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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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von ihrer Volkstümlichkeit, von der Religion ihrer Väter und ihren socialen
Ordnungen, für welche sie im Laufe von Jahrhunderten so manches blutige
Opfer gebracht hatten, -- oder die Lockungen der lateinischen Propagandisten
von sich zu stoßen, zurückzukehren in den Schooß der orthodoxen Kirche, von
welchem sie einst unter Gewalt, Verfolgung und unerträglichen Martern ab¬
gelöst worden waren.

Die Union entstand unter der Herrschaft der Polen und der Jesuiten.
Konnte dieselbe nun im natürlichen Laufe der Dinge sich auch noch jetzt be¬
haupten, da die blutige Herrschaft des polnischen Adels über die russische Be¬
völkerung längst geschwunden ist, -- jetzt da die Vorsehung für diese Bevöl¬
kerung einen kräftigen Beschützer und Befreier -- nach eigener Aussage der
Unirten in dem "weißen Czaren" ihnen bereitet hat?

Wenn die Unirten irgend je in ihrem Rechte waren, das lateinische Joch
abzuschütteln, so sind sie es um so mehr jetzt, bei der gegenwärtigen Lage der
römischen Kirche. In der letzten Zeit, namentlich unter Pius IX. wurden
der Kirche Vorschriften und Dogmen auferlegt, die weit entfernt sind von den
Beschlüssen der alten apostolischen Kirche. Das hat selbst Spaltungen in der
römischen Kirche hervorgerufen. Das Breve Pius' IX. "0minzm ZollieituÄinkm"
erlassen am 13. Mai 1874, behufs Aufmunterung der Griechisch-Unirten zum
engeren Anschluß an die Bekenner der römisch-katholischen Kirche, ist in einem
solchen Tone gehalten und in so scharfen Ausdrücken abgefaßt, daß es selbst
nach dem Urtheile der ausländischen Presse nicht ohne Einfluß auf die Wie¬
dervereinigung der Unirten mit der orthodoxen Kirche bleiben konnte. Dieses
Breve, in Lemberg polnisch gedruckt, wurde in sehr zahlreichen Exemplaren
unter der unirten Bevölkerung der Diöcese Chelm im Königreich Polen ver¬
breitet. Mit der Einführung dieses Breve, sowie auch anderer aufwiegelnder
Brochüren, befaßten sich zwei unirte Priester Siniewicz. der gewesene Vorsteher
der Pfarrei Swory und Bojarski, gewesener Vorsteher der Radyner Pfarrei.
Beide waren im Jahre 1872 aus Rußland nach Galizien verwiesen worden.
Als Bauern verkleidet, kehrten sie heimlich nach Rußland zurück und durch¬
streiften die Gouvernements Ludim und siebten. In der Nähe von Micd-
zyrzee versammelten sie in einem Walde die Bauern, fanatisirten sie durch
Reden, verlasen und erklärten das päpstliche Breve, vertheilten unwahre und
aufregende Pamphlete und zwangen ihre leichtgläubigen Zuhörer durch Eides¬
leistung zur Wahrung des tiefsten Geheimnisses. Bald darauf, nachdem die
beiden Landesverwiesenen ins Ausland geflüchtet waren, brachen in 33 Pfar¬
reien der Bielsker, Wlodawer und Radynier Bezirke Unruhen aus, und zwar
als unmittelbare Folge der Predigten dieser Emissäre. Besonders eifrig benah¬
men sich dabei Weiber und junge Leute. Priester, welche gesetzliche Verord¬
nungen des Consistoriums in Chelm ausführten, wurden aus ihren Aemtern


Gmizbotm II. 1875. 24

von ihrer Volkstümlichkeit, von der Religion ihrer Väter und ihren socialen
Ordnungen, für welche sie im Laufe von Jahrhunderten so manches blutige
Opfer gebracht hatten, — oder die Lockungen der lateinischen Propagandisten
von sich zu stoßen, zurückzukehren in den Schooß der orthodoxen Kirche, von
welchem sie einst unter Gewalt, Verfolgung und unerträglichen Martern ab¬
gelöst worden waren.

Die Union entstand unter der Herrschaft der Polen und der Jesuiten.
Konnte dieselbe nun im natürlichen Laufe der Dinge sich auch noch jetzt be¬
haupten, da die blutige Herrschaft des polnischen Adels über die russische Be¬
völkerung längst geschwunden ist, — jetzt da die Vorsehung für diese Bevöl¬
kerung einen kräftigen Beschützer und Befreier — nach eigener Aussage der
Unirten in dem „weißen Czaren" ihnen bereitet hat?

