Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Segen so reichlich quillt. Indeß brauchen wir nicht zu verzagen. In der
kurzen Zeit von vier Jahren haben sich circa zweitausend deutsche Reichsbür¬
ger um das Banner der Oddfellowship mit seinem erhabenen Fahnenspruche
"Wahrheit. Freundschaft, Liebe" geschaart -- man wird ordentlich angesteckt
von dem Stil des Ordens, wenn man sich viel mit ihm beschäftigt -- und
von den meist großen Städten, in denen bei uns Logen existiren, stellt Berlin
mit seinen 7 Logen zu jener Mitgliederzahl ein Contingent von reichlich einem
Drittel, wobei die Angehörigen der beiden dort bestehenden "Lager" (s. u.)
noch nicht einmal mitgerechnet zu sein scheinen. Nächst Berlin glänzen als
besonders helle Sterne am Himmel der Ott Fellows Hannover und Stutt¬
gart mit je drei Logen und einem Lager. Dann schließt sich Dresden mit
zwei Logen und einem Lager an. Darauf folgt München, bis jetzt blos mit
zwei Logen beglückt, und zuletzt kommen Braunschweig, Bremen, Cassel, Frei¬
burg i. Br., Görlitz, Hildesheim, Leipzig*), Lynden in der Mark, Mannheim,
Nürnberg und Ulm mit vorerst blos einer einzigen. Außerdem aber stehen
Logengründungen in Aussicht zu Hamburg, zu Breslau, zu Spandau und zu
Straßburg im Elsaß.

Erfreuliche Ursachen dieses raschen Wachsthums des Ordens in Deutsch¬
land und seiner weiten Verbreitung überhaupt aufzufinden, habe ich mich ver¬
geblich bemüht. Das neue Oddfellowthum ist allem Anschein nach in seinen
Zwecken das alte. Es trinkt nicht mehr so gewaltig wie jenes, sündigt aber
dafür mehr in Rederausch und Phrasentaumel. Es hat sich ein anderes Ri¬
tual geschaffen, sodaß es jetzt in dieser Beziehung weniger wie eine schlechte
Photographie der Maurerei aussieht als früher, ist damit aber nur schaler.
Prosaischer und wässeriger geworden. Es glaubt an die alten Fabeln nicht
mehr, die den Ursprung der Gesellschaft in das Paradies, unter die Gefange¬
nen Babels oder unter römische Soldaten verlegten, und das ist ein kleiner
Fortschritt. Es will sich der "Humanität" befleißigen, soll heißen, der Wohl¬
thätigkeit, aber diese Wohlthätigkeit bezieht sich, wenn wir den guten Leuten
genauer auf die Finger sehen, lediglich auf die Angehörigen des Ordens, die
zu Gegenleistungen verpflichtet sind, und so ist sie eben keine Wohlthätigkeit,
sondern nur ein Wohlthatenaustausch, ein Geschäft ohne moralischen Charak¬
ter, während die Freimaurer in ihrem Sorgen auch für die Noth der profa¬
nen Welt wenigstens eine Seite ihrer Existenz aufzuweisen haben, welche diese
Welt loben kann.

In diesen Dingen war also keine Erklärung der Anziehungskraft zu fin¬
den, welche die Ott Fellows auch auf die Deutschen ausüben. Das Geheim-



") Die Leipziger Loge, erst vor Kurzem gegründet, da Pniower sie 1874 noch nicht an¬
führt, nennt sich "Lipsia-Loge Ur. 3", hält ihre Versammlungen Ecke der Emilien - und
Zeitzerstraße jeden Dienstag und hat zum Vorstand -- O. M. - Herrn Carl Francke.

Segen so reichlich quillt. Indeß brauchen wir nicht zu verzagen. In der
kurzen Zeit von vier Jahren haben sich circa zweitausend deutsche Reichsbür¬
ger um das Banner der Oddfellowship mit seinem erhabenen Fahnenspruche
„Wahrheit. Freundschaft, Liebe" geschaart — man wird ordentlich angesteckt
von dem Stil des Ordens, wenn man sich viel mit ihm beschäftigt — und
von den meist großen Städten, in denen bei uns Logen existiren, stellt Berlin
mit seinen 7 Logen zu jener Mitgliederzahl ein Contingent von reichlich einem
Drittel, wobei die Angehörigen der beiden dort bestehenden „Lager" (s. u.)
noch nicht einmal mitgerechnet zu sein scheinen. Nächst Berlin glänzen als
besonders helle Sterne am Himmel der Ott Fellows Hannover und Stutt¬
gart mit je drei Logen und einem Lager. Dann schließt sich Dresden mit
zwei Logen und einem Lager an. Darauf folgt München, bis jetzt blos mit
zwei Logen beglückt, und zuletzt kommen Braunschweig, Bremen, Cassel, Frei¬
burg i. Br., Görlitz, Hildesheim, Leipzig*), Lynden in der Mark, Mannheim,
Nürnberg und Ulm mit vorerst blos einer einzigen. Außerdem aber stehen
Logengründungen in Aussicht zu Hamburg, zu Breslau, zu Spandau und zu
Straßburg im Elsaß.

