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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Subalternbeamten der Verwaltung besser und zwar erheblich besser bezahlt
sind, als die Richter. Mitscher hat demnach ganz Recht, wenn er meint, die
Stelle eines Friedensrichters in den Reichslanden habe für den Juristen wenig
Verlockendes; denn es sei weder Geld, noch Gut, noch Ehre dabei zu gewinnen.
Das Gesammteinkommen eines Land-Gerichtsraths oder Staats-Procurators
beträgt im Durchschnitt 1400 Thaler. Und es ist thatsächlich vorgekommen,
daß der Parquet - Secretär eines kaiserlichen Landgerichtes ein um 2 -- 300
Thaler höheres Gehalt bezog, als einer der kaiserlichen Staats-Procuratorem.

Rechnet man dazu gelegentliche Nebengefälle und außerordentliche Grati-
fieationen, so kommt man bei Einzelnen zu einer Gehaltssumme von 1600
Thalern für rein untergeordnete Dienste, die eine höhere wissenschaftliche Aus¬
bildung und namentlich ein etwaiges Univ ersitäts-seu ti um durchaus
nicht bedingen. Dadurch kommt es, daß Einzelne dieser Subalternen sich ver¬
anlaßt sehen, vor ihren minder gut besoldeten College" und bei den bürger¬
lichen Einwohnern die hohen Herren und eine Rolle zu spielen, die ihnen an
sonstigen Orten einfach durch "Moses und die Propheten" unmöglich gemacht
werden dürfte.

Ueberhaupt könnte man in dem reichsländischen Beamtenwesen wohl noch
manchen mißlichen Punkt berühren, worüber sich Diejenigen am besten Rechen¬
schaft geben können, die mehr oder weniger Gelegenheit hatten, mit jenen
Sphären in näheren oder entfernteren Contact zu kommen. Und es mag
immerhin die Thatsache der Erwähnung werth sein, daß ein einfacher Ac-
tuar nicht weniger als 800 Thaler volles Gehalt bezieht: der junge Mann
braucht nichts weiter zu prästiren, als eine solide, lesbare Handschrift und
einiges Talent zum Abschreiben eines Actes und rangirt also, was die
Geldfrage anbelangt, mit dem einen oder andern ordentlichen Lehrer an
preußischen Gymnasien. Hier möchte man die Klagen der Elsässer im Reichs¬
tage über eine zu große Zahl und eine zu hohe Besoldung der Reichsbeamten
vom unparteiischen Standpunkte aus fast gerechtfertigt finden. Doch sind
allerdings dabei die schwierigen Orts- und Zeitverhältnisse wohl in Betracht
zu ziehen, sowie der Umstand, daß es wohl schwer fallen dürfte, für die be¬
treffenden Posten die geeigneten Kräfte ohne eine angemessene, wenn auch ver¬
hältnißmäßig hohe Besoldung heranzuziehen. Denn, wie oben bemerkt, sind
in Folge der gezwungenen exclusiver Stellung des reichsländischen Beamten-
thums und der gekennzeichneten büreaukratischen Tyrannei innerhalb desselben
die betreffenden Herren mit ihrer zeitigen Lage recht unzufrieden.

In Verbindung damit steht ein rein formaler Gesichtspunkt, der an sich
zwar unbedeutend, aber gleichfalls für die Situation äußerst charakteristisch
ist. Ich meine die durch Gott weiß wen veranlaßte Einführung der alten
deutschen Unsitte langathmiger Titulaturen mit ihren "Wohlgeboren", "Hoch-


Subalternbeamten der Verwaltung besser und zwar erheblich besser bezahlt
sind, als die Richter. Mitscher hat demnach ganz Recht, wenn er meint, die
Stelle eines Friedensrichters in den Reichslanden habe für den Juristen wenig
Verlockendes; denn es sei weder Geld, noch Gut, noch Ehre dabei zu gewinnen.
Das Gesammteinkommen eines Land-Gerichtsraths oder Staats-Procurators
beträgt im Durchschnitt 1400 Thaler. Und es ist thatsächlich vorgekommen,
daß der Parquet - Secretär eines kaiserlichen Landgerichtes ein um 2 — 300
Thaler höheres Gehalt bezog, als einer der kaiserlichen Staats-Procuratorem.

Rechnet man dazu gelegentliche Nebengefälle und außerordentliche Grati-
fieationen, so kommt man bei Einzelnen zu einer Gehaltssumme von 1600
Thalern für rein untergeordnete Dienste, die eine höhere wissenschaftliche Aus¬
bildung und namentlich ein etwaiges Univ ersitäts-seu ti um durchaus
nicht bedingen. Dadurch kommt es, daß Einzelne dieser Subalternen sich ver¬
anlaßt sehen, vor ihren minder gut besoldeten College» und bei den bürger¬
lichen Einwohnern die hohen Herren und eine Rolle zu spielen, die ihnen an
sonstigen Orten einfach durch „Moses und die Propheten" unmöglich gemacht
werden dürfte.

Ueberhaupt könnte man in dem reichsländischen Beamtenwesen wohