Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Da endlich reißt ihm die Geduld, und der alte leidenschaftliche Haß, der
in seiner Brust von Anfang an vorhanden gewesen, bricht in heftigem Toben
gegen die Bischöfe und die Kirche Spaniens los. Seine Umgebung ist durch
dies Auftreten des Königs erschreckt und beunruhigt; seine einzelnen Gebote
werden von dem eigenen Anhang mit abmahnenden Worten begleitet: der
Gipfel seines Unmuthes ist erreicht, als er das Privilegium Reccared's, auf
das die Kirche ihre Ansprüche gegründet, und das Sindred zur Abwehr ihm
entgegengehalten mit eigenem Schwerte zerstückt. Als er sich zum Vertheidi¬
gungskampfe wider die Mauren erhebt, da hat er -- so ist unzweifelhaft die
Anschauung des Dichters -- durch Uebertreibung seiner antikirchlichen Ma߬
regeln das Maaß des Nothwendigen und Gerechten überschritten. Das ist
seine Verschuldung: deshalb geht er unter.

Bei lebendiger Darstellung auf der Bühne erhalten wir unzweifelhaft
den Eindruck, daß die letzten Maßregeln Roderich's von ihm erlassen sind in
leidenschaftlicher Aufwallung, in stürmischem Jähzorn. Und die Ausrufe von
Roderich's Freunden, die voller Entsetzen ihn warnen, sind ganz geeignet diese
Stimmung in uns zu befestigen und verstärken. Aber wir können nicht um¬
hin an dieser Stelle noch einmal eine Schwäche dramatischer Begründung zu
erblicken, welche im engsten Zusammenhang steht mit jener soeben besproche¬
nen früheren Wendung. Mag die Aufführung bei schnell gewähltem Tempo
der Sprache, bei gelungener Versinnlichung der Leidenschaft die Schwäche vor¬
übergehend verdecken, vorhanden ist sie doch und bei der Lectüre wird sie we¬
nigen Lesern entgehen. Denn jene letztern Maßregeln Roderich's, in denen
er, von seinem Jähzorn bethört, unbilliges und ungehöriges der Kirche auf¬
gelegt haben soll, -- sie sind für unser Empfinden ganz sicher gar nicht so
ungeheuerliche, wir werden sie vielmehr eigentlich für ganz wohl motivirte und
billige erklären müssen. Noderich verfügt die Freilassung der Ktrchensklaven,
ihre Waffenfähigkett und Einreihung ins gothische Heer; statt der bisherigen
Steuerfreiheit legt er den Kirchengütern eine doppelte Steuerquote auf; er
nimmt der Kirche die Hälfte der Kirchengesäße, um damit den Kriegsschatz zu
füllen: alles das sind Maßregeln, die einschneidend den bisherigen Zustand
ändern, die aber in dieser äußersten Noth und Gefahr des Reiches kaum dem
Gefühl der damaligen Zeit, sicher nicht unserer Anschauungsweise allzu hart
oder gar unerhört erscheinen können. Und wenn auch Roderich zuletzt, in
symbolischer Handlung die Aenderung des Rechtszustandes der Kirche darstel¬
lend, das Ktrchenprivilegium vernichtet, d. h. wenn er die von seinem Bor¬
gänger der Kirche gewährte Ausnahmestellung seinerseits kraft königlicher
Macht aufhebt, so ist nach dem was vorgegangen auch diese rasche That kein
so schweres Verbrechen, keine so schwere Schuld, daß sie Roderich's Untergang
nach sich ziehen müßte. Ein so stark gereizter, muthwillig vom Priester ver-


Da endlich reißt ihm die Geduld, und der alte leidenschaftliche Haß, der
in seiner Brust von Anfang an vorhanden gewesen, bricht in heftigem Toben
gegen die Bischöfe und die Kirche Spaniens los. Seine Umgebung ist durch
dies Auftreten des Königs erschreckt und beunruhigt; seine einzelnen Gebote
werden von dem eigenen Anhang mit abmahnenden Worten begleitet: der
Gipfel seines Unmuthes ist erreicht, als er das Privilegium Reccared's, auf
das die Kirche ihre Ansprüche gegründet, und das Sindred zur Abwehr ihm
entgegengehalten mit eigenem Schwerte zerstückt. Als er sich zum Vertheidi¬
gungskampfe wider die Mauren erhebt, da hat er — so ist unzweifelhaft die
Anschauung des Dichters — durch Uebertreibung seiner antikirchlichen Ma߬
regeln das Maaß des Nothwendigen und Gerechten überschritten. Das ist
seine Verschuldung: deshalb geht er unter.

