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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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den Mann unterrichtet, der müßte doch wohl ein Wenig stutzen und sich fra¬
gen: wie mag das baarer Unsinn sein, was in solcher Göttersprache seinen
angemessenen Ausdruck findet?

Die Männer unserer deutschen Genialitätsperiode charakterisiren sich
besonders durch zweierlei: durch den Trieb, ihre Gesammtpersönlichkeit als
ungetrenntes Ganze in ihre Werke hineinzulegen und durch dieselben zur
Darstellung zu bringen, und sodann durch den wesentlich in das Innere
ihrer selbst, nur secundär nach Außen gerichteten Blick. Hintere sie das
Erste daran, sich so, wie es von uns Modernen gefordert wird, nur als
einen Stift an der arbeitenden Maschine des Ganzen aufzufassen, indem
sie vielmehr jeder selbst ein Ganzes zu sein sich bewußt sind, -- so hindert
sie das Zweite daran, den zuströmenden Reichthum ihres Innern, ihre
spontane, intuitive Gedaukenzeugung und ihre leidenschaftlichen Gemüthser¬
regungen, für werthlos zu halten im Vergleich zu dem, was äußere That¬
sachen lehren. Auch Goethe ist hiervon nicht ausgenommen; auch ihm gilt
die Beobachtung nur als Mittel die eignen Gedankenschöpfungen zu bestätigen,
und, je nachdem diese Schöpfungen von vornherein glücklich oder unglücklich
waren, machte ihn die nachfolgende Beobachtung entweder zum Entdecker gro¬
ßer Naturgesetze, oder führte ihn irre. Eine weitere Folge des ersten der ge¬
schilderten Grundzüge dieser Culturweise, des Zuges zur persönlichen Totalität,
war dies, daß die verschiedenartigen innern Seelengehalte nicht getrennt
blieben, vielmehr ausdrücklich nach einer einheitlichen Jneinanderschlingung
aller der Ideale gestrebt wurde, welche den einzelnen Seelen- und Geistes¬
kräften entsprechen. Darum zündete bei jenen Männern so allgemein das
Wort Hamann's: alle Aeußerungen, alle Werke des Menschen müßten allen
seinen verschiedensten Vermögen zugleich ihr Dasein verdanken und von allen
zugleich das Gepräge tragen. So sollte die Wahrheitserkenntniß oder Philo¬
sophie zugleich und in Einem sowohl dem Verlangen nach poetischem Schwunge
und künstlerischer Schönheit als dem Bedürfnisse nach tiefen religiösen Affecten
genügen. Die dabei vorwaltende Wendung nach Innen, der zweite jener
Grundzüge, hielt indeß davon ab, bei solcher Verschmelzung alles Idealen
zu einem Ganzen auch dem ethisch nach Außen treibenden Elemente gleiches
Recht einzuräumen, vor Allem erscheinen die irdischen gesellschaftlichen Güter, und
ganz besonders auch die irdischen gesellschaftlichen Schranken hier als werthlos
im Vergleiche zu dem unmittelbaren Anschauen, Erleben und Genießen des
Göttlichen, das man in seiner eigenen Seele findet.

Unsre Gegenwart, die von Allem dem das pure Gegentheil liebt, will und
fast allein anerkennt, ist zur Ungerechtigkeit und zum Undanke gegen diese
Geistesart nur allzuleicht aufgelegt. Wenn Schelling in der That nicht in
das Fach der eigentlichen wissenschaftlichen Arbeiter paßt, fo fragen wir, ob


den Mann unterrichtet, der müßte doch wohl ein Wenig stutzen und sich fra¬
gen: wie mag das baarer Unsinn sein, was in solcher Göttersprache seinen
angemessenen Ausdruck findet?

Die Männer unserer deutschen Genialitätsperiode charakterisiren sich
besonders durch zweierlei: durch den Trieb, ihre Gesammtpersönlichkeit als
ungetrenntes Ganze in ihre Werke hineinzulegen und durch dieselben zur
Darstellung zu bringen, und sodann durch den wesentlich in das Innere
ihrer selbst, nur secundär nach Außen gerichteten Blick. Hintere sie das
Erste daran, sich so, wie es von uns Modernen gefordert wird, nur als
einen Stift an der arbeitenden Maschine des Ganzen aufzufassen, indem
sie vielmehr jeder selbst ein Ganzes zu sein sich bewußt sind, — so hindert
sie das Zweite daran, den zuströmenden Reichthum ihres Innern, ihre
spontane, intuitive Gedaukenzeugung und ihre leidenschaftlichen Gemüthser¬
regungen, für werthlos zu halten im Vergleich zu dem, was äußere That¬
sachen lehren. Auch Goethe ist hiervon nicht ausgenommen; auch ihm gilt
die Beobachtung nur als Mittel die eignen Gedankenschöpfungen zu bestätigen,
und, je nachdem diese Schöpfungen von vornherein glücklich oder unglücklich
waren, machte ihn die nachfolgende Beobachtung entweder zum Entdecker gro¬
ßer Naturgesetze, oder führte ihn irre. Eine weitere Folge des ersten der ge¬
schilderten Grundzüge dieser Culturweise, des Zuges zur persönlichen Totalität,
war dies, daß die verschiedenartigen innern Seelengehalte nicht getrennt
blieben, vielmehr ausdrücklich nach einer einheitlichen Jneinanderschlingung
aller der Ideale gestrebt wurde, welche den einzelnen Seelen- und Geistes¬
kräften entsprechen. Darum zündete bei jenen Männern so allgemein das
Wort Hamann's: alle Aeußerungen, alle Werke des Menschen müßten allen
seinen verschiedensten Vermögen zugleich ihr Dasein verdanken und von allen
zugleich das Gepräge tragen. So sollte die Wahrheitserkenntniß oder Philo¬
sophie zugleich und in Einem sowohl dem Verlangen nach poetischem Schwunge
und künstlerischer Schönheit als dem Bedürfnisse nach tiefen religiösen Affecten
genügen. Die dabei vorwaltende Wendung nach Innen, der zweite jener
Grundzüge, hielt indeß davon ab, bei solcher Verschmelzung alles Idealen
zu einem Ganzen auch dem ethisch nach Außen treibenden Elemente gleiches
Recht einzuräumen, vor Allem erscheinen die irdischen gesellschaftlichen Güter, und
ganz besonders auch die irdischen gesellschaftlichen Schranken hier als werthlos
im Vergleiche zu dem unmittelbaren Anschauen, Erleben und Genießen des
Göttlichen, das man in seiner eigenen Seele findet.

Unsre Gegenwart, die von Allem dem das pure Gegentheil liebt, will und
fast allein anerkennt, ist zur Ungerechtigkeit und zum Undanke gegen diese
Geistesart nur allzuleicht aufgelegt. Wenn Schelling in der That nicht in
das Fach der eigentlichen wissenschaftlichen Arbeiter paßt, fo fragen wir, ob


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/12>, abgerufen am 06.02.2025.