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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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doch es absolut verwerflich, daß der Geistliche sich zwischen Mann und Frau
als Gewissensrath stellt und. wie es durch die Beichte oft geschieht, eindrängt.
Gefällt es in den Zeiten der Frauen-Emancipationen ohnehin vielen ihre
natürlichen Vorzüge und ihre Stellung verkennenden Frauen nicht recht, daß
sie dem Manne Gehorsam in allen rechtlichen Dingen schulden, so ist es zu
begreiflich, wie gern sie den Helfer in einem hochgestellten Manne begrüßen,
an dem sie, weil er unverheirathet ist, zugleich erproben können, wie weit
ihrem Einflüsse die Frömmigkeit und Askese dieses Mannes gewachsen ist.
Mag dieses auch nicht immer der Fall sein und meistens mehr ein Spiel der
Gedanken und Empfindungen bleiben und nicht stets zur groben Pflichtver¬
letzung führen, so genügt es doch, daß die Versuchung vorhanden und das
"Führe uns nicht in Versuchung!" leider oft unbeachtet bleibt. In den
Gegenden, wo das Volk naiv die "Frau" Köchin anerkennt und gelten läßt,
ist es weniger gefährlich. Schlimmer ist es am Rhein, wo die Politik der
Ultramontanen die feinsten Formen der Höflichkeit und des guten Geschmackes,
die größten Wohlthaten gegen Arme und Bedrängte und den in vielen Fällen
großartigsten Aufwand an Kunst und Intelligenz zu Hülfe nimmt, um dem
Volke die Erhabenheit der Mutter Kirche und ihre göttliche Mission zu be¬
weisen. Dort ist es nur zu leicht gelungen, die Frauen und die Männer so
zu begeistern, daß sie nicht mehr die von Rom geleiteten Fäden sehen, welche
die Herrschsucht einer Priesterkaste unter dem erhabensten Vorwande über dieses
schöne Land gebreitet hat.

Wie schon bemerkt, kurirt man das Uebel an der Wurzel nur dann,
wenn man den zu weit gehenden Einfluß der Geistlichkeit in der Schule und
bei den Frauen bekämpft und letztere über ihre Stellung in den Augen der
römischen Kirche belehrt. Was das Cölibat betrifft, so bedarf es wohl keines
Beweises, daß diejenige niedrig gestellt wird, mit der der Umgang oder die ehe¬
liche Gemeinschaft verboten ist.

Auch wird ja die Jungfräulichkeit von der Kirche über die Ehe gestellt
und das Wort des Apostels "Nichtheirathen ist besser" welches auf das Opfer
der Ehelosigkeit für die großen Zwecke des Apostolats hindeutet, in allgemeinem
Sinne genommen. Es harmonirt dieses mit der übermenschlichen Stellung,
welche in hochmütigster Weise die Priesterkaste Roms sich zuschreibt. "Be¬
gegnet Euch ein Engel des Himmels und zugleich ein Geistlicher, so habt Ihr
zuerst vor dem Geistlichen und dann vor dem Engel den Hut abzuziehen, denn
der Geistliche ist durch die ihm verliehene Gewalt mächtiger wie der Engel.
In der Stufenreihe der Geschöpfe folgt also auf das Thier der Mensch,
dann der Engel, dann der Geistliche und dann Gott als Schöpfer."

So lautete wörtlich die Ansprache eines Geistlichen bei der Primiz eines
Freundes, um die Bauern zu belehren, welche Hochachtung und Unterwürfig'


Grenzboten I. 1875. 10

doch es absolut verwerflich, daß der Geistliche sich zwischen Mann und Frau
als Gewissensrath stellt und. wie es durch die Beichte oft geschieht, eindrängt.
Gefällt es in den Zeiten der Frauen-Emancipationen ohnehin vielen ihre
natürlichen Vorzüge und ihre Stellung verkennenden Frauen nicht recht, daß
sie dem Manne Gehorsam in allen rechtlichen Dingen schulden, so ist es zu
begreiflich, wie gern sie den Helfer in einem hochgestellten Manne begrüßen,
an dem sie, weil er unverheirathet ist, zugleich erproben können, wie weit
ihrem Einflüsse die Frömmigkeit und Askese dieses Mannes gewachsen ist.
Mag dieses auch nicht immer der Fall sein und meistens mehr ein Spiel der
Gedanken und Empfindungen bleiben und nicht stets zur groben Pflichtver¬
letzung führen, so genügt es doch, daß die Versuchung vorhanden und das
„Führe uns nicht in Versuchung!" leider oft unbeachtet bleibt. In den
Gegenden, wo das Volk naiv die „Frau" Köchin anerkennt und gelten läßt,
ist es weniger gefährlich. Schlimmer ist es am Rhein, wo die Politik der
Ultramontanen die feinsten Formen der Höflichkeit und des guten Geschmackes,
die größten Wohlthaten gegen Arme und Bedrängte und den in vielen Fällen
großartigsten Aufwand an Kunst und Intelligenz zu Hülfe nimmt, um dem
Volke die Erhabenheit der Mutter Kirche und ihre göttliche Mission zu be¬
weisen. Dort ist es nur zu leicht gelungen, die Frauen und die Männer so
zu begeistern, daß sie nicht mehr die von Rom geleiteten Fäden sehen, welche
die Herrschsucht einer Priesterkaste unter dem erhabensten Vorwande über dieses
schöne Land gebreitet hat.

Wie schon bemerkt, kurirt man das Uebel an der Wurzel nur dann,
wenn man den zu weit gehenden Einfluß der Geistlichkeit in der Schule und
bei den Frauen bekämpft und letztere über ihre Stellung in den Augen der
römischen Kirche belehrt. Was das Cölibat betrifft, so bedarf es wohl keines
Beweises, daß diejenige niedrig gestellt wird, mit der der Umgang oder die ehe¬
liche Gemeinschaft verboten ist.

Auch wird ja die Jungfräulichkeit von der Kirche über die Ehe gestellt
und das Wort des Apostels „Nichtheirathen ist besser" welches auf das Opfer
der Ehelosigkeit für die großen Zwecke des Apostolats hindeutet, in allgemeinem
Sinne genommen. Es harmonirt dieses mit der übermenschlichen Stellung,
welche in hochmütigster Weise die Priesterkaste Roms sich zuschreibt. „Be¬
gegnet Euch ein Engel des Himmels und zugleich ein Geistlicher, so habt Ihr
zuerst vor dem Geistlichen und dann vor dem Engel den Hut abzuziehen, denn
der Geistliche ist durch die ihm verliehene Gewalt mächtiger wie der Engel.
In der Stufenreihe der Geschöpfe folgt also auf das Thier der Mensch,
dann der Engel, dann der Geistliche und dann Gott als Schöpfer."

So lautete wörtlich die Ansprache eines Geistlichen bei der Primiz eines
Freundes, um die Bauern zu belehren, welche Hochachtung und Unterwürfig'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/81>, abgerufen am 23.07.2024.