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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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zu machen, der allerlei Verbindungen mit Historikern zu diesem Zwecke ange¬
knüpft und allerlei Wünsche dafür ausgesprochen (vgl. darüber seinen Brief¬
wechsel mit Eichend orff, Borrede S. IV --X und mit Varu Hagen, in
der Gegenwart vom 3.. 17. und 24. August 1872 gedruckt), er würde sicher
wenig erbaut gewesen sein von dieser Methode bruchstückweiser, zusammen¬
hangsloser Mittheilungen aus seinem Leben und seinem Nachlasse!

An zwei Stellen dieses Buches wird uns verrathen, daß weiteres schätz¬
bares Material von Schön noch vorhanden ist, welches uns -- weßhalb, ist
nicht gesagt -- nicht mitgetheilt worden ist. S. 60 werden täglich von Schon
gemachte Notizen aus dem Ende des Jahres 1808 erwähnt und S. 149 des
Anhanges heißt es, vom 17. April bis 14. September 1813 habe Schön täglich
Aufzeichnungen gemacht, aus denen hier eine Niederschrift vom 17. Mai 1813
abgedruckt ist, -- äußerst interessanten Inhaltes. Es wäre, wenn die ganze
Publikation unserer Kenntniß der Geschichte dienen und nützen soll, gewiß
das Richtige, alle diese Tagebücher zu veröffentlichen. Aus gleichzei¬
tigen Aufzeichnungen eines Staatsmannes, -- seien es Tagebücher oder
Briefe, oder amtliche Arbeiten -- erwächst der historischen Wissenschaft ein
ganz anderer Gewinn als aus den Denkwürdigkeiten desselben Staats¬
mannes, die er nach 30 oder 40 Jahren verfaßt hat, in ganz anderer Stim¬
mung des Geistes, von einer Anschauung aus, die sich unter dem Einfluß
der Erlebnisse jener langen Zwischenzeit sehr leicht ganz umgestaltet haben kann.

Die vorliegende Selbstbiographie Schön's ist ein interessantes Denkmal
und Selbstzeugniß seines Geistes; als historische Quelle ist sie nur mit der
größten Vorsicht zu benutzen und unterliegt jedenfalls an vielen Stellen sehr
starken Bedenken und Zweifeln. Die Subjectivität des Autors tritt in so
starkem Maaße in ihr auf, daß die Zuverlässigkeit des thatsächlichen Berichtes
vielfach von der subjektiven Stimmung des Berichterstatters beeinflußt
erscheint.

Ein unbefangener Leser, der die Kundgebungen Schön's aus seinem
späteren Leben sich vorher nicht vergegenwärtigt hat, wird bet der Lectüre
der Selbstbiographie aufs höchste erstaunt sein, einmal durch die Animosität
Schön's gegen Stein, sodann durch Schön's Bestreben, für die entscheidenden
Thatsachen der Jahre 1807 -- 1813 sich persönlich das hauptsächlichste Ver¬
dienst beizulegen. Daß diese beiden Gedanken die ganze Darstellung erfüllen
und bestimmen, liegt auf der Hand, -- so sehr, daß dies keinem Leser entgehen
kann. Das Bemühen, das hier unzweideutig zu Tage tritt, Stein's Be¬
deutung und Verdienste bei der Gesetzgebung von 1807 und 1808 zu schmälern,
wird sicherlich jeden Leser befremden, der sonst gehört und gelesen hatte, daß
Schön einer der Genossen und Gehülfen Stein's in jenen Jahren gewesen,
und der sich des sonst üblichen Bildes von dem großen Reformer und Orga-


zu machen, der allerlei Verbindungen mit Historikern zu diesem Zwecke ange¬
knüpft und allerlei Wünsche dafür ausgesprochen (vgl. darüber seinen Brief¬
wechsel mit Eichend orff, Borrede S. IV —X und mit Varu Hagen, in
der Gegenwart vom 3.. 17. und 24. August 1872 gedruckt), er würde sicher
wenig erbaut gewesen sein von dieser Methode bruchstückweiser, zusammen¬
hangsloser Mittheilungen aus seinem Leben und seinem Nachlasse!

An zwei Stellen dieses Buches wird uns verrathen, daß weiteres schätz¬
bares Material von Schön noch vorhanden ist, welches uns — weßhalb, ist
nicht gesagt — nicht mitgetheilt worden ist. S. 60 werden täglich von Schon
gemachte Notizen aus dem Ende des Jahres 1808 erwähnt und S. 149 des
Anhanges heißt es, vom 17. April bis 14. September 1813 habe Schön täglich
Aufzeichnungen gemacht, aus denen hier eine Niederschrift vom 17. Mai 1813
abgedruckt ist, — äußerst interessanten Inhaltes. Es wäre, wenn die ganze
Publikation unserer Kenntniß der Geschichte dienen und nützen soll, gewiß
das Richtige, alle diese Tagebücher zu veröffentlichen. Aus gleichzei¬
tigen Aufzeichnungen eines Staatsmannes, — seien es Tagebücher oder
Briefe, oder amtliche Arbeiten — erwächst der historischen Wissenschaft ein
ganz anderer Gewinn als aus den Denkwürdigkeiten desselben Staats¬
mannes, die er nach 30 oder 40 Jahren verfaßt hat, in ganz anderer Stim¬
mung des Geistes, von einer Anschauung aus, die sich unter dem Einfluß
der Erlebnisse jener langen Zwischenzeit sehr leicht ganz umgestaltet haben kann.

Die vorliegende Selbstbiographie Schön's ist ein interessantes Denkmal
und Selbstzeugniß seines Geistes; als historische Quelle ist sie nur mit der
größten Vorsicht zu benutzen und unterliegt jedenfalls an vielen Stellen sehr
starken Bedenken und Zweifeln. Die Subjectivität des Autors tritt in so
starkem Maaße in ihr auf, daß die Zuverlässigkeit des thatsächlichen Berichtes
vielfach von der subjektiven Stimmung des Berichterstatters beeinflußt
erscheint.

Ein unbefangener Leser, der die Kundgebungen Schön's aus seinem
späteren Leben sich vorher nicht vergegenwärtigt hat, wird bet der Lectüre
der Selbstbiographie aufs höchste erstaunt sein, einmal durch die Animosität
Schön's gegen Stein, sodann durch Schön's Bestreben, für die entscheidenden
Thatsachen der Jahre 1807 — 1813 sich persönlich das hauptsächlichste Ver¬
dienst beizulegen. Daß diese beiden Gedanken die ganze Darstellung erfüllen
und bestimmen, liegt auf der Hand, — so sehr, daß dies keinem Leser entgehen
kann. Das Bemühen, das hier unzweideutig zu Tage tritt, Stein's Be¬
deutung und Verdienste bei der Gesetzgebung von 1807 und 1808 zu schmälern,
wird sicherlich jeden Leser befremden, der sonst gehört und gelesen hatte, daß
Schön einer der Genossen und Gehülfen Stein's in jenen Jahren gewesen,
und der sich des sonst üblichen Bildes von dem großen Reformer und Orga-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/168>, abgerufen am 24.07.2024.