Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nisch, erklärbar sein müßten. Freilich, sagt man, will der Commandant die
Bewegung seiner Mannschaften; aber sein Wollen ist auch nur eine Molecu-
larbewegung der Hirnatome: diese Bewegung wirkt als mechanische Arbeits¬
kraft auf die' Sprechmuskeln, das Commandowort ertönt, seine Schallwellen
sind eine mechanische Arbeitskraft im Gehirne des Soldaten, durch welche
wieder dessen Muskelbewegungen ausgelöst werden, die sodann glücklicher Weise
so ausfallen, wie das Commandowort aussagte. Wie mögen Schallwellen
so große Dinge thun und so gut sich auf die Sprache des Commandos ver¬
stehen? Oder sind etwa deutsche Gehirne auf die Schallwellen deutscher Laute
so schön eingerichtet? Von wem? Giebt es für die mechanische Ansicht den
Ausweg eines intelligenten Ordners, der solche Harmonie prästabilirt hätte?
Wir werden wohl nicht irren, wenn wir annehmen, daß das Commando
nicht als physikalische Schallwelle auf das Gehirn wirkt, sondern durch seine
Bedeutung, seinen Inhalt, welcher dem Soldaten einen Zweck vor¬
schreibt, zu welchem er die Mittel ergreift, nämlich die ihm dafür einge¬
übten Bewegungen.

Die Willensthätigkeiten der Menschen zeigen uns, daß es zweckthätige
Ursachen in der Welt giebt. Soll nun der Monismus gerettet werden, so
bleibt Nichts übrig, als alle Ursachen in der Welt für zweckthätige, willens¬
artige zu halten, selbst die sogenannten mechanischen in der sogenannten Kör¬
perwelt. Welche Kühnheit! Aber die heutige Naturwissenschaft unterstützt
uns darin gar sehr. Sie läßt den Menschen abstammen, sammt der ganzen
Thierwelt und Pflanzenwelt, aus jenen einfachsten Plasmazellen des Urmecres,
welche ihrerseits wieder aus den Atomen der chemischen Elemente sich zu¬
sammensetzten. Ist nun der Mensch ein zweckthätiges Wesen, kann aber
Gleichartiges nur von Gleichartigen abstammen, so muß auch die ganze Reihe
unsrer Vorfahren bis zum Häckel'schen Moner und darüber hinaus dasselbe
Wesen aufweisen mit dem Menschen, also entweder selbst zweckthätig wirkendes
Wesen, oder doch ein Wesen, welches in Bezug auf die Zweckthätigkeit alle
die später entwickelten Anlagen in sich einschließt, keineswegs aber einen un¬
vereinbarer Gegensatz dazu in sich trägt. Die Forderung des Monismus
gebietet uns, dies dahin zu steigern, daß hiernach eine andre als ideologische
Causalität nirgends möglich ist.

Offenbar verdunkelt und verengt sich die Zwecksetzung oder das Wollen,
je weiter wir vom Menschen aus abwärts gehen. Aber sie verdunkelt und
verengt sich schon innerhalb der Menschenwelt selbst, je weiter wir von den
leitenden Genien der Weltgeschichte abwärts steigen zu den niedrigsten Cul¬
turgraden; und ebenso verdunkelt und verengt sich die Zweckthätigkeit, je
weiter wir abwärts steigen vom Alter der Vollreife zu dem Zustande vor
der Geburt. Diese successive Abnahme, oder, in der umgekehrten Ordnung,


nisch, erklärbar sein müßten. Freilich, sagt man, will der Commandant die
Bewegung seiner Mannschaften; aber sein Wollen ist auch nur eine Molecu-
larbewegung der Hirnatome: diese Bewegung wirkt als mechanische Arbeits¬
kraft auf die' Sprechmuskeln, das Commandowort ertönt, seine Schallwellen
sind eine mechanische Arbeitskraft im Gehirne des Soldaten, durch welche
wieder dessen Muskelbewegungen ausgelöst werden, die sodann glücklicher Weise
so ausfallen, wie das Commandowort aussagte. Wie mögen Schallwellen
so große Dinge thun und so gut sich auf die Sprache des Commandos ver¬
stehen? Oder sind etwa deutsche Gehirne auf die Schallwellen deutscher Laute
so schön eingerichtet? Von wem? Giebt es für die mechanische Ansicht den
Ausweg eines intelligenten Ordners, der solche Harmonie prästabilirt hätte?
Wir werden wohl nicht irren, wenn wir annehmen, daß das Commando
nicht als physikalische Schallwelle auf das Gehirn wirkt, sondern durch seine
Bedeutung, seinen Inhalt, welcher dem Soldaten einen Zweck vor¬
schreibt, zu welchem er die Mittel ergreift, nämlich die ihm dafür einge¬
übten Bewegungen.

