Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.es so nöthig sei, daß ein Mann in ein Fach passe, oder ob es sich nicht viel, Aber heute haben wir volles Recht, die Theilung der Arbeit und den Sagen Sie Die Anwendung hiervon auf Schelling im Interesse der Wissenschaft Grenzboten II. 1875. 2
es so nöthig sei, daß ein Mann in ein Fach passe, oder ob es sich nicht viel, Aber heute haben wir volles Recht, die Theilung der Arbeit und den Sagen Sie Die Anwendung hiervon auf Schelling im Interesse der Wissenschaft Grenzboten II. 1875. 2
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0013" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133301"/> <p xml:id="ID_25" prev="#ID_24"> es so nöthig sei, daß ein Mann in ein Fach passe, oder ob es sich nicht viel,<lb/> mehr würde nachweisen lassen, daß die ersten Genien der Weltgeschichte, die<lb/> hauptsächlichen Fortleiter der Entwickelung menschlicher Geisteskultur, beinahe<lb/> immer solche Persönlichkeiten waren, die durch ihre Individualität eine eigene<lb/> besondere Gattung decken. Waren denn Platon und Aristoteles so recht<lb/> eigentlich das, was man heute „eine tüchtige wissenschaftliche Arbeitskraft"<lb/> nennt? Was waren denn die Propheten des alten Bundes und die ersten<lb/> Verkünder des Christenthums? War wirklich Dante ein bloßer Dichter, und<lb/> welches Fach besetzt seine Zivins, eomeäia. das der Lyrik, des Epos oder des<lb/> Dramas? War denn Luther etwa ein reiner theologischer Fachmann? Ist<lb/> uns Schiller deshalb weniger werth, weil er Grund hatte zu klagen, daß die<lb/> Philosophie ihn beim Dichten, die Poesie beim Philosophiren störe? Hat denn<lb/> Goethe wirklich nichts weiter gewollt, als einen Roman schreiben, als er sein<lb/> Persönliches Trachten und Ringen in den „Wilhelm Meister" goß, oder dachte<lb/> er an den Kunstzweck eines Dramas, als er den „Faust" dichtete?</p><lb/> <p xml:id="ID_26"> Aber heute haben wir volles Recht, die Theilung der Arbeit und den<lb/> nüchternen Fleiß zu fordern, denn die Zeiten sollen wechseln, damit die<lb/> eine die andere ergänze, und es hätte auch heute Niemand das Zeug — wenn<lb/> er noch so sehr wollte —. ein Dante, ein Luther, ein Goethe, ein Schelling<lb/> zu sein. Was vergangen ist, ist vergangen: die neue Zeit bringt anderartige<lb/> Aufgaben und anderartige Talente. Wir sollen heute ins Einzelne verfolgen,<lb/> im Einzelnen prüfen und suchen, während die großen Genien der vorherge¬<lb/> gangenen Periode intuitio und allumfassend, gleich Sehern und Propheten,<lb/> geweissagt haben. Wahres mit Falschen, Ewiges mit Temporärem in gleichem<lb/> Vertrauen und in gleicher Begeisterung festhaltend und verkündigend. Aber wir<lb/> werden unrettbar in Geistesarmuth und Trivialität versinken, und der furchtbare<lb/> Stachel des Gefühls innerer Verödung wird uns, wie es sich schon zeigt, dem<lb/> Pessimismus in die Arme treiben, wenn wir die Geistesschätze der Jugendzeit<lb/> unseres Jahrhunderts uns zu verachten oder gar zu verspotten gewöhnen und<lb/> an ihnen uns zu nähren und zu erheben, zu spornen und zu entzücken aufhören.