Belehrung darin."

Exmeister: "Sterblicher, wie kommst Du ohne Erlaubniß hierher?
Strenge Strafe erwartet alle diejenigen, die sich ungebeten zu mir drängen."

Candidat: "Ich bin auf holprigen Pfaden, durch Wüsten, Gebirge
und dichte Wälder, begleitet von Sturm, Donner und Regen, gleichgültig
gegen äußere Leiden, mit dem Wunsche nach Erkenntniß hierher gereist."

Der Exmeister fragt nun, wer ihn hergebracht. Der Candidat beruft
sich auf eine ermuthigende Stimme, die ihm bei der Wanderung gefolgt sei
Der Exmeister ist damit nicht befriedigt, er macht die Loge darauf aufmerk¬
sam, daß nach ihrem Gebrauch jeder Eindringling sterben müsse, wenn ihm
nicht Gnade ertheilt werde. Der Führer legt nun Fürsprache für den Can¬
didaten ein und empfiehlt ihn als rechtschaffnen Mann, den der Obermeister
zum Ott Fellow erhoben habe.

Exmeister: "Ich habe den Bericht gehört, welcher, verbunden mit der
schlichten Darstellung des Candidaten, zu seinen Gunsten spricht. Exbeamte
und Beamte, was ist Ihr Wunsch?" Antwort: "Zeige Gnade." -- "Unter¬
geordnete Beamte, was ist Ihr Wunsch?" Antwort: Zeige Gnade." --
"Brüder, was ist Ihr Wunsch?" Antwort: "Zeige Gnade."

Der Exmeister läßt sich darauf von dem Candidaten die Hand geben,
weist ihn auf das Gerippe hin, erklärt es ihm als das Emblem der Sterblich¬
keit und Vergänglichkeit alles irdischen Glückes und knüpft daran allerlei
Ermahnungen. Darauf ist der Candidat gehalten, "sich in Ehrfurcht zu
beugen und die Augen zu schließen, während das Gerippe entfernt, die Loge
erleuchtet wird und die bis dahin verlarvten Brüder sich demaskiren. Alle
haben eine ernste Miene anzunehmen." Der Aufseher legt dem Candidaten
jetzt eine Lammfellschürze um, und der Obermeister ertheilt ihm verschiedene
Belehrungen und Ermahnungen. Dann folgen noch einige kleine For¬
malitäten, und darauf wird die Loge geschlossen.

Hiermit beendigte ich mein Studium der Ott Fellow - Literatur -- für
immer. Denn sie macht wirr im Kopfe und gebiert ernste Träume. In


der unverheiratheten und die Keuschheit der verheiratheten Familie des Bru¬
ders zu erhalten" und über die Constitution und das Wirken der Loge
Schweigen zu bewahren oder die Strafe zu leiden, daß ihm Arme und Beine
vom Körper abgetrennt werden. Er erhält darauf Licht und Freiheit wieder,
d. h. die Augenbinde und die Fesseln werden ihm abgenommen. Alle Lichter
sind ausgelöscht. Nur ein Feuer brennt im Osten, dahinter sitzt, auf einen
Stock gestützt, der Exmeister und betrachtet ein vor ihm stehendes Gerippe.
Als er den Candidaten erblickt, erhebt er einen Knochen und sagt: „Wer
kommt, meine Betrachtungen zu stören?" Candidat: „Ehrwürdiger Herr, ich
habe das Gerücht von Eurem Studium der verborgenen Wissenschaften gehört
und bitte um Eure Belehrung darin."

Exmeister: „Sterblicher, wie kommst Du ohne Erlaubniß hierher?
Strenge Strafe erwartet alle diejenigen, die sich ungebeten zu mir drängen."

Candidat: „Ich bin auf holprigen Pfaden, durch Wüsten, Gebirge
und dichte Wälder, begleitet von Sturm, Donner und Regen, gleichgültig
gegen äußere Leiden, mit dem Wunsche nach Erkenntniß hierher gereist."

Der Exmeister fragt nun, wer ihn hergebracht. Der Candidat beruft
sich auf eine ermuthigende Stimme, die ihm bei der Wanderung gefolgt sei
Der Exmeister ist damit nicht befriedigt, er macht die Loge darauf aufmerk¬
sam, daß nach ihrem Gebrauch jeder Eindringling sterben müsse, wenn ihm
nicht Gnade ertheilt werde. Der Führer legt nun Fürsprache für den Can¬
didaten ein und empfiehlt ihn als rechtschaffnen Mann, den der Obermeister
zum Ott Fellow erhoben habe.