Die Willensthätigkeiten der Menschen zeigen uns, daß es zweckthätige
Ursachen in der Welt giebt. Soll nun der Monismus gerettet werden, so
bleibt Nichts übrig, als alle Ursachen in der Welt für zweckthätige, willens¬
artige zu halten, selbst die sogenannten mechanischen in der sogenannten Kör¬
perwelt. Welche Kühnheit! Aber die heutige Naturwissenschaft unterstützt
uns darin gar sehr. Sie läßt den Menschen abstammen, sammt der ganzen
Thierwelt und Pflanzenwelt, aus jenen einfachsten Plasmazellen des Urmecres,
welche ihrerseits wieder aus den Atomen der chemischen Elemente sich zu¬
sammensetzten. Ist nun der Mensch ein zweckthätiges Wesen, kann aber
Gleichartiges nur von Gleichartigen abstammen, so muß auch die ganze Reihe
unsrer Vorfahren bis zum Häckel'schen Moner und darüber hinaus dasselbe
Wesen aufweisen mit dem Menschen, also entweder selbst zweckthätig wirkendes
Wesen, oder doch ein Wesen, welches in Bezug auf die Zweckthätigkeit alle
die später entwickelten Anlagen in sich einschließt, keineswegs aber einen un¬
vereinbarer Gegensatz dazu in sich trägt. Die Forderung des Monismus
gebietet uns, dies dahin zu steigern, daß hiernach eine andre als ideologische
Causalität nirgends möglich ist.