Wenn die Unirten irgend je in ihrem Rechte waren, das lateinische Joch
abzuschütteln, so sind sie es um so mehr jetzt, bei der gegenwärtigen Lage der
römischen Kirche. In der letzten Zeit, namentlich unter Pius IX. wurden
der Kirche Vorschriften und Dogmen auferlegt, die weit entfernt sind von den
Beschlüssen der alten apostolischen Kirche. Das hat selbst Spaltungen in der
römischen Kirche hervorgerufen. Das Breve Pius' IX. «0minzm ZollieituÄinkm"
erlassen am 13. Mai 1874, behufs Aufmunterung der Griechisch-Unirten zum
engeren Anschluß an die Bekenner der römisch-katholischen Kirche, ist in einem
solchen Tone gehalten und in so scharfen Ausdrücken abgefaßt, daß es selbst
nach dem Urtheile der ausländischen Presse nicht ohne Einfluß auf die Wie¬
dervereinigung der Unirten mit der orthodoxen Kirche bleiben konnte. Dieses
Breve, in Lemberg polnisch gedruckt, wurde in sehr zahlreichen Exemplaren
unter der unirten Bevölkerung der Diöcese Chelm im Königreich Polen ver¬
breitet. Mit der Einführung dieses Breve, sowie auch anderer aufwiegelnder
Brochüren, befaßten sich zwei unirte Priester Siniewicz. der gewesene Vorsteher
der Pfarrei Swory und Bojarski, gewesener Vorsteher der Radyner Pfarrei.
Beide waren im Jahre 1872 aus Rußland nach Galizien verwiesen worden.
Als Bauern verkleidet, kehrten sie heimlich nach Rußland zurück und durch¬
streiften die Gouvernements Ludim und siebten. In der Nähe von Micd-
zyrzee versammelten sie in einem Walde die Bauern, fanatisirten sie durch
Reden, verlasen und erklärten das päpstliche Breve, vertheilten unwahre und
aufregende Pamphlete und zwangen ihre leichtgläubigen Zuhörer durch Eides¬
leistung zur Wahrung des tiefsten Geheimnisses. Bald darauf, nachdem die
beiden Landesverwiesenen ins Ausland geflüchtet waren, brachen in 33 Pfar¬
reien der Bielsker, Wlodawer und Radynier Bezirke Unruhen aus, und zwar
als unmittelbare Folge der Predigten dieser Emissäre. Besonders eifrig benah¬
men sich dabei Weiber und junge Leute. Priester, welche gesetzliche Verord¬
nungen des Consistoriums in Chelm ausführten, wurden aus ihren Aemtern


Gmizbotm II. 1875. 24
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[0189] von ihrer Volkstümlichkeit, von der Religion ihrer Väter und ihren socialen Ordnungen, für welche sie im Laufe von Jahrhunderten so manches blutige Opfer gebracht hatten, — oder die Lockungen der lateinischen Propagandisten von sich zu stoßen, zurückzukehren in den Schooß der orthodoxen Kirche, von welchem sie einst unter Gewalt, Verfolgung und unerträglichen Martern ab¬ gelöst worden waren. Die Union entstand unter der Herrschaft der Polen und der Jesuiten. Konnte dieselbe nun im natürlichen Laufe der Dinge sich auch noch jetzt be¬ haupten, da die blutige Herrschaft des polnischen Adels über die russische Be¬ völkerung längst geschwunden ist, — jetzt da die Vorsehung für diese Bevöl¬ kerung einen kräftigen Beschützer und Befreier — nach eigener Aussage der Unirten in dem „weißen Czaren" ihnen bereitet hat? Wenn die Unirten irgend je in ihrem Rechte waren, das lateinische Joch abzuschütteln, so sind sie es um so mehr jetzt, bei der gegenwärtigen Lage der römischen Kirche. In der letzten Zeit, namentlich unter Pius IX. wurden der Kirche Vorschriften und Dogmen auferlegt, die weit entfernt sind von den Beschlüssen der alten apostolischen Kirche. Das hat selbst Spaltungen in der römischen Kirche hervorgerufen. Das Breve Pius' IX. «0minzm ZollieituÄinkm" erlassen am 13. Mai 1874, behufs Aufmunterung der Griechisch-Unirten zum engeren Anschluß an die Bekenner der römisch-katholischen Kirche, ist in einem solchen Tone gehalten und in so scharfen Ausdrücken abgefaßt, daß es selbst nach dem Urtheile der ausländischen Presse nicht ohne Einfluß auf die Wie¬ dervereinigung der Unirten mit der orthodoxen Kirche bleiben konnte. Dieses Breve, in Lemberg polnisch gedruckt, wurde in sehr zahlreichen Exemplaren unter der unirten Bevölkerung der Diöcese Chelm im Königreich Polen ver¬ breitet. Mit der Einführung dieses Breve, sowie auch anderer aufwiegelnder Brochüren, befaßten sich zwei unirte Priester Siniewicz. der gewesene Vorsteher der Pfarrei Swory und Bojarski, gewesener Vorsteher der Radyner Pfarrei. Beide waren im Jahre 1872 aus Rußland nach Galizien verwiesen worden. Als Bauern verkleidet, kehrten sie heimlich nach Rußland zurück und durch¬ streiften die Gouvernements Ludim und siebten. In der Nähe von Micd- zyrzee versammelten sie in einem Walde die Bauern, fanatisirten sie durch Reden, verlasen und erklärten das päpstliche Breve, vertheilten unwahre und aufregende Pamphlete und zwangen ihre leichtgläubigen Zuhörer durch Eides¬ leistung zur Wahrung des tiefsten Geheimnisses. Bald darauf, nachdem die beiden Landesverwiesenen ins Ausland geflüchtet waren, brachen in 33 Pfar¬ reien der Bielsker, Wlodawer und Radynier Bezirke Unruhen aus, und zwar als unmittelbare Folge der Predigten dieser Emissäre. Besonders eifrig benah¬ men sich dabei Weiber und junge Leute. Priester, welche gesetzliche Verord¬ nungen des Consistoriums in Chelm ausführten, wurden aus ihren Aemtern Gmizbotm II. 1875. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/189>, abgerufen am 06.02.2025.