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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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eine merkwürdige Thatsache entgegen. Es giebt seit mehreren Jahren eine
ganze Literatur über die Frage, w!e der juristische Universitätsunterricht ein¬
gerichtet werden solle: daß der gegenwärtige Modus unhaltbar, darin stimmen
Alle überein, so sehr sie in den Reformoorschlägen auch auseinander gehen.
In vielen, ja in den meisten Fällen (Ausnahmen davon sind uns sehr wohl
bekannt) besteht der juristische Universitätsunterricht in einem mehr oder we¬
niger energischen Einpauker für die spätere Praxis. An das wissenschaftliche
Denken der Studirenden werden in den üblichen juristischen Borlesungen
möglichst geringe Anforderungen gemacht. Sollte hierin nicht einer der Gründe
zu sehen sein, weshalb verhältnißmäßig so wenige Juristen sich der akademi¬
schen Laufbahn von vorneherein widmen? Daß pekuniäre Gründe im Spiele
seien und durch pekuniäre Lockungen Dozenten angeworben werden müssen,
wird grade bei den Juristen Niemand behaupten, der sich den wirklichen That¬
bestand vergegenwärtigt: juristische Collegien gehören zu den einträglichsten
der ganzen Universität; und ein unentgeltlicher Probedienst ist ja auch von
dem praktischen Juristen verlangt. Im römischen und im deutschen Recht
fehlt es übrigens nicht an Dozenten; für Strafrecht und Prozeß aber sind
schon hergebrachter Weise vielfach ohne Schaden der Universitäten Praktiker
zu Professoren berufen worden. Ein wissenschaftlicher Aufschwung unserer
juristischen Fakultäten, den wir erhoffen, würde die etwaigen Mängel und Ge¬
brechen ohne allen Zweifel in kürzester Frist abstellen.

Aus dem Schooße der medizinischen Fakultäten sind die erwähnten
Klagen am wenigsten gehört worden. Jeder Blick in die Lectionskataloge
beweist Reichthum, ja Ueberfluß an Dozenten.

Sehr großen Schwankungen sind in der letzten Zeit die philosophischen
Fakultäten ausgesetzt gewesen. Von ihnen ist alles zu wiederholen, was wir
oben über die zeitweilige Abnahme jüngerer Kräfte und die Ursachen dieser
Erscheinung gesagt haben; von ihnen gilt ebenso unsere frühere Behauptung
eines neuerdings schon eingetretenen Umschwunges. Wir bitten aber bei der
Erörterung unserer Frage für die Wissenschaften, die in der philosophischen
Fakultät vereinigt sind, noch eine andere Thatsache nicht zu übersehen. Bei
den meisten Disciplinen, -- bei den philologischen und historischen, zum
Theil auch bei den mathematischen -- können erfahrungsmäßig Professoren
auch aus dem Kreise der Gymnasiallehrer ausgewählt werden. Eine ganze
Reihe von Namen, welche zu den ersten Zierden der Wissenschaft und der
Universitäten geworden, ließe sich zum Beweise dieser Thatsache hier anführen!
Ein Gymnasiallehrer, der hervorragende wissenschaftliche Leistungen aufzuweisen,
der in seinem Lehrerberufe eine gewisse Uebung des Vortrags sich erworben
hat, wird wohl concurriren dürfen mit manchem Dozenten der Universität;
ein solcher wird oft mit Erfolg in eine Professur übergehen. Beispiele gegen-


Grenzbotm II. 1875. 17

eine merkwürdige Thatsache entgegen. Es giebt seit mehreren Jahren eine
ganze Literatur über die Frage, w!e der juristische Universitätsunterricht ein¬
gerichtet werden solle: daß der gegenwärtige Modus unhaltbar, darin stimmen
Alle überein, so sehr sie in den Reformoorschlägen auch auseinander gehen.
In vielen, ja in den meisten Fällen (Ausnahmen davon sind uns sehr wohl
bekannt) besteht der juristische Universitätsunterricht in einem mehr oder we¬
niger energischen Einpauker für die spätere Praxis. An das wissenschaftliche
Denken der Studirenden werden in den üblichen juristischen Borlesungen
möglichst geringe Anforderungen gemacht. Sollte hierin nicht einer der Gründe
zu sehen sein, weshalb verhältnißmäßig so wenige Juristen sich der akademi¬
schen Laufbahn von vorneherein widmen? Daß pekuniäre Gründe im Spiele
seien und durch pekuniäre Lockungen Dozenten angeworben werden müssen,
wird grade bei den Juristen Niemand behaupten, der sich den wirklichen That¬
bestand vergegenwärtigt: juristische Collegien gehören zu den einträglichsten
der ganzen Universität; und ein unentgeltlicher Probedienst ist ja auch von
dem praktischen Juristen verlangt. Im römischen und im deutschen Recht
fehlt es übrigens nicht an Dozenten; für Strafrecht und Prozeß aber sind
schon hergebrachter Weise vielfach ohne Schaden der Universitäten Praktiker
zu Professoren berufen worden. Ein wissenschaftlicher Aufschwung unserer
juristischen Fakultäten, den wir erhoffen, würde die etwaigen Mängel und Ge¬
brechen ohne allen Zweifel in kürzester Frist abstellen.