<lb/> Nimmer wollen wir den Auftrag des Marquis an Don Carlos vergessen:</p><lb/> <quote> Sagen Sie<lb/> Ihm, daß er für die Träume seiner Jugend<lb/> Soll Achtung tragen, wenn er Mann sein wird,<lb/> Nicht öffnen soll dem tödtenden Insecte<lb/> Gerühmter besserer Vernunft das Herz<lb/> Der zarten Götterblume, — daß er nicht<lb/> Soll irre werden, wenn des Staubes Weisheit<lb/> Begeisterung, die Himmelstochter, lästert. —</quote><lb/> <p xml:id="ID_27" next="#ID_28"> Die Anwendung hiervon auf Schelling im Interesse der Wissenschaft<lb/> zu machen, wird nur möglich sein, wenn sich in Schelling's Gedankenwelt in</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1875. 2</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0013]
es so nöthig sei, daß ein Mann in ein Fach passe, oder ob es sich nicht viel,
mehr würde nachweisen lassen, daß die ersten Genien der Weltgeschichte, die
hauptsächlichen Fortleiter der Entwickelung menschlicher Geisteskultur, beinahe
immer solche Persönlichkeiten waren, die durch ihre Individualität eine eigene
besondere Gattung decken. Waren denn Platon und Aristoteles so recht
eigentlich das, was man heute „eine tüchtige wissenschaftliche Arbeitskraft"
nennt? Was waren denn die Propheten des alten Bundes und die ersten
Verkünder des Christenthums? War wirklich Dante ein bloßer Dichter, und
welches Fach besetzt seine Zivins, eomeäia. das der Lyrik, des Epos oder des
Dramas? War denn Luther etwa ein reiner theologischer Fachmann? Ist
uns Schiller deshalb weniger werth, weil er Grund hatte zu klagen, daß die
Philosophie ihn beim Dichten, die Poesie beim Philosophiren störe? Hat denn
Goethe wirklich nichts weiter gewollt, als einen Roman schreiben, als er sein
Persönliches Trachten und Ringen in den „Wilhelm Meister" goß, oder dachte
er an den Kunstzweck eines Dramas, als er den „Faust" dichtete?
Aber heute haben wir volles Recht, die Theilung der Arbeit und den
nüchternen Fleiß zu fordern, denn die Zeiten sollen wechseln, damit die
eine die andere ergänze, und es hätte auch heute Niemand das Zeug — wenn
er noch so sehr wollte —. ein Dante, ein Luther, ein Goethe, ein Schelling
zu sein. Was vergangen ist, ist vergangen: die neue Zeit bringt anderartige
Aufgaben und anderartige Talente. Wir sollen heute ins Einzelne verfolgen,
im Einzelnen prüfen und suchen, während die großen Genien der vorherge¬
gangenen Periode intuitio und allumfassend, gleich Sehern und Propheten,
geweissagt haben. Wahres mit Falschen, Ewiges mit Temporärem in gleichem
Vertrauen und in gleicher Begeisterung festhaltend und verkündigend. Aber wir
werden unrettbar in Geistesarmuth und Trivialität versinken, und der furchtbare
Stachel des Gefühls innerer Verödung wird uns, wie es sich schon zeigt, dem
Pessimismus in die Arme treiben, wenn wir die Geistesschätze der Jugendzeit
unseres Jahrhunderts uns zu verachten oder gar zu verspotten gewöhnen und
an ihnen uns zu nähren und zu erheben, zu spornen und zu entzücken aufhören.
Nimmer wollen wir den Auftrag des Marquis an Don Carlos vergessen:
Sagen Sie
Ihm, daß er für die Träume seiner Jugend
Soll Achtung tragen, wenn er Mann sein wird,
Nicht öffnen soll dem tödtenden Insecte
Gerühmter besserer Vernunft das Herz
Der zarten Götterblume, — daß er nicht
Soll irre werden, wenn des Staubes Weisheit
Begeisterung, die Himmelstochter, lästert. —
Die Anwendung hiervon auf Schelling im Interesse der Wissenschaft
zu machen, wird nur möglich sein, wenn sich in Schelling's Gedankenwelt in
Grenzboten II. 1875. 2
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