Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

höhnter König begeht keine Sünde, wenn er in etwas heftigerer Tonart die
sonst nöthigen Gesetze einführt.

Nachdem von den beiden in den ersten Akten die tragische Schuld Node-
rich's vorbereitenden Motiven -- wir meinen seine Verbindung mit Cava
und seine Neigung zu allzu gewaltsamer That -- der Dichter selbst das eine
am Ende des dritten Aktes aus irgend welchem Grunde vollständig bei Seite
geschoben hat, war es nöthig, auf das andere die ganze Last der tragischen
Motivirung zu legen -- wir glauben es ist dadurch in der That diesem an
und für sich schon nicht sehr tragfähigen Pfeiler eine zu schwere Last aufge¬
bürdet worden. Der Leser allerdings wird sich dieses Verhältnisses deutlicher
bewußt werden, als der bloße Zuschauer, dein der Lärm der Ausführung
Manches verdeckt.

Was den Untergang Noderich's und des Gothenreiches heraufbeschworen,
lag am Ende des 4. Aktes schon klar vor uns. Die Bischöfe hatten einen
geheimen Bund mit Taret dem Maurenführer geschlossen, ihm das Reich zu
überliefern. Der letzte Akt zeigt sie in Thätigkeit gegen den Gothenkönig als
Helfer des auswärtigen Feindes. Zwar prallt an den Gothen selbst Sin-
dred's Bannfluch ohnmächtig ab, der Gothen Seelen bleiben ihrem Könige
treu; aber in der entscheidenden Schlacht im entscheidenden Augenblick thut
der Fluch der Kirche seine volle Wirkung bei jenen freigelassenen Sklaven und
Leibeigenen der Kirche, welche Roderich unter seine Krieger aufgenommen
hatte; sie gehen zum Feinde über. Er selbst der König fällt im Kampfe von
verräterischer Hand.

Es war des Dichters Sache auch trotz des Unterganges seines Helden
unseren Sympathien mit Roderich Genugthuung zu verschaffen. Und auf dop¬
pelte Weise versucht er die poetische Gerechtigkeit zum Ausdruck zu bringen.
Einmal ereilt die Bischöfe ihre Strafe. Sindred hatte der Kirche volle Frei¬
heit zusichern lassen, "so lange in Spanien Christenpriester leben"; von dieser
Clausel macht Taret einen ähnlichen Gebrauch wie Roderich im ersten Akt von
der Bedingung seiner Krönung: er nimmt sie wörtlich; er schafft seine Zusage
aus dem Wege, indem er die Bischöfe alle todtzuschlagen befiehlt. Trotz des
drastischen Effektes dieser Schlußscene hätte sich diese Wiederholung vermeiden
lassen. Viel tröstlicher wirkt auf uns der Ausblick in die Zukunft, den die
vorletzte Scene uns eröffnet. Der sterbende Roderich übergiebt seinem Freunde
Pelago die Krone der Gothen; auf Pelago beruht nun die Hoffnung gothi¬
scher Zukunft. In Asturiens Berge gedenkt er sich zurückzuziehen; und nie¬
mals sich zu ergeben, schwören die Gothen mit ihrem neuen König. Mit Be¬
ziehung auf den wirklich eingetretenen Verlauf durfte der Dichter den Aus¬
spruch dem neuen Gothenhelden in den Mund legen:


höhnter König begeht keine Sünde, wenn er in etwas heftigerer Tonart die
sonst nöthigen Gesetze einführt.

Nachdem von den beiden in den ersten Akten die tragische Schuld Node-
rich's vorbereitenden Motiven — wir meinen seine Verbindung mit Cava
und seine Neigung zu allzu gewaltsamer That — der Dichter selbst das eine
am Ende des dritten Aktes aus irgend welchem Grunde vollständig bei Seite
geschoben hat, war es nöthig, auf das andere die ganze Last der tragischen
Motivirung zu legen — wir glauben es ist dadurch in der That diesem an
und für sich schon nicht sehr tragfähigen Pfeiler eine zu schwere Last aufge¬
bürdet worden. Der Leser allerdings wird sich dieses Verhältnisses deutlicher
bewußt werden, als der bloße Zuschauer, dein der Lärm der Ausführung
Manches verdeckt.

