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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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succesive Zunahme an Inhalt, Werth, Bewußtheit des Wollens, ist nur
eine Veränderung der Quantität, der Objekte, der Intensität, aber kein
Uebergehen in eine andre Wirkungsart. Das bunteste und einfachste Wollen
wäre hiernach das im Atom eines sogenannten chemischen Stoffs anzuneh¬
mende, wobei natürlich nicht an das gedacht werden darf, was wir "freien"
Willen nennen, sondern an eine gänzlich wahllose zweckthätige Kraftäußerung,
welche nur das Einfache, was hier im Wesen liegt, wollen kann, und in
jedem Momente auf bestimmte Weise, nach der Nothwendigkeit seines Wesens
und der Einwirkungen andrer Wesen, wollen muß. Die Gewohnheit, an
der wir Alle noch leiden, die Gewohnheit, abwärts auf die Pflanzenwelt oder
auf die Welt der Elementarorganismen das Reich des Unorganischen folgen
zu lassen, ist ohne allen Grund. Vielmehr ist der Krystall nur eine noch
niedrere Stufe des Lebendigen, und endlich kommen wir bei dem Weltkör¬
per und bei den Weltsystemen an, welche beide, sofern hier nur von dem
Gestirn, nicht auch von den Bewohnern, die Rede ist, wohl als die niedrigste
Stufe von Organismen, aber nicht als das Unorganische anzusehen sein wür¬
den. Die Erde zeigt uns sogar die Gestalt und Einteilung einer colossalen
Zelle, mit Membran, mit halbflüssigen Inhalte, und von anderen Welt¬
körpern nehmen wir das Gleiche an. Die Willensthätigkeit wäre bei diesen
niedersten Organismen herabgesetzt auf die Gravitation. Niemals hat die
Physik sagen können, was eigentlich die Gravitation sei. Sie ist der Grund
alles Mechanischen ; aber ist dieser Grund selbst mechanischer Natur? Der
Raum ist frei: wir dürfen diese innerste Wesenseigenthümlichkeit der soge¬
nannten Materie als eine Willensart, eine Zwecksetzung auffassen. Spricht
nicht auch die naturwissenschaftlich so unanfechtbare Herbartische Lehre von
der Selbsterhaltung ihrer Realen, also von einem Zwecke, den sie
sich setzen?

So vereinigt der Urnebel Kant's und Laplace's Atome von unendlich
bestimmbarer höherer Anlage, die zunächst nur durch die einfachste Zweckthä¬
tigkeit der gegenseitigen Anziehung an einander gebunden sind, und so zunächst
nur Organismen niedrigster Stufe, Weltkörpersysteme, erzeugen. Aber sie
sind kraft ihrer höheren Anlage dazu bestimmt, in fortschreitender Erhellung
und Erweiterung ihres Innern sich emporzuheben bis zu Willensthätigkeiten
höchster Art, und so auch Organismen höherer Art aus sich zu bilden, bis zu
denkenden unsterblichen Wesen hinauf.

Allein, wir dürfen als Philosophen nicht stehen bleiben bei dem auch
noch so innerlich vertieften Gasballe. Die höchste Ursache, also das Unbe¬
dingte, kann nur Eines sein, keine zersplitterte Vielheit. Das eine Urwesen
muß die Anlage zu sämmtlichen Zweckthätigkeiten in sich tragen, von den nie¬
dersten zu den höchsten, und es muß die Reihenfolge ihrer Entfaltung sich


succesive Zunahme an Inhalt, Werth, Bewußtheit des Wollens, ist nur
eine Veränderung der Quantität, der Objekte, der Intensität, aber kein
Uebergehen in eine andre Wirkungsart. Das bunteste und einfachste Wollen
wäre hiernach das im Atom eines sogenannten chemischen Stoffs anzuneh¬
mende, wobei natürlich nicht an das gedacht werden darf, was wir „freien"
Willen nennen, sondern an eine gänzlich wahllose zweckthätige Kraftäußerung,
welche nur das Einfache, was hier im Wesen liegt, wollen kann, und in
jedem Momente auf bestimmte Weise, nach der Nothwendigkeit seines Wesens
und der Einwirkungen andrer Wesen, wollen muß. Die Gewohnheit, an
der wir Alle noch leiden, die Gewohnheit, abwärts auf die Pflanzenwelt oder
auf die Welt der Elementarorganismen das Reich des Unorganischen folgen
zu lassen, ist ohne allen Grund. Vielmehr ist der Krystall nur eine noch
niedrere Stufe des Lebendigen, und endlich kommen wir bei dem Weltkör¬
per und bei den Weltsystemen an, welche beide, sofern hier nur von dem
Gestirn, nicht auch von den Bewohnern, die Rede ist, wohl als die niedrigste
Stufe von Organismen, aber nicht als das Unorganische anzusehen sein wür¬
den. Die Erde zeigt uns sogar die Gestalt und Einteilung einer colossalen
Zelle, mit Membran, mit halbflüssigen Inhalte, und von anderen Welt¬
körpern nehmen wir das Gleiche an. Die Willensthätigkeit wäre bei diesen
niedersten Organismen herabgesetzt auf die Gravitation. Niemals hat die
Physik sagen können, was eigentlich die Gravitation sei. Sie ist der Grund
alles Mechanischen ; aber ist dieser Grund selbst mechanischer Natur? Der
Raum ist frei: wir dürfen diese innerste Wesenseigenthümlichkeit der soge¬
nannten Materie als eine Willensart, eine Zwecksetzung auffassen. Spricht
nicht auch die naturwissenschaftlich so unanfechtbare Herbartische Lehre von
der Selbsterhaltung ihrer Realen, also von einem Zwecke, den sie
sich setzen?

So vereinigt der Urnebel Kant's und Laplace's Atome von unendlich
bestimmbarer höherer Anlage, die zunächst nur durch die einfachste Zweckthä¬
tigkeit der gegenseitigen Anziehung an einander gebunden sind, und so zunächst
nur Organismen niedrigster Stufe, Weltkörpersysteme, erzeugen. Aber sie
sind kraft ihrer höheren Anlage dazu bestimmt, in fortschreitender Erhellung
und Erweiterung ihres Innern sich emporzuheben bis zu Willensthätigkeiten
höchster Art, und so auch Organismen höherer Art aus sich zu bilden, bis zu
denkenden unsterblichen Wesen hinauf.

Allein, wir dürfen als Philosophen nicht stehen bleiben bei dem auch
noch so innerlich vertieften Gasballe. Die höchste Ursache, also das Unbe¬
dingte, kann nur Eines sein, keine zersplitterte Vielheit. Das eine Urwesen
muß die Anlage zu sämmtlichen Zweckthätigkeiten in sich tragen, von den nie¬
dersten zu den höchsten, und es muß die Reihenfolge ihrer Entfaltung sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/20>, abgerufen am 06.02.2025.