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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Vogtlande hören diese slavischen Localnamen fast gänzlich auf, ein Beweis, daß
bis dahin slavische Siedler nie gedrungen sind. Hier ist die eigentliche Heimat
der deutschen Ortsnamen auf -- roth und -- grün (Reuth, Voitersreuth,
Rebersreuth; Christiansreuth; Hohengrün, Hartmannsgrün, Reiboldsgrün,
Wolfsgrün); jene finden ihre Analoga in den zahlreichen süddeutschen Orts¬
namen auf -- rout, und den norddeutschen auf --rode, diese äußerst zahl¬
reich, wie sie sind (über 200), kommen vor 1100 überhaupt nicht vor; die
Orte also, deren Namen jenes Element erhalten, können erst im 12. Jahr¬
hundert entstanden sein. *) So ergiebt sich aus der Menge der deutschen Orts¬
namen, welche im oberen Vogtlande fast ausschließlich existiren, im untern
an Zahl den slavischen mindestens gleichkommen, daß von Anfang an ein
starker Strom fränkischer Colonisten sich über das vogtlandische Hochplateau
und seine Flußthäler ergossen, daß die deutsche Bevölkerung frühzeitig die ein¬
heimische slavische an Zahl weit übertroffen hat. Und eine wirkliche Vermischung
beider Volkselemente hat hier gewiß so wenig wie anderwärts stattgefunden.
Wo die deutschen Herren einrückten, unterwarfen sie das slavische Landvolk
ihrer Herrschaft und brachten es in Hörigkeit oder Leibeigenschaft, wie denn
der slavische Ausdruck für Hörige, saur6i, auch in einer vogtlävdischen Ur¬
kunde von 1122 vorkommt; das slavische Recht verschwand, nur das der
Eroberer galt. Die deutschen Bauern aber, welche das wüstliegende Land
röteten und urbar machten, wanderten ein als freie Leute, hatten besseres
Recht als die Slaven. Mit dem doppelten Stolze des Deutschen und des
Christen traten sie dem slavischen Landvolk gegenüber. Und die städtischen
Innungen verschlossen sich herrisch gegen alle nichtdeutschen. Auch die Sorben
des Vogtlandes also haben sich schwerlich mit dem Deutschen vermischt; ihre
Sprache und Nationalität verschwand allmählich gegenüber der überlegnen
Cultur des Siegers, obwohl noch um 1122 die Bewohner der Gegend um
Plauen nur oberflächlich das Christenthum.bekannten, also sicher noch Slaven
waren. Nur einzelne Worte blieben haften, wie britschen (Siao. drin-ig) und
karbatschen (Siao. Kardaeü) in der Bedeutung prügeln, und manche Personen¬
namen erschienen in slavisirter Form z. B. Dietsch, Dietzel für Dietrich.

Haben wir im Vogtlande nun eine wesentlich germanische, nur wenig
mit slavischen Elementen versetzte Bevölkerung vor uns, nicht eine der Haupt¬
sache nach slavische, nachträglich germanisirte, so bildet dies offenbar ein
wichtiges Moment der Erklärung für das Fortleben des Volksliedes. Es ist
ein Erbstück der fränkischen Stammeseltern, vor allem ihres zur fröhlichen
Geselligkeit geneigten Charakterzuges; slavisches ist nicht in ihm.



') H. Dung er, Ueber die Ortsnamen des Vogtlandes in den Mittheilungen aus
dem Archive des. Vogtländischen alterthumsforschmden Vereins in Hohenleuben nebst dem 41.
42,, 4S. Jahresberichte S, 3S>.

Vogtlande hören diese slavischen Localnamen fast gänzlich auf, ein Beweis, daß
bis dahin slavische Siedler nie gedrungen sind. Hier ist die eigentliche Heimat
der deutschen Ortsnamen auf — roth und — grün (Reuth, Voitersreuth,
Rebersreuth; Christiansreuth; Hohengrün, Hartmannsgrün, Reiboldsgrün,
Wolfsgrün); jene finden ihre Analoga in den zahlreichen süddeutschen Orts¬
namen auf — rout, und den norddeutschen auf —rode, diese äußerst zahl¬
reich, wie sie sind (über 200), kommen vor 1100 überhaupt nicht vor; die
Orte also, deren Namen jenes Element erhalten, können erst im 12. Jahr¬
hundert entstanden sein. *) So ergiebt sich aus der Menge der deutschen Orts¬
namen, welche im oberen Vogtlande fast ausschließlich existiren, im untern
an Zahl den slavischen mindestens gleichkommen, daß von Anfang an ein
starker Strom fränkischer Colonisten sich über das vogtlandische Hochplateau
und seine Flußthäler ergossen, daß die deutsche Bevölkerung frühzeitig die ein¬
heimische slavische an Zahl weit übertroffen hat. Und eine wirkliche Vermischung
beider Volkselemente hat hier gewiß so wenig wie anderwärts stattgefunden.
Wo die deutschen Herren einrückten, unterwarfen sie das slavische Landvolk
ihrer Herrschaft und brachten es in Hörigkeit oder Leibeigenschaft, wie denn
der slavische Ausdruck für Hörige, saur6i, auch in einer vogtlävdischen Ur¬
kunde von 1122 vorkommt; das slavische Recht verschwand, nur das der
Eroberer galt. Die deutschen Bauern aber, welche das wüstliegende Land
röteten und urbar machten, wanderten ein als freie Leute, hatten besseres
Recht als die Slaven. Mit dem doppelten Stolze des Deutschen und des
Christen traten sie dem slavischen Landvolk gegenüber. Und die städtischen
Innungen verschlossen sich herrisch gegen alle nichtdeutschen. Auch die Sorben
des Vogtlandes also haben sich schwerlich mit dem Deutschen vermischt; ihre
Sprache und Nationalität verschwand allmählich gegenüber der überlegnen
Cultur des Siegers, obwohl noch um 1122 die Bewohner der Gegend um
Plauen nur oberflächlich das Christenthum.bekannten, also sicher noch Slaven
waren. Nur einzelne Worte blieben haften, wie britschen (Siao. drin-ig) und
karbatschen (Siao. Kardaeü) in der Bedeutung prügeln, und manche Personen¬
namen erschienen in slavisirter Form z. B. Dietsch, Dietzel für Dietrich.