Was den Untergang Noderich's und des Gothenreiches heraufbeschworen,
lag am Ende des 4. Aktes schon klar vor uns. Die Bischöfe hatten einen
geheimen Bund mit Taret dem Maurenführer geschlossen, ihm das Reich zu
überliefern. Der letzte Akt zeigt sie in Thätigkeit gegen den Gothenkönig als
Helfer des auswärtigen Feindes. Zwar prallt an den Gothen selbst Sin-
dred's Bannfluch ohnmächtig ab, der Gothen Seelen bleiben ihrem Könige
treu; aber in der entscheidenden Schlacht im entscheidenden Augenblick thut
der Fluch der Kirche seine volle Wirkung bei jenen freigelassenen Sklaven und
Leibeigenen der Kirche, welche Roderich unter seine Krieger aufgenommen
hatte; sie gehen zum Feinde über. Er selbst der König fällt im Kampfe von
verräterischer Hand.

Es war des Dichters Sache auch trotz des Unterganges seines Helden
unseren Sympathien mit Roderich Genugthuung zu verschaffen. Und auf dop¬
pelte Weise versucht er die poetische Gerechtigkeit zum Ausdruck zu bringen.
Einmal ereilt die Bischöfe ihre Strafe. Sindred hatte der Kirche volle Frei¬
heit zusichern lassen, „so lange in Spanien Christenpriester leben"; von dieser
Clausel macht Taret einen ähnlichen Gebrauch wie Roderich im ersten Akt von
der Bedingung seiner Krönung: er nimmt sie wörtlich; er schafft seine Zusage
aus dem Wege, indem er die Bischöfe alle todtzuschlagen befiehlt. Trotz des
drastischen Effektes dieser Schlußscene hätte sich diese Wiederholung vermeiden
lassen. Viel tröstlicher wirkt auf uns der Ausblick in die Zukunft, den die
vorletzte Scene uns eröffnet. Der sterbende Roderich übergiebt seinem Freunde
Pelago die Krone der Gothen; auf Pelago beruht nun die Hoffnung gothi¬
scher Zukunft. In Asturiens Berge gedenkt er sich zurückzuziehen; und nie¬
mals sich zu ergeben, schwören die Gothen mit ihrem neuen König. Mit Be¬
ziehung auf den wirklich eingetretenen Verlauf durfte der Dichter den Aus¬
spruch dem neuen Gothenhelden in den Mund legen:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0104" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133392"/>
          <p xml:id="ID_318" prev="#ID_317"> höhnter König begeht keine Sünde, wenn er in etwas heftigerer Tonart die<lb/>
sonst nöthigen Gesetze einführt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_319"> Nachdem von den beiden in den ersten Akten die tragische Schuld Node-<lb/>
rich's vorbereitenden Motiven &#x2014; wir meinen seine Verbindung mit Cava<lb/>
und seine Neigung zu allzu gewaltsamer That &#x2014; der Dichter selbst das eine<lb/>
am Ende des dritten Aktes aus irgend welchem Grunde vollständig bei Seite<lb/>
geschoben hat, war es nöthig, auf das andere die ganze Last der tragischen<lb/>
Motivirung zu legen &#x2014; wir glauben es ist dadurch in der That diesem an<lb/>
und für sich schon nicht sehr tragfähigen Pfeiler eine zu schwere Last aufge¬<lb/>
bürdet worden. Der Leser allerdings wird sich dieses Verhältnisses deutlicher<lb/>
bewußt werden, als der bloße Zuschauer, dein der Lärm der Ausführung<lb/>
Manches verdeckt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_320"> Was den Untergang Noderich's und des Gothenreiches heraufbeschworen,<lb/>
lag am Ende des 4. Aktes schon klar vor uns. Die Bischöfe hatten einen<lb/>
geheimen Bund mit Taret dem Maurenführer geschlossen, ihm das Reich zu<lb/>
überliefern. Der letzte Akt zeigt sie in Thätigkeit gegen den Gothenkönig als<lb/>
Helfer des auswärtigen Feindes. Zwar prallt an den Gothen selbst Sin-<lb/>
dred's Bannfluch ohnmächtig ab, der Gothen Seelen bleiben ihrem Könige<lb/>
treu; aber in der entscheidenden Schlacht im entscheidenden Augenblick thut<lb/>
der Fluch der Kirche seine volle Wirkung bei jenen freigelassenen Sklaven und<lb/>
Leibeigenen der Kirche, welche Roderich unter seine Krieger aufgenommen<lb/>
hatte; sie gehen zum Feinde über. Er selbst der König fällt im Kampfe von<lb/>
verräterischer Hand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_321"> Es war des Dichters Sache auch trotz des Unterganges seines Helden<lb/>
unseren Sympathien mit Roderich Genugthuung zu verschaffen. Und auf dop¬<lb/>
