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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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was es von so vielen andern Regierungen hingenommen, oder ihnen aus¬
drücklich gewährt hat? Weil Rom im deutschen Staat die Konsolidation des
Protestantismus erblickt, den es schon der Selbstauflösung nahe glaubte.'

Der deutsche Staat kämpft gegenwärtig nicht bloß für seine obrig¬
keitlichen Attribute, die ihm wie jedem andern Staat unentbehrlich sind, son¬
dern kämpft zugleich für das Evangelium als die eigentliche Wurzel seiner
Kraft. Um diese Wurzel untergraben zu können, hält Rom so starr an einer
Freiheit der Bewegung auf deutschem Boden fest, deren Einschränkung es
auf manchem andern Boden unbedenklich hingenommen. Nicht bloß die Sicher¬
heit des Staates, sondern ebenso die Sicherheit des Protestantismus muß den
Protestantischen Deutschen im gegenwärtigen Kampf leiten. Das hat der Reichs¬
kanzler ausgesprochen, und uns will bedünken, als sei mit diesem Ausspruch
der Kampf in ein neues Stadium getreten.

Eine Vorlage von höchster Bedeutung, im Abgeordnetenhaus eingebracht,
kündigt dieses neue Stadium auch formell an: das Gesetz betreffend die Auf¬
hebung der Artikel Is, 16 und 18 der preußischen Verfassung. Der Leser
erinnert sich, daß Artikel Is der Religionsgesellschaften, insbesondere der evan¬
gelischen und katholischen Kirche die selbständige Ordnung und Verwaltung
ihrer Angelegenheiten zusichert, während Artikel 16 das landesherrliche Pla-
net aufhebt und den Verkehr mit den auswärtigen Oberen freigiebt, Artikel
18 endlich den Einfluß des Staates auf die Besetzung der kirchlichen Stellen
aufhebt. Der Leser erinnert sich ferner, daß die Artikel Is und 18 bei Be¬
rathung der Maigesetze von 1873 einschränkende Zusätze erhalten hatten, wo¬
von der zu Artikel Is die Unterwerfung der Religionsgesellschaften unter die
Staatsgesetze aussprach, der zu Artikel 18 die Aufhebung des staatlichen Ein¬
flusses bei der Besetzung der kirchlichen Aemter insoweit wieder beschränkte, als
er dem Staat das Recht allgemeiner Vorschriften über die Vorbildung, An"
Stellung und Entlassung der Geistlichen zurückgab. Jetzt handelt es sich um
die völlige Aufhebung dieser Verfassungsartikel. Und so natürlich erscheint
diese Maßregel, daß man sich nur wundern möchte, warum sie so lange unter¬
blieben. Aber es liegt im Lauf der Natur, daß das Natürlichste und Noth¬
wendigste zuletzt erkannt wird. Wäre nicht eine lange Verdunkelung des
Verständnisses der katholischen Kirche bei uns eingetreten, so wäre ja der ganze
Kampf nicht nöthig, der um die Rückeroberung leichtsinnig verlassener Posi¬
tionen des Staates geführt wird. Das Dunkel weicht nur nach und nach. Aber
mit der Einbringung dieser Vorlage scheint das helle Licht angebrochen. Am
16. April fand die erste und zweite Berathung im Abgeordnetenhaus vor über¬
füllten Tribünen statt. Wiederum ergriff der Fürst Bismarck zweimal das
Wort. Der bedeutendste Ausspruch, den er diesmal that, war der, daß er
nach Aufhebung jener drei Verfassungsartikel und, so muß man Wohl hinzu-


was es von so vielen andern Regierungen hingenommen, oder ihnen aus¬
drücklich gewährt hat? Weil Rom im deutschen Staat die Konsolidation des
Protestantismus erblickt, den es schon der Selbstauflösung nahe glaubte.'

Der deutsche Staat kämpft gegenwärtig nicht bloß für seine obrig¬
keitlichen Attribute, die ihm wie jedem andern Staat unentbehrlich sind, son¬
dern kämpft zugleich für das Evangelium als die eigentliche Wurzel seiner
Kraft. Um diese Wurzel untergraben zu können, hält Rom so starr an einer
Freiheit der Bewegung auf deutschem Boden fest, deren Einschränkung es
auf manchem andern Boden unbedenklich hingenommen. Nicht bloß die Sicher¬
heit des Staates, sondern ebenso die Sicherheit des Protestantismus muß den
Protestantischen Deutschen im gegenwärtigen Kampf leiten. Das hat der Reichs¬
kanzler ausgesprochen, und uns will bedünken, als sei mit diesem Ausspruch
der Kampf in ein neues Stadium getreten.

Eine Vorlage von höchster Bedeutung, im Abgeordnetenhaus eingebracht,
kündigt dieses neue Stadium auch formell an: das Gesetz betreffend die Auf¬
hebung der Artikel Is, 16 und 18 der preußischen Verfassung. Der Leser
erinnert sich, daß Artikel Is der Religionsgesellschaften, insbesondere der evan¬
gelischen und katholischen Kirche die selbständige Ordnung und Verwaltung
ihrer Angelegenheiten zusichert, während Artikel 16 das landesherrliche Pla-
net aufhebt und den Verkehr mit den auswärtigen Oberen freigiebt, Artikel
18 endlich den Einfluß des Staates auf die Besetzung der kirchlichen Stellen
aufhebt. Der Leser erinnert sich ferner, daß die Artikel Is und 18 bei Be¬
rathung der Maigesetze von 1873 einschränkende Zusätze erhalten hatten, wo¬
von der zu Artikel Is die Unterwerfung der Religionsgesellschaften unter die
Staatsgesetze aussprach, der zu Artikel 18 die Aufhebung des staatlichen Ein¬
flusses bei der Besetzung der kirchlichen Aemter insoweit wieder beschränkte, als
er dem Staat das Recht allgemeiner Vorschriften über die Vorbildung, An»
Stellung und Entlassung der Geistlichen zurückgab. Jetzt handelt es sich um
die völlige Aufhebung dieser Verfassungsartikel. Und so natürlich erscheint
diese Maßregel, daß man sich nur wundern möchte, warum sie so lange unter¬
blieben. Aber es liegt im Lauf der Natur, daß das Natürlichste und Noth¬
wendigste zuletzt erkannt wird. Wäre nicht eine lange Verdunkelung des
Verständnisses der katholischen Kirche bei uns eingetreten, so wäre ja der ganze
Kampf nicht nöthig, der um die Rückeroberung leichtsinnig verlassener Posi¬
tionen des Staates geführt wird. Das Dunkel weicht nur nach und nach. Aber
mit der Einbringung dieser Vorlage scheint das helle Licht angebrochen. Am
16. April fand die erste und zweite Berathung im Abgeordnetenhaus vor über¬
füllten Tribünen statt. Wiederum ergriff der Fürst Bismarck zweimal das
Wort. Der bedeutendste Ausspruch, den er diesmal that, war der, daß er
nach Aufhebung jener drei Verfassungsartikel und, so muß man Wohl hinzu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/159>, abgerufen am 06.02.2025.