Haben wir im Vogtlande nun eine wesentlich germanische, nur wenig
mit slavischen Elementen versetzte Bevölkerung vor uns, nicht eine der Haupt¬
sache nach slavische, nachträglich germanisirte, so bildet dies offenbar ein
wichtiges Moment der Erklärung für das Fortleben des Volksliedes. Es ist
ein Erbstück der fränkischen Stammeseltern, vor allem ihres zur fröhlichen
Geselligkeit geneigten Charakterzuges; slavisches ist nicht in ihm.



') H. Dung er, Ueber die Ortsnamen des Vogtlandes in den Mittheilungen aus
dem Archive des. Vogtländischen alterthumsforschmden Vereins in Hohenleuben nebst dem 41.
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[0071] Vogtlande hören diese slavischen Localnamen fast gänzlich auf, ein Beweis, daß bis dahin slavische Siedler nie gedrungen sind. Hier ist die eigentliche Heimat der deutschen Ortsnamen auf — roth und — grün (Reuth, Voitersreuth, Rebersreuth; Christiansreuth; Hohengrün, Hartmannsgrün, Reiboldsgrün, Wolfsgrün); jene finden ihre Analoga in den zahlreichen süddeutschen Orts¬ namen auf — rout, und den norddeutschen auf —rode, diese äußerst zahl¬ reich, wie sie sind (über 200), kommen vor 1100 überhaupt nicht vor; die Orte also, deren Namen jenes Element erhalten, können erst im 12. Jahr¬ hundert entstanden sein. *) So ergiebt sich aus der Menge der deutschen Orts¬ namen, welche im oberen Vogtlande fast ausschließlich existiren, im untern an Zahl den slavischen mindestens gleichkommen, daß von Anfang an ein starker Strom fränkischer Colonisten sich über das vogtlandische Hochplateau und seine Flußthäler ergossen, daß die deutsche Bevölkerung frühzeitig die ein¬ heimische slavische an Zahl weit übertroffen hat. Und eine wirkliche Vermischung beider Volkselemente hat hier gewiß so wenig wie anderwärts stattgefunden. Wo die deutschen Herren einrückten, unterwarfen sie das slavische Landvolk ihrer Herrschaft und brachten es in Hörigkeit oder Leibeigenschaft, wie denn der slavische Ausdruck für Hörige, saur6i, auch in einer vogtlävdischen Ur¬ kunde von 1122 vorkommt; das slavische Recht verschwand, nur das der Eroberer galt. Die deutschen Bauern aber, welche das wüstliegende Land röteten und urbar machten, wanderten ein als freie Leute, hatten besseres Recht als die Slaven. Mit dem doppelten Stolze des Deutschen und des Christen traten sie dem slavischen Landvolk gegenüber. Und die städtischen Innungen verschlossen sich herrisch gegen alle nichtdeutschen. Auch die Sorben des Vogtlandes also haben sich schwerlich mit dem Deutschen vermischt; ihre Sprache und Nationalität verschwand allmählich gegenüber der überlegnen Cultur des Siegers, obwohl noch um 1122 die Bewohner der Gegend um Plauen nur oberflächlich das Christenthum.bekannten, also sicher noch Slaven waren. Nur einzelne Worte blieben haften, wie britschen (Siao. drin-ig) und karbatschen (Siao. Kardaeü) in der Bedeutung prügeln, und manche Personen¬ namen erschienen in slavisirter Form z. B. Dietsch, Dietzel für Dietrich. Haben wir im Vogtlande nun eine wesentlich germanische, nur wenig mit slavischen Elementen versetzte Bevölkerung vor uns, nicht eine der Haupt¬ sache nach slavische, nachträglich germanisirte, so bildet dies offenbar ein wichtiges Moment der Erklärung für das Fortleben des Volksliedes. Es ist ein Erbstück der fränkischen Stammeseltern, vor allem ihres zur fröhlichen Geselligkeit geneigten Charakterzuges; slavisches ist nicht in ihm. ') H. Dung er, Ueber die Ortsnamen des Vogtlandes in den Mittheilungen aus dem Archive des. Vogtländischen alterthumsforschmden Vereins in Hohenleuben nebst dem 41. 42,, 4S. Jahresberichte S, 3S>.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/71>, abgerufen am 23.07.2024.