pelte Weise versucht er die poetische Gerechtigkeit zum Ausdruck zu bringen.<lb/>
Einmal ereilt die Bischöfe ihre Strafe. Sindred hatte der Kirche volle Frei¬<lb/>
heit zusichern lassen, &#x201E;so lange in Spanien Christenpriester leben"; von dieser<lb/>
Clausel macht Taret einen ähnlichen Gebrauch wie Roderich im ersten Akt von<lb/>
der Bedingung seiner Krönung: er nimmt sie wörtlich; er schafft seine Zusage<lb/>
aus dem Wege, indem er die Bischöfe alle todtzuschlagen befiehlt. Trotz des<lb/>
drastischen Effektes dieser Schlußscene hätte sich diese Wiederholung vermeiden<lb/>
lassen. Viel tröstlicher wirkt auf uns der Ausblick in die Zukunft, den die<lb/>
vorletzte Scene uns eröffnet. Der sterbende Roderich übergiebt seinem Freunde<lb/>
Pelago die Krone der Gothen; auf Pelago beruht nun die Hoffnung gothi¬<lb/>
scher Zukunft. In Asturiens Berge gedenkt er sich zurückzuziehen; und nie¬<lb/>
mals sich zu ergeben, schwören die Gothen mit ihrem neuen König. Mit Be¬<lb/>
ziehung auf den wirklich eingetretenen Verlauf durfte der Dichter den Aus¬<lb/>
spruch dem neuen Gothenhelden in den Mund legen:</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0104] höhnter König begeht keine Sünde, wenn er in etwas heftigerer Tonart die sonst nöthigen Gesetze einführt. Nachdem von den beiden in den ersten Akten die tragische Schuld Node- rich's vorbereitenden Motiven — wir meinen seine Verbindung mit Cava und seine Neigung zu allzu gewaltsamer That — der Dichter selbst das eine am Ende des dritten Aktes aus irgend welchem Grunde vollständig bei Seite geschoben hat, war es nöthig, auf das andere die ganze Last der tragischen Motivirung zu legen — wir glauben es ist dadurch in der That diesem an und für sich schon nicht sehr tragfähigen Pfeiler eine zu schwere Last aufge¬ bürdet worden. Der Leser allerdings wird sich dieses Verhältnisses deutlicher bewußt werden, als der bloße Zuschauer, dein der Lärm der Ausführung Manches verdeckt. Was den Untergang Noderich's und des Gothenreiches heraufbeschworen, lag am Ende des 4. Aktes schon klar vor uns. Die Bischöfe hatten einen geheimen Bund mit Taret dem Maurenführer geschlossen, ihm das Reich zu überliefern. Der letzte Akt zeigt sie in Thätigkeit gegen den Gothenkönig als Helfer des auswärtigen Feindes. Zwar prallt an den Gothen selbst Sin- dred's Bannfluch ohnmächtig ab, der Gothen Seelen bleiben ihrem Könige treu; aber in der entscheidenden Schlacht im entscheidenden Augenblick thut der Fluch der Kirche seine volle Wirkung bei jenen freigelassenen Sklaven und Leibeigenen der Kirche, welche Roderich unter seine Krieger aufgenommen hatte; sie gehen zum Feinde über. Er selbst der König fällt im Kampfe von verräterischer Hand. Es war des Dichters Sache auch trotz des Unterganges seines Helden unseren Sympathien mit Roderich Genugthuung zu verschaffen. Und auf dop¬ pelte Weise versucht er die poetische Gerechtigkeit zum Ausdruck zu bringen. Einmal ereilt die Bischöfe ihre Strafe. Sindred hatte der Kirche volle Frei¬ heit zusichern lassen, „so lange in Spanien Christenpriester leben"; von dieser Clausel macht Taret einen ähnlichen Gebrauch wie Roderich im ersten Akt von der Bedingung seiner Krönung: er nimmt sie wörtlich; er schafft seine Zusage aus dem Wege, indem er die Bischöfe alle todtzuschlagen befiehlt. Trotz des drastischen Effektes dieser Schlußscene hätte sich diese Wiederholung vermeiden lassen. Viel tröstlicher wirkt auf uns der Ausblick in die Zukunft, den die vorletzte Scene uns eröffnet. Der sterbende Roderich übergiebt seinem Freunde Pelago die Krone der Gothen; auf Pelago beruht nun die Hoffnung gothi¬ scher Zukunft. In Asturiens Berge gedenkt er sich zurückzuziehen; und nie¬ mals sich zu ergeben, schwören die Gothen mit ihrem neuen König. Mit Be¬ ziehung auf den wirklich eingetretenen Verlauf durfte der Dichter den Aus¬ spruch dem neuen Gothenhelden in den Mund legen:

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/104
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/104>, abgerufen am 06.02.2025.