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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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ausdrücken, daß die Erinnerung an den herrlichen Besitz seines Hauses für
ihn versunken und vergessen sei. Wiener Mittheilungen lassen den Kaiser
sogar eine Ansprache in diesem Sinn an den König von Italien halten.
Wie viel Zeit zu politischen Geschäften in dem Rausch der Festlichkeiten übrig
blieb, wissen nur die Eingeweihten. Offizielle Berichte aus Wien heben her¬
vor, daß die begleitenden Minister und Räthe sich über einen Handelsvertrag
und eine Eisenbahnlinie, also sehr nützliche und unschuldige Dinge, verständigt
hätten. Sonst sei die Absicht der Begegnung gewesen, Italien enger an das
Dreikaiserbündniß heranzuziehen. Im Gegensatz' hierzu erzählen italienische
Blätter von zwei Briefen, welche der Cardinal-Erzbischof von Venedig den
beiden Monarchen im Auftrag des Papstes überreicht habe. Sicher ist die
römische Frage in der Conversation der Souveräne nicht unberührt geblieben,
und es ist durchaus glaubwürdig, daß sie gegenüber der energischen deutschen
Politik sich in dem Gedanken zusammengefunden haben, es müsse jeder Staat
in jener Frage seine besonderen Wege gehen -- und vielleicht, eine Diagonale
sei denkbar zwischen Ultramontanismus und dem "andern Extrem," eine
Politik der Mäßigung, die nicht "Indifferentismus", es wäre das die Linie
des Verhaltens der "troppo xruäönti". Sollte Frankreich sich nicht von der
Curie insoweit entfernen können, um sich diesem System der "Mäßigung"
und also hinwiederum (in andrem Sinn als bisher) der Curie mit anzu¬
schließen? In Oesterreich scheint mit den konfessionellen Gesetzen die Kraft¬
anstrengung gegen die Curie erschöpft zu sein. In Italien aber ist man
zwar bereit, unseren Streit mit dem Papstthum zu benutzen, aber sehr
wenig geneigt daran Theil zu nehmen.

Je heftiger der Kampf zwischen Rom und Deutschland tobt, desto leichter,
wie schon oben angedeutet worden, glauben die italienischen Minister eine
"Versöhnung" mit dem Papst erreichen zu können. Diese Seite unserer An¬
strengungen gefällt ihnen sehr wohl. Selbst die diplomatische Besprechung
des Garantiegesetzes, so lange sie nur nicht zu positiven Forderungen fort¬
schreitet, hat für Italien den großen Vortheil, daß die Bewohner des Vatican
in Angst gerathen und eine plötzliche Begeisterung für die Einheit, Größe
und Unabhängigkeit Italiens empfinden. Der Umschwung in der Sprache
der päpstlichen Blätter bei dem ersten Auftauchen jener Frage war über¬
raschend. All die feierlichen Proteste der Curie gegen das Werk "der Lüge,
der Verschlagenheit und des Hohns", welches unter dem Vorwand, die Kirche
zu schützen, ihr einen "eilfhundertjährigen" Besitz rauben und den Papst der
Herrschaft eines anderen Fürsten unterwerfen wolle, waren mit einem Male
vergessen. Die Frage des Kirchenstaats trat völlig in den Hintergrund. Die
Jesuiten machten die merkwürdige Entdeckung, daß das Papstthum zu allen
Zeiten das mächtigste Bollwerk für die Unabhängigkeit Italiens gewesen sei.


ausdrücken, daß die Erinnerung an den herrlichen Besitz seines Hauses für
ihn versunken und vergessen sei. Wiener Mittheilungen lassen den Kaiser
sogar eine Ansprache in diesem Sinn an den König von Italien halten.
Wie viel Zeit zu politischen Geschäften in dem Rausch der Festlichkeiten übrig
blieb, wissen nur die Eingeweihten. Offizielle Berichte aus Wien heben her¬
vor, daß die begleitenden Minister und Räthe sich über einen Handelsvertrag
und eine Eisenbahnlinie, also sehr nützliche und unschuldige Dinge, verständigt
hätten. Sonst sei die Absicht der Begegnung gewesen, Italien enger an das
Dreikaiserbündniß heranzuziehen. Im Gegensatz' hierzu erzählen italienische
Blätter von zwei Briefen, welche der Cardinal-Erzbischof von Venedig den
beiden Monarchen im Auftrag des Papstes überreicht habe. Sicher ist die
römische Frage in der Conversation der Souveräne nicht unberührt geblieben,
und es ist durchaus glaubwürdig, daß sie gegenüber der energischen deutschen
Politik sich in dem Gedanken zusammengefunden haben, es müsse jeder Staat
in jener Frage seine besonderen Wege gehen — und vielleicht, eine Diagonale
sei denkbar zwischen Ultramontanismus und dem „andern Extrem," eine
Politik der Mäßigung, die nicht „Indifferentismus", es wäre das die Linie
des Verhaltens der „troppo xruäönti". Sollte Frankreich sich nicht von der
Curie insoweit entfernen können, um sich diesem System der „Mäßigung"
und also hinwiederum (in andrem Sinn als bisher) der Curie mit anzu¬
schließen? In Oesterreich scheint mit den konfessionellen Gesetzen die Kraft¬
anstrengung gegen die Curie erschöpft zu sein. In Italien aber ist man
zwar bereit, unseren Streit mit dem Papstthum zu benutzen, aber sehr
wenig geneigt daran Theil zu nehmen.

Je heftiger der Kampf zwischen Rom und Deutschland tobt, desto leichter,
wie schon oben angedeutet worden, glauben die italienischen Minister eine
„Versöhnung" mit dem Papst erreichen zu können. Diese Seite unserer An¬
strengungen gefällt ihnen sehr wohl. Selbst die diplomatische Besprechung
des Garantiegesetzes, so lange sie nur nicht zu positiven Forderungen fort¬
schreitet, hat für Italien den großen Vortheil, daß die Bewohner des Vatican
in Angst gerathen und eine plötzliche Begeisterung für die Einheit, Größe
und Unabhängigkeit Italiens empfinden. Der Umschwung in der Sprache
der päpstlichen Blätter bei dem ersten Auftauchen jener Frage war über¬
raschend. All die feierlichen Proteste der Curie gegen das Werk „der Lüge,
der Verschlagenheit und des Hohns", welches unter dem Vorwand, die Kirche
zu schützen, ihr einen „eilfhundertjährigen" Besitz rauben und den Papst der
Herrschaft eines anderen Fürsten unterwerfen wolle, waren mit einem Male
vergessen. Die Frage des Kirchenstaats trat völlig in den Hintergrund. Die
Jesuiten machten die merkwürdige Entdeckung, daß das Papstthum zu allen
Zeiten das mächtigste Bollwerk für die Unabhängigkeit Italiens gewesen sei.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/180>, abgerufen am 03.07.2024.