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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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"Einst koimut die Zeit, da von den Bergen wieder
Dein Volk, o Not'rieb sieghaft niedersteigt."

Aus dieser kurzen Inhaltsangabe wird schon hervorleuchten einen wie ge¬
waltigen ideenreichen und fesselnden Inhalt dies historische Trauerspiel in sich
birgt. Unverkennbar ist überall der große dramatische Zug, der die ganze
Handlung bewegt und allenthalben auch den Dialog erfüllt.

Und wenn immerhin gegen einzelne Punkte in der Motivirung mit Fug
und Recht, wie wir gesehen, Einwendungen sich erheben, wenn auch an ein¬
zelnen Stellen störende Wiederholungen sich aufzeigen lassen (z. B. jene afri¬
kanische Gefangenschaft Noderich's wird, allerdings immer mit Nuancen, drei¬
mal erzählt): so sind alle diese Punkte geringfügig und verschwindend, sobald
man auf das Ganze der Dichtung hinsieht. Das Ganze übt auf Leser und
Zuschauer eine großartige Wirkung. Aus diesem Drama weht uns der Hauch
idealer Poesie entgegen. Hier werden hohe und ernste Gedanken ausgesprochen,
große Fragen und Aufgaben menschlichen Lebens mit dichterischer Vertiefung
in künstlerischen Formen behandelt.

Der Dialog ist lebendig und charakteristisch; wiederholt begegnen wir
reiflich durchdachten und prächtig ausgedrückten Sentenzen. Und wenn bis¬
weilen die letzte Feile der Sprache vermißt wird, so entschädigt dafür an an¬
deren Stellen hohe Schönheit der Form und des Gedankens.

Auch unter den Nebenfiguren sind eine ganze Anzahl charakterisirter Per¬
sönlichkeiten. Der edle Pelago, der biderbe Garding, der kriegerische Bischof
Gundomar, der Maurenfeldherr Taret, der als sein eigener Gesandter und
Späher bei den Gothen gewesen, auch Noderich's Schwester Theodosia -- sie
alle erregen unser Interesse. Ganz besonders Taret ist eine markige charak¬
tervolle Erscheinung. Am wenigsten gelungen ist nach unserer Meinung die
Geliebte: Cava ist die stereotype blonde Jungfrau, die sich lieben und küssen
läßt und auch nach Kräften wieder liebt; eine wirkliche Charakteristik scheint
der Dichter nicht beabsichtigt zu haben.

Alle Kraft und Kunst dichterischer Charakteristik sind dagegen aufge¬
wendet bei den beiden Hauptpersonen -- Noderich und Sindred. Noderich's
Heldensigur ist mit Begeisterung vom Dichter erfaßt und ausgeführt. Die
Persönlichen Eigenschaften Noderich's verbinden sich mit der königlichen
Majestät in ihm zu einem mächtigen Ganzen. Mit vollem Bewußtsein stürzt
Noderich sich in den Kampf gegen die Kirche; von seinem guten Rechte ist er
aufs lebendigste durchdrungen. Mit Energie und mit Klugheit weiß er den
Priester zu fassen; -- er erliegt allein dem Verrathe, der dem auswärtigen
Feinde die Thore des Reiches eröffnet.

Sindred auf der andern Seite ist die volle Repräsentation des kirchlichen
Prinzipes, dessen Bedeutung und Tragweite er voll und ganz übersieht und


„Einst koimut die Zeit, da von den Bergen wieder
Dein Volk, o Not'rieb sieghaft niedersteigt."

Aus dieser kurzen Inhaltsangabe wird schon hervorleuchten einen wie ge¬
waltigen ideenreichen und fesselnden Inhalt dies historische Trauerspiel in sich
birgt. Unverkennbar ist überall der große dramatische Zug, der die ganze
Handlung bewegt und allenthalben auch den Dialog erfüllt.

Und wenn immerhin gegen einzelne Punkte in der Motivirung mit Fug
und Recht, wie wir gesehen, Einwendungen sich erheben, wenn auch an ein¬
zelnen Stellen störende Wiederholungen sich aufzeigen lassen (z. B. jene afri¬
kanische Gefangenschaft Noderich's wird, allerdings immer mit Nuancen, drei¬
mal erzählt): so sind alle diese Punkte geringfügig und verschwindend, sobald
man auf das Ganze der Dichtung hinsieht. Das Ganze übt auf Leser und
Zuschauer eine großartige Wirkung. Aus diesem Drama weht uns der Hauch
idealer Poesie entgegen. Hier werden hohe und ernste Gedanken ausgesprochen,
große Fragen und Aufgaben menschlichen Lebens mit dichterischer Vertiefung
in künstlerischen Formen behandelt.

Der Dialog ist lebendig und charakteristisch; wiederholt begegnen wir
reiflich durchdachten und prächtig ausgedrückten Sentenzen. Und wenn bis¬
weilen die letzte Feile der Sprache vermißt wird, so entschädigt dafür an an¬
deren Stellen hohe Schönheit der Form und des Gedankens.