Erfreuliche Ursachen dieses raschen Wachsthums des Ordens in Deutsch¬
land und seiner weiten Verbreitung überhaupt aufzufinden, habe ich mich ver¬
geblich bemüht. Das neue Oddfellowthum ist allem Anschein nach in seinen
Zwecken das alte. Es trinkt nicht mehr so gewaltig wie jenes, sündigt aber
dafür mehr in Rederausch und Phrasentaumel. Es hat sich ein anderes Ri¬
tual geschaffen, sodaß es jetzt in dieser Beziehung weniger wie eine schlechte
Photographie der Maurerei aussieht als früher, ist damit aber nur schaler.
Prosaischer und wässeriger geworden. Es glaubt an die alten Fabeln nicht
mehr, die den Ursprung der Gesellschaft in das Paradies, unter die Gefange¬
nen Babels oder unter römische Soldaten verlegten, und das ist ein kleiner
Fortschritt. Es will sich der „Humanität" befleißigen, soll heißen, der Wohl¬
thätigkeit, aber diese Wohlthätigkeit bezieht sich, wenn wir den guten Leuten
genauer auf die Finger sehen, lediglich auf die Angehörigen des Ordens, die
zu Gegenleistungen verpflichtet sind, und so ist sie eben keine Wohlthätigkeit,
sondern nur ein Wohlthatenaustausch, ein Geschäft ohne moralischen Charak¬
ter, während die Freimaurer in ihrem Sorgen auch für die Noth der profa¬
nen Welt wenigstens eine Seite ihrer Existenz aufzuweisen haben, welche diese
Welt loben kann.

In diesen Dingen war also keine Erklärung der Anziehungskraft zu fin¬
den, welche die Ott Fellows auch auf die Deutschen ausüben. Das Geheim-