Bei lebendiger Darstellung auf der Bühne erhalten wir unzweifelhaft
den Eindruck, daß die letzten Maßregeln Roderich's von ihm erlassen sind in
leidenschaftlicher Aufwallung, in stürmischem Jähzorn. Und die Ausrufe von
Roderich's Freunden, die voller Entsetzen ihn warnen, sind ganz geeignet diese
Stimmung in uns zu befestigen und verstärken. Aber wir können nicht um¬
hin an dieser Stelle noch einmal eine Schwäche dramatischer Begründung zu
erblicken, welche im engsten Zusammenhang steht mit jener soeben besproche¬
nen früheren Wendung. Mag die Aufführung bei schnell gewähltem Tempo
der Sprache, bei gelungener Versinnlichung der Leidenschaft die Schwäche vor¬
übergehend verdecken, vorhanden ist sie doch und bei der Lectüre wird sie we¬
nigen Lesern entgehen. Denn jene letztern Maßregeln Roderich's, in denen
er, von seinem Jähzorn bethört, unbilliges und ungehöriges der Kirche auf¬
gelegt haben soll, — sie sind für unser Empfinden ganz sicher gar nicht so
ungeheuerliche, wir werden sie vielmehr eigentlich für ganz wohl motivirte und
billige erklären müssen. Noderich verfügt die Freilassung der Ktrchensklaven,
ihre Waffenfähigkett und Einreihung ins gothische Heer; statt der bisherigen
Steuerfreiheit legt er den Kirchengütern eine doppelte Steuerquote auf; er
nimmt der Kirche die Hälfte der Kirchengesäße, um damit den Kriegsschatz zu
füllen: alles das sind Maßregeln, die einschneidend den bisherigen Zustand
ändern, die aber in dieser äußersten Noth und Gefahr des Reiches kaum dem
Gefühl der damaligen Zeit, sicher nicht unserer Anschauungsweise allzu hart
oder gar unerhört erscheinen können. Und wenn auch Roderich zuletzt, in
symbolischer Handlung die Aenderung des Rechtszustandes der Kirche darstel¬
lend, das Ktrchenprivilegium vernichtet, d. h. wenn er die von seinem Bor¬
gänger der Kirche gewährte Ausnahmestellung seinerseits kraft königlicher
Macht aufhebt, so ist nach dem was vorgegangen auch diese rasche That kein
so schweres Verbrechen, keine so schwere Schuld, daß sie Roderich's Untergang
nach sich ziehen müßte. Ein so stark gereizter, muthwillig vom Priester ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0103" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133391"/>
          <p xml:id="ID_316"> Da endlich reißt ihm die Geduld, und der alte leidenschaftliche Haß, der<lb/>
in seiner Brust von Anfang an vorhanden gewesen, bricht in heftigem Toben<lb/>
gegen die Bischöfe und die Kirche Spaniens los. Seine Umgebung ist durch<lb/>
dies Auftreten des Königs erschreckt und beunruhigt; seine einzelnen Gebote<lb/>
werden von dem eigenen Anhang mit abmahnenden Worten begleitet: der<lb/>
Gipfel seines Unmuthes ist erreicht, als er das Privilegium Reccared's, auf<lb/>
das die Kirche ihre Ansprüche gegründet, und das Sindred zur Abwehr ihm<lb/>
entgegengehalten mit eigenem Schwerte zerstückt. Als er sich zum Vertheidi¬<lb/>
gungskampfe wider die Mauren erhebt, da hat er &#x2014; so ist unzweifelhaft die<lb/>
Anschauung des Dichters &#x2014; durch Uebertreibung seiner antikirchlichen Ma߬<lb/>
regeln das Maaß des Nothwendigen und Gerechten überschritten. Das ist<lb/>
seine Verschuldung: deshalb geht er unter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_317" next="#ID_318"> Bei lebendiger Darstellung auf der Bühne erhalten wir unzweifelhaft<lb/>
den Eindruck, daß die letzten Maßregeln Roderich's von ihm erlassen sind in<lb/>
leidenschaftlicher Aufwallung, in stürmischem Jähzorn. Und die Ausrufe von<lb/>
Roderich's Freunden, die voller Entsetzen ihn warnen, sind ganz geeignet diese<lb/>
Stimmung in uns zu befestigen und verstärken. Aber wir können nicht um¬<lb/>
hin an dieser Stelle noch einmal eine Schwäche dramatischer Begründung zu<lb/>
erblicken, welche im engsten Zusammenhang steht mit jener soeben besproche¬<lb/>
nen früheren Wendung. Mag die Aufführung bei schnell gewähltem Tempo<lb/>
der Sprache, bei gelungener Versinnlichung der Leidenschaft die Schwäche vor¬<lb/>
übergehend verdecken, vorhanden ist sie doch und bei der Lectüre wird sie we¬<lb/>
nigen Lesern entgehen. Denn jene letztern Maßregeln Roderich's, in denen<lb/>
er, von seinem Jähzorn bethört, unbilliges und ungehöriges der Kirche auf¬<lb/>
gelegt haben soll, &#x2014; sie sind für unser Empfinden ganz sicher gar nicht so<lb/>