Auch unter den Nebenfiguren sind eine ganze Anzahl charakterisirter Per¬
sönlichkeiten. Der edle Pelago, der biderbe Garding, der kriegerische Bischof
Gundomar, der Maurenfeldherr Taret, der als sein eigener Gesandter und
Späher bei den Gothen gewesen, auch Noderich's Schwester Theodosia — sie
alle erregen unser Interesse. Ganz besonders Taret ist eine markige charak¬
tervolle Erscheinung. Am wenigsten gelungen ist nach unserer Meinung die
Geliebte: Cava ist die stereotype blonde Jungfrau, die sich lieben und küssen
läßt und auch nach Kräften wieder liebt; eine wirkliche Charakteristik scheint
der Dichter nicht beabsichtigt zu haben.

Alle Kraft und Kunst dichterischer Charakteristik sind dagegen aufge¬
wendet bei den beiden Hauptpersonen — Noderich und Sindred. Noderich's
Heldensigur ist mit Begeisterung vom Dichter erfaßt und ausgeführt. Die
Persönlichen Eigenschaften Noderich's verbinden sich mit der königlichen
Majestät in ihm zu einem mächtigen Ganzen. Mit vollem Bewußtsein stürzt
Noderich sich in den Kampf gegen die Kirche; von seinem guten Rechte ist er
aufs lebendigste durchdrungen. Mit Energie und mit Klugheit weiß er den
Priester zu fassen; — er erliegt allein dem Verrathe, der dem auswärtigen
Feinde die Thore des Reiches eröffnet.

Sindred auf der andern Seite ist die volle Repräsentation des kirchlichen
Prinzipes, dessen Bedeutung und Tragweite er voll und ganz übersieht und


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[0105] „Einst koimut die Zeit, da von den Bergen wieder Dein Volk, o Not'rieb sieghaft niedersteigt." Aus dieser kurzen Inhaltsangabe wird schon hervorleuchten einen wie ge¬ waltigen ideenreichen und fesselnden Inhalt dies historische Trauerspiel in sich birgt. Unverkennbar ist überall der große dramatische Zug, der die ganze Handlung bewegt und allenthalben auch den Dialog erfüllt. Und wenn immerhin gegen einzelne Punkte in der Motivirung mit Fug und Recht, wie wir gesehen, Einwendungen sich erheben, wenn auch an ein¬ zelnen Stellen störende Wiederholungen sich aufzeigen lassen (z. B. jene afri¬ kanische Gefangenschaft Noderich's wird, allerdings immer mit Nuancen, drei¬ mal erzählt): so sind alle diese Punkte geringfügig und verschwindend, sobald man auf das Ganze der Dichtung hinsieht. Das Ganze übt auf Leser und Zuschauer eine großartige Wirkung. Aus diesem Drama weht uns der Hauch idealer Poesie entgegen. Hier werden hohe und ernste Gedanken ausgesprochen, große Fragen und Aufgaben menschlichen Lebens mit dichterischer Vertiefung in künstlerischen Formen behandelt. Der Dialog ist lebendig und charakteristisch; wiederholt begegnen wir reiflich durchdachten und prächtig ausgedrückten Sentenzen. Und wenn bis¬ weilen die letzte Feile der Sprache vermißt wird, so entschädigt dafür an an¬ deren Stellen hohe Schönheit der Form und des Gedankens. Auch unter den Nebenfiguren sind eine ganze Anzahl charakterisirter Per¬ sönlichkeiten. Der edle Pelago, der biderbe Garding, der kriegerische Bischof Gundomar, der Maurenfeldherr Taret, der als sein eigener Gesandter und Späher bei den Gothen gewesen, auch Noderich's Schwester Theodosia — sie alle erregen unser Interesse. Ganz besonders Taret ist eine markige charak¬ tervolle Erscheinung. Am wenigsten gelungen ist nach unserer Meinung die Geliebte: Cava ist die stereotype blonde Jungfrau, die sich lieben und küssen läßt und auch nach Kräften wieder liebt; eine wirkliche Charakteristik scheint der Dichter nicht beabsichtigt zu haben. Alle Kraft und Kunst dichterischer Charakteristik sind dagegen aufge¬ wendet bei den beiden Hauptpersonen — Noderich und Sindred. Noderich's Heldensigur ist mit Begeisterung vom Dichter erfaßt und ausgeführt. Die Persönlichen Eigenschaften Noderich's verbinden sich mit der königlichen Majestät in ihm zu einem mächtigen Ganzen. Mit vollem Bewußtsein stürzt Noderich sich in den Kampf gegen die Kirche; von seinem guten Rechte ist er aufs lebendigste durchdrungen. Mit Energie und mit Klugheit weiß er den Priester zu fassen; — er erliegt allein dem Verrathe, der dem auswärtigen Feinde die Thore des Reiches eröffnet. Sindred auf der andern Seite ist die volle Repräsentation des kirchlichen Prinzipes, dessen Bedeutung und Tragweite er voll und ganz übersieht und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/105>, abgerufen am 06.02.2025.