Exmeister: „Ich habe den Bericht gehört, welcher, verbunden mit der
schlichten Darstellung des Candidaten, zu seinen Gunsten spricht. Exbeamte
und Beamte, was ist Ihr Wunsch?" Antwort: „Zeige Gnade." — „Unter¬
geordnete Beamte, was ist Ihr Wunsch?" Antwort: Zeige Gnade." —
„Brüder, was ist Ihr Wunsch?" Antwort: „Zeige Gnade."

Der Exmeister läßt sich darauf von dem Candidaten die Hand geben,
weist ihn auf das Gerippe hin, erklärt es ihm als das Emblem der Sterblich¬
keit und Vergänglichkeit alles irdischen Glückes und knüpft daran allerlei
Ermahnungen. Darauf ist der Candidat gehalten, „sich in Ehrfurcht zu
beugen und die Augen zu schließen, während das Gerippe entfernt, die Loge
erleuchtet wird und die bis dahin verlarvten Brüder sich demaskiren. Alle
haben eine ernste Miene anzunehmen." Der Aufseher legt dem Candidaten
jetzt eine Lammfellschürze um, und der Obermeister ertheilt ihm verschiedene
Belehrungen und Ermahnungen. Dann folgen noch einige kleine For¬
malitäten, und darauf wird die Loge geschlossen.

Hiermit beendigte ich mein Studium der Ott Fellow - Literatur — für
immer. Denn sie macht wirr im Kopfe und gebiert ernste Träume. In


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[0222] der unverheiratheten und die Keuschheit der verheiratheten Familie des Bru¬ ders zu erhalten" und über die Constitution und das Wirken der Loge Schweigen zu bewahren oder die Strafe zu leiden, daß ihm Arme und Beine vom Körper abgetrennt werden. Er erhält darauf Licht und Freiheit wieder, d. h. die Augenbinde und die Fesseln werden ihm abgenommen. Alle Lichter sind ausgelöscht. Nur ein Feuer brennt im Osten, dahinter sitzt, auf einen Stock gestützt, der Exmeister und betrachtet ein vor ihm stehendes Gerippe. Als er den Candidaten erblickt, erhebt er einen Knochen und sagt: „Wer kommt, meine Betrachtungen zu stören?" Candidat: „Ehrwürdiger Herr, ich habe das Gerücht von Eurem Studium der verborgenen Wissenschaften gehört und bitte um Eure Belehrung darin." Exmeister: „Sterblicher, wie kommst Du ohne Erlaubniß hierher? Strenge Strafe erwartet alle diejenigen, die sich ungebeten zu mir drängen." Candidat: „Ich bin auf holprigen Pfaden, durch Wüsten, Gebirge und dichte Wälder, begleitet von Sturm, Donner und Regen, gleichgültig gegen äußere Leiden, mit dem Wunsche nach Erkenntniß hierher gereist." Der Exmeister fragt nun, wer ihn hergebracht. Der Candidat beruft sich auf eine ermuthigende Stimme, die ihm bei der Wanderung gefolgt sei Der Exmeister ist damit nicht befriedigt, er macht die Loge darauf aufmerk¬ sam, daß nach ihrem Gebrauch jeder Eindringling sterben müsse, wenn ihm nicht Gnade ertheilt werde. Der Führer legt nun Fürsprache für den Can¬ didaten ein und empfiehlt ihn als rechtschaffnen Mann, den der Obermeister zum Ott Fellow erhoben habe. Exmeister: „Ich habe den Bericht gehört, welcher, verbunden mit der schlichten Darstellung des Candidaten, zu seinen Gunsten spricht. Exbeamte und Beamte, was ist Ihr Wunsch?" Antwort: „Zeige Gnade." — „Unter¬ geordnete Beamte, was ist Ihr Wunsch?" Antwort: Zeige Gnade." — „Brüder, was ist Ihr Wunsch?" Antwort: „Zeige Gnade." Der Exmeister läßt sich darauf von dem Candidaten die Hand geben, weist ihn auf das Gerippe hin, erklärt es ihm als das Emblem der Sterblich¬ keit und Vergänglichkeit alles irdischen Glückes und knüpft daran allerlei Ermahnungen. Darauf ist der Candidat gehalten, „sich in Ehrfurcht zu beugen und die Augen zu schließen, während das Gerippe entfernt, die Loge erleuchtet wird und die bis dahin verlarvten Brüder sich demaskiren. Alle haben eine ernste Miene anzunehmen." Der Aufseher legt dem Candidaten jetzt eine Lammfellschürze um, und der Obermeister ertheilt ihm verschiedene Belehrungen und Ermahnungen. Dann folgen noch einige kleine For¬ malitäten, und darauf wird die Loge geschlossen. Hiermit beendigte ich mein Studium der Ott Fellow - Literatur — für immer. Denn sie macht wirr im Kopfe und gebiert ernste Träume. In

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/222>, abgerufen am 06.02.2025.