Aus dem Schooße der medizinischen Fakultäten sind die erwähnten
Klagen am wenigsten gehört worden. Jeder Blick in die Lectionskataloge
beweist Reichthum, ja Ueberfluß an Dozenten.

Sehr großen Schwankungen sind in der letzten Zeit die philosophischen
Fakultäten ausgesetzt gewesen. Von ihnen ist alles zu wiederholen, was wir
oben über die zeitweilige Abnahme jüngerer Kräfte und die Ursachen dieser
Erscheinung gesagt haben; von ihnen gilt ebenso unsere frühere Behauptung
eines neuerdings schon eingetretenen Umschwunges. Wir bitten aber bei der
Erörterung unserer Frage für die Wissenschaften, die in der philosophischen
Fakultät vereinigt sind, noch eine andere Thatsache nicht zu übersehen. Bei
den meisten Disciplinen, — bei den philologischen und historischen, zum
Theil auch bei den mathematischen — können erfahrungsmäßig Professoren
auch aus dem Kreise der Gymnasiallehrer ausgewählt werden. Eine ganze
Reihe von Namen, welche zu den ersten Zierden der Wissenschaft und der
Universitäten geworden, ließe sich zum Beweise dieser Thatsache hier anführen!
Ein Gymnasiallehrer, der hervorragende wissenschaftliche Leistungen aufzuweisen,
der in seinem Lehrerberufe eine gewisse Uebung des Vortrags sich erworben
hat, wird wohl concurriren dürfen mit manchem Dozenten der Universität;
ein solcher wird oft mit Erfolg in eine Professur übergehen. Beispiele gegen-


Grenzbotm II. 1875. 17
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[0133] eine merkwürdige Thatsache entgegen. Es giebt seit mehreren Jahren eine ganze Literatur über die Frage, w!e der juristische Universitätsunterricht ein¬ gerichtet werden solle: daß der gegenwärtige Modus unhaltbar, darin stimmen Alle überein, so sehr sie in den Reformoorschlägen auch auseinander gehen. In vielen, ja in den meisten Fällen (Ausnahmen davon sind uns sehr wohl bekannt) besteht der juristische Universitätsunterricht in einem mehr oder we¬ niger energischen Einpauker für die spätere Praxis. An das wissenschaftliche Denken der Studirenden werden in den üblichen juristischen Borlesungen möglichst geringe Anforderungen gemacht. Sollte hierin nicht einer der Gründe zu sehen sein, weshalb verhältnißmäßig so wenige Juristen sich der akademi¬ schen Laufbahn von vorneherein widmen? Daß pekuniäre Gründe im Spiele seien und durch pekuniäre Lockungen Dozenten angeworben werden müssen, wird grade bei den Juristen Niemand behaupten, der sich den wirklichen That¬ bestand vergegenwärtigt: juristische Collegien gehören zu den einträglichsten der ganzen Universität; und ein unentgeltlicher Probedienst ist ja auch von dem praktischen Juristen verlangt. Im römischen und im deutschen Recht fehlt es übrigens nicht an Dozenten; für Strafrecht und Prozeß aber sind schon hergebrachter Weise vielfach ohne Schaden der Universitäten Praktiker zu Professoren berufen worden. Ein wissenschaftlicher Aufschwung unserer juristischen Fakultäten, den wir erhoffen, würde die etwaigen Mängel und Ge¬ brechen ohne allen Zweifel in kürzester Frist abstellen. Aus dem Schooße der medizinischen Fakultäten sind die erwähnten Klagen am wenigsten gehört worden. Jeder Blick in die Lectionskataloge beweist Reichthum, ja Ueberfluß an Dozenten. Sehr großen Schwankungen sind in der letzten Zeit die philosophischen Fakultäten ausgesetzt gewesen. Von ihnen ist alles zu wiederholen, was wir oben über die zeitweilige Abnahme jüngerer Kräfte und die Ursachen dieser Erscheinung gesagt haben; von ihnen gilt ebenso unsere frühere Behauptung eines neuerdings schon eingetretenen Umschwunges. Wir bitten aber bei der Erörterung unserer Frage für die Wissenschaften, die in der philosophischen Fakultät vereinigt sind, noch eine andere Thatsache nicht zu übersehen. Bei den meisten Disciplinen, — bei den philologischen und historischen, zum Theil auch bei den mathematischen — können erfahrungsmäßig Professoren auch aus dem Kreise der Gymnasiallehrer ausgewählt werden. Eine ganze Reihe von Namen, welche zu den ersten Zierden der Wissenschaft und der Universitäten geworden, ließe sich zum Beweise dieser Thatsache hier anführen! Ein Gymnasiallehrer, der hervorragende wissenschaftliche Leistungen aufzuweisen, der in seinem Lehrerberufe eine gewisse Uebung des Vortrags sich erworben hat, wird wohl concurriren dürfen mit manchem Dozenten der Universität; ein solcher wird oft mit Erfolg in eine Professur übergehen. Beispiele gegen- Grenzbotm II. 1875. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/133>, abgerufen am 06.02.2025.