Offenbar verdunkelt und verengt sich die Zwecksetzung oder das Wollen,
je weiter wir vom Menschen aus abwärts gehen. Aber sie verdunkelt und
verengt sich schon innerhalb der Menschenwelt selbst, je weiter wir von den
leitenden Genien der Weltgeschichte abwärts steigen zu den niedrigsten Cul¬
turgraden; und ebenso verdunkelt und verengt sich die Zweckthätigkeit, je
weiter wir abwärts steigen vom Alter der Vollreife zu dem Zustande vor
der Geburt. Diese successive Abnahme, oder, in der umgekehrten Ordnung,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0019" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133307"/>
          <p xml:id="ID_41" prev="#ID_40"> nisch, erklärbar sein müßten. Freilich, sagt man, will der Commandant die<lb/>
Bewegung seiner Mannschaften; aber sein Wollen ist auch nur eine Molecu-<lb/>
larbewegung der Hirnatome: diese Bewegung wirkt als mechanische Arbeits¬<lb/>
kraft auf die' Sprechmuskeln, das Commandowort ertönt, seine Schallwellen<lb/>
sind eine mechanische Arbeitskraft im Gehirne des Soldaten, durch welche<lb/>
wieder dessen Muskelbewegungen ausgelöst werden, die sodann glücklicher Weise<lb/>
so ausfallen, wie das Commandowort aussagte. Wie mögen Schallwellen<lb/>
so große Dinge thun und so gut sich auf die Sprache des Commandos ver¬<lb/>
stehen? Oder sind etwa deutsche Gehirne auf die Schallwellen deutscher Laute<lb/>
so schön eingerichtet? Von wem? Giebt es für die mechanische Ansicht den<lb/>
Ausweg eines intelligenten Ordners, der solche Harmonie prästabilirt hätte?<lb/>
Wir werden wohl nicht irren, wenn wir annehmen, daß das Commando<lb/>
nicht als physikalische Schallwelle auf das Gehirn wirkt, sondern durch seine<lb/>
Bedeutung, seinen Inhalt, welcher dem Soldaten einen Zweck vor¬<lb/>
schreibt, zu welchem er die Mittel ergreift, nämlich die ihm dafür einge¬<lb/>
übten Bewegungen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_42"> Die Willensthätigkeiten der Menschen zeigen uns, daß es zweckthätige<lb/>
Ursachen in der Welt giebt. Soll nun der Monismus gerettet werden, so<lb/>
bleibt Nichts übrig, als alle Ursachen in der Welt für zweckthätige, willens¬<lb/>
artige zu halten, selbst die sogenannten mechanischen in der sogenannten Kör¬<lb/>
perwelt. Welche Kühnheit! Aber die heutige Naturwissenschaft unterstützt<lb/>
uns darin gar sehr. Sie läßt den Menschen abstammen, sammt der ganzen<lb/>
Thierwelt und Pflanzenwelt, aus jenen einfachsten Plasmazellen des Urmecres,<lb/>
welche ihrerseits wieder aus den Atomen der chemischen Elemente sich zu¬<lb/>
sammensetzten. Ist nun der Mensch ein zweckthätiges Wesen, kann aber<lb/>
Gleichartiges nur von Gleichartigen abstammen, so muß auch die ganze Reihe<lb/>
unsrer Vorfahren bis zum Häckel'schen Moner und darüber hinaus dasselbe<lb/>
Wesen aufweisen mit dem Menschen, also entweder selbst zweckthätig wirkendes<lb/>
Wesen, oder doch ein Wesen, welches in Bezug auf die Zweckthätigkeit alle<lb/>
die später entwickelten Anlagen in sich einschließt, keineswegs aber einen un¬<lb/>
vereinbarer Gegensatz dazu in sich trägt. Die Forderung des Monismus<lb/>
gebietet uns, dies dahin zu steigern, daß hiernach eine andre als ideologische<lb/>
Causalität nirgends möglich ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_43" next="#ID_44"> Offenbar verdunkelt und verengt sich die Zwecksetzung oder das Wollen,<lb/>
je weiter wir vom Menschen aus abwärts gehen. Aber sie verdunkelt und<lb/>
verengt sich schon innerhalb der Menschenwelt selbst, je weiter wir von den<lb/>
leitenden Genien der Weltgeschichte abwärts steigen zu den niedrigsten Cul¬<lb/>
turgraden; und ebenso verdunkelt und verengt sich die Zweckthätigkeit, je<lb/>
weiter wir abwärts steigen vom Alter der Vollreife zu dem Zustande vor<lb/>
der Geburt. Diese successive Abnahme, oder, in der umgekehrten Ordnung,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0019] nisch, erklärbar sein müßten. Freilich, sagt man, will der Commandant die Bewegung seiner Mannschaften; aber sein Wollen ist auch nur eine Molecu- larbewegung der Hirnatome: diese Bewegung wirkt als mechanische Arbeits¬ kraft auf die' Sprechmuskeln, das Commandowort ertönt, seine Schallwellen sind eine mechanische Arbeitskraft im Gehirne des Soldaten, durch welche wieder dessen Muskelbewegungen ausgelöst werden, die sodann glücklicher Weise so ausfallen, wie das Commandowort aussagte. Wie mögen Schallwellen so große Dinge thun und so gut sich auf die Sprache des Commandos ver¬ stehen? Oder sind etwa deutsche Gehirne auf die Schallwellen deutscher Laute so schön eingerichtet? Von wem? Giebt es für die mechanische Ansicht den Ausweg eines intelligenten Ordners, der solche Harmonie prästabilirt hätte? Wir werden wohl nicht irren, wenn wir annehmen, daß das Commando nicht als physikalische Schallwelle auf das Gehirn wirkt, sondern durch seine Bedeutung, seinen Inhalt, welcher dem Soldaten einen Zweck vor¬ schreibt, zu welchem er die Mittel ergreift, nämlich die ihm dafür einge¬ übten Bewegungen. Die Willensthätigkeiten der Menschen zeigen uns, daß es zweckthätige Ursachen in der Welt giebt. Soll nun der Monismus gerettet werden, so bleibt Nichts übrig, als alle Ursachen in der Welt für zweckthätige, willens¬ artige zu halten, selbst die sogenannten mechanischen in der sogenannten Kör¬ perwelt. Welche Kühnheit! Aber die heutige Naturwissenschaft unterstützt uns darin gar sehr. Sie läßt den Menschen abstammen, sammt der ganzen Thierwelt und Pflanzenwelt, aus jenen einfachsten Plasmazellen des Urmecres, welche ihrerseits wieder aus den Atomen der chemischen Elemente sich zu¬ sammensetzten. Ist nun der Mensch ein zweckthätiges Wesen, kann aber Gleichartiges nur von Gleichartigen abstammen, so muß auch die ganze Reihe unsrer Vorfahren bis zum Häckel'schen Moner und darüber hinaus dasselbe Wesen aufweisen mit dem Menschen, also entweder selbst zweckthätig wirkendes Wesen, oder doch ein Wesen, welches in Bezug auf die Zweckthätigkeit alle die später entwickelten Anlagen in sich einschließt, keineswegs aber einen un¬ vereinbarer Gegensatz dazu in sich trägt. Die Forderung des Monismus gebietet uns, dies dahin zu steigern, daß hiernach eine andre als ideologische Causalität nirgends möglich ist. Offenbar verdunkelt und verengt sich die Zwecksetzung oder das Wollen, je weiter wir vom Menschen aus abwärts gehen. Aber sie verdunkelt und verengt sich schon innerhalb der Menschenwelt selbst, je weiter wir von den leitenden Genien der Weltgeschichte abwärts steigen zu den niedrigsten Cul¬ turgraden; und ebenso verdunkelt und verengt sich die Zweckthätigkeit, je weiter wir abwärts steigen vom Alter der Vollreife zu dem Zustande vor der Geburt. Diese successive Abnahme, oder, in der umgekehrten Ordnung,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/19
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/19>, abgerufen am 06.02.2025.