ungeheuerliche, wir werden sie vielmehr eigentlich für ganz wohl motivirte und<lb/>
billige erklären müssen. Noderich verfügt die Freilassung der Ktrchensklaven,<lb/>
ihre Waffenfähigkett und Einreihung ins gothische Heer; statt der bisherigen<lb/>
Steuerfreiheit legt er den Kirchengütern eine doppelte Steuerquote auf; er<lb/>
nimmt der Kirche die Hälfte der Kirchengesäße, um damit den Kriegsschatz zu<lb/>
füllen: alles das sind Maßregeln, die einschneidend den bisherigen Zustand<lb/>
ändern, die aber in dieser äußersten Noth und Gefahr des Reiches kaum dem<lb/>
Gefühl der damaligen Zeit, sicher nicht unserer Anschauungsweise allzu hart<lb/>
oder gar unerhört erscheinen können. Und wenn auch Roderich zuletzt, in<lb/>
symbolischer Handlung die Aenderung des Rechtszustandes der Kirche darstel¬<lb/>
lend, das Ktrchenprivilegium vernichtet, d. h. wenn er die von seinem Bor¬<lb/>
gänger der Kirche gewährte Ausnahmestellung seinerseits kraft königlicher<lb/>
Macht aufhebt, so ist nach dem was vorgegangen auch diese rasche That kein<lb/>
so schweres Verbrechen, keine so schwere Schuld, daß sie Roderich's Untergang<lb/>
nach sich ziehen müßte. Ein so stark gereizter, muthwillig vom Priester ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0103] Da endlich reißt ihm die Geduld, und der alte leidenschaftliche Haß, der in seiner Brust von Anfang an vorhanden gewesen, bricht in heftigem Toben gegen die Bischöfe und die Kirche Spaniens los. Seine Umgebung ist durch dies Auftreten des Königs erschreckt und beunruhigt; seine einzelnen Gebote werden von dem eigenen Anhang mit abmahnenden Worten begleitet: der Gipfel seines Unmuthes ist erreicht, als er das Privilegium Reccared's, auf das die Kirche ihre Ansprüche gegründet, und das Sindred zur Abwehr ihm entgegengehalten mit eigenem Schwerte zerstückt. Als er sich zum Vertheidi¬ gungskampfe wider die Mauren erhebt, da hat er — so ist unzweifelhaft die Anschauung des Dichters — durch Uebertreibung seiner antikirchlichen Ma߬ regeln das Maaß des Nothwendigen und Gerechten überschritten. Das ist seine Verschuldung: deshalb geht er unter. Bei lebendiger Darstellung auf der Bühne erhalten wir unzweifelhaft den Eindruck, daß die letzten Maßregeln Roderich's von ihm erlassen sind in leidenschaftlicher Aufwallung, in stürmischem Jähzorn. Und die Ausrufe von Roderich's Freunden, die voller Entsetzen ihn warnen, sind ganz geeignet diese Stimmung in uns zu befestigen und verstärken. Aber wir können nicht um¬ hin an dieser Stelle noch einmal eine Schwäche dramatischer Begründung zu erblicken, welche im engsten Zusammenhang steht mit jener soeben besproche¬ nen früheren Wendung. Mag die Aufführung bei schnell gewähltem Tempo der Sprache, bei gelungener Versinnlichung der Leidenschaft die Schwäche vor¬ übergehend verdecken, vorhanden ist sie doch und bei der Lectüre wird sie we¬ nigen Lesern entgehen. Denn jene letztern Maßregeln Roderich's, in denen er, von seinem Jähzorn bethört, unbilliges und ungehöriges der Kirche auf¬ gelegt haben soll, — sie sind für unser Empfinden ganz sicher gar nicht so ungeheuerliche, wir werden sie vielmehr eigentlich für ganz wohl motivirte und billige erklären müssen. Noderich verfügt die Freilassung der Ktrchensklaven, ihre Waffenfähigkett und Einreihung ins gothische Heer; statt der bisherigen Steuerfreiheit legt er den Kirchengütern eine doppelte Steuerquote auf; er nimmt der Kirche die Hälfte der Kirchengesäße, um damit den Kriegsschatz zu füllen: alles das sind Maßregeln, die einschneidend den bisherigen Zustand ändern, die aber in dieser äußersten Noth und Gefahr des Reiches kaum dem Gefühl der damaligen Zeit, sicher nicht unserer Anschauungsweise allzu hart oder gar unerhört erscheinen können. Und wenn auch Roderich zuletzt, in symbolischer Handlung die Aenderung des Rechtszustandes der Kirche darstel¬ lend, das Ktrchenprivilegium vernichtet, d. h. wenn er die von seinem Bor¬ gänger der Kirche gewährte Ausnahmestellung seinerseits kraft königlicher Macht aufhebt, so ist nach dem was vorgegangen auch diese rasche That kein so schweres Verbrechen, keine so schwere Schuld, daß sie Roderich's Untergang nach sich ziehen müßte. Ein so stark gereizter, muthwillig vom Priester ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/103
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/103>, abgerufen am 06.02.2025.