") Die Leipziger Loge, erst vor Kurzem gegründet, da Pniower sie 1874 noch nicht an¬
führt, nennt sich „Lipsia-Loge Ur. 3", hält ihre Versammlungen Ecke der Emilien - und
Zeitzerstraße jeden Dienstag und hat zum Vorstand — O. M. - Herrn Carl Francke.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0215" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133503"/>
          <p xml:id="ID_700" prev="#ID_699"> Segen so reichlich quillt. Indeß brauchen wir nicht zu verzagen. In der<lb/>
kurzen Zeit von vier Jahren haben sich circa zweitausend deutsche Reichsbür¬<lb/>
ger um das Banner der Oddfellowship mit seinem erhabenen Fahnenspruche<lb/>
&#x201E;Wahrheit. Freundschaft, Liebe" geschaart &#x2014; man wird ordentlich angesteckt<lb/>
von dem Stil des Ordens, wenn man sich viel mit ihm beschäftigt &#x2014; und<lb/>
von den meist großen Städten, in denen bei uns Logen existiren, stellt Berlin<lb/>
mit seinen 7 Logen zu jener Mitgliederzahl ein Contingent von reichlich einem<lb/>
Drittel, wobei die Angehörigen der beiden dort bestehenden &#x201E;Lager" (s. u.)<lb/>
noch nicht einmal mitgerechnet zu sein scheinen. Nächst Berlin glänzen als<lb/>
besonders helle Sterne am Himmel der Ott Fellows Hannover und Stutt¬<lb/>
gart mit je drei Logen und einem Lager. Dann schließt sich Dresden mit<lb/>
zwei Logen und einem Lager an. Darauf folgt München, bis jetzt blos mit<lb/>
zwei Logen beglückt, und zuletzt kommen Braunschweig, Bremen, Cassel, Frei¬<lb/>
burg i. Br., Görlitz, Hildesheim, Leipzig*), Lynden in der Mark, Mannheim,<lb/>
Nürnberg und Ulm mit vorerst blos einer einzigen. Außerdem aber stehen<lb/>
Logengründungen in Aussicht zu Hamburg, zu Breslau, zu Spandau und zu<lb/>
Straßburg im Elsaß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_701"> Erfreuliche Ursachen dieses raschen Wachsthums des Ordens in Deutsch¬<lb/>
land und seiner weiten Verbreitung überhaupt aufzufinden, habe ich mich ver¬<lb/>
geblich bemüht. Das neue Oddfellowthum ist allem Anschein nach in seinen<lb/>
Zwecken das alte. Es trinkt nicht mehr so gewaltig wie jenes, sündigt aber<lb/>
dafür mehr in Rederausch und Phrasentaumel. Es hat sich ein anderes Ri¬<lb/>
tual geschaffen, sodaß es jetzt in dieser Beziehung weniger wie eine schlechte<lb/>
Photographie der Maurerei aussieht als früher, ist damit aber nur schaler.<lb/>
Prosaischer und wässeriger geworden. Es glaubt an die alten Fabeln nicht<lb/>
mehr, die den Ursprung der Gesellschaft in das Paradies, unter die Gefange¬<lb/>
nen Babels oder unter römische Soldaten verlegten, und das ist ein kleiner<lb/>
Fortschritt. Es will sich der &#x201E;Humanität" befleißigen, soll heißen, der Wohl¬<lb/>
thätigkeit, aber diese Wohlthätigkeit bezieht sich, wenn wir den guten Leuten<lb/>
genauer auf die Finger sehen, lediglich auf die Angehörigen des Ordens, die<lb/>
zu Gegenleistungen verpflichtet sind, und so ist sie eben keine Wohlthätigkeit,<lb/>
sondern nur ein Wohlthatenaustausch, ein Geschäft ohne moralischen Charak¬<lb/>
ter, während die Freimaurer in ihrem Sorgen auch für die Noth der profa¬<lb/>
nen Welt wenigstens eine Seite ihrer Existenz aufzuweisen haben, welche diese<lb/>
Welt loben kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_702" next="#ID_703"> In diesen Dingen war also keine Erklärung der Anziehungskraft zu fin¬<lb/>
den, welche die Ott Fellows auch auf die Deutschen ausüben. Das Geheim-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_25" place="foot"> ") Die Leipziger Loge, erst vor Kurzem gegründet, da Pniower sie 1874 noch nicht an¬<lb/>
führt, nennt sich &#x201E;Lipsia-Loge Ur. 3", hält ihre Versammlungen Ecke der Emilien - und<lb/>
Zeitzerstraße jeden Dienstag und hat zum Vorstand &#x2014; O. M. - Herrn Carl Francke.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0215] Segen so reichlich quillt. Indeß brauchen wir nicht zu verzagen. In der kurzen Zeit von vier Jahren haben sich circa zweitausend deutsche Reichsbür¬ ger um das Banner der Oddfellowship mit seinem erhabenen Fahnenspruche „Wahrheit. Freundschaft, Liebe" geschaart — man wird ordentlich angesteckt von dem Stil des Ordens, wenn man sich viel mit ihm beschäftigt — und von den meist großen Städten, in denen bei uns Logen existiren, stellt Berlin mit seinen 7 Logen zu jener Mitgliederzahl ein Contingent von reichlich einem Drittel, wobei die Angehörigen der beiden dort bestehenden „Lager" (s. u.) noch nicht einmal mitgerechnet zu sein scheinen. Nächst Berlin glänzen als besonders helle Sterne am Himmel der Ott Fellows Hannover und Stutt¬ gart mit je drei Logen und einem Lager. Dann schließt sich Dresden mit zwei Logen und einem Lager an. Darauf folgt München, bis jetzt blos mit zwei Logen beglückt, und zuletzt kommen Braunschweig, Bremen, Cassel, Frei¬ burg i. Br., Görlitz, Hildesheim, Leipzig*), Lynden in der Mark, Mannheim, Nürnberg und Ulm mit vorerst blos einer einzigen. Außerdem aber stehen Logengründungen in Aussicht zu Hamburg, zu Breslau, zu Spandau und zu Straßburg im Elsaß. Erfreuliche Ursachen dieses raschen Wachsthums des Ordens in Deutsch¬ land und seiner weiten Verbreitung überhaupt aufzufinden, habe ich mich ver¬ geblich bemüht. Das neue Oddfellowthum ist allem Anschein nach in seinen Zwecken das alte. Es trinkt nicht mehr so gewaltig wie jenes, sündigt aber dafür mehr in Rederausch und Phrasentaumel. Es hat sich ein anderes Ri¬ tual geschaffen, sodaß es jetzt in dieser Beziehung weniger wie eine schlechte Photographie der Maurerei aussieht als früher, ist damit aber nur schaler. Prosaischer und wässeriger geworden. Es glaubt an die alten Fabeln nicht mehr, die den Ursprung der Gesellschaft in das Paradies, unter die Gefange¬ nen Babels oder unter römische Soldaten verlegten, und das ist ein kleiner Fortschritt. Es will sich der „Humanität" befleißigen, soll heißen, der Wohl¬ thätigkeit, aber diese Wohlthätigkeit bezieht sich, wenn wir den guten Leuten genauer auf die Finger sehen, lediglich auf die Angehörigen des Ordens, die zu Gegenleistungen verpflichtet sind, und so ist sie eben keine Wohlthätigkeit, sondern nur ein Wohlthatenaustausch, ein Geschäft ohne moralischen Charak¬ ter, während die Freimaurer in ihrem Sorgen auch für die Noth der profa¬ nen Welt wenigstens eine Seite ihrer Existenz aufzuweisen haben, welche diese Welt loben kann. In diesen Dingen war also keine Erklärung der Anziehungskraft zu fin¬ den, welche die Ott Fellows auch auf die Deutschen ausüben. Das Geheim- ") Die Leipziger Loge, erst vor Kurzem gegründet, da Pniower sie 1874 noch nicht an¬ führt, nennt sich „Lipsia-Loge Ur. 3", hält ihre Versammlungen Ecke der Emilien - und Zeitzerstraße jeden Dienstag und hat zum Vorstand — O. M. - Herrn Carl Francke.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/215
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/215>, abgerufen am 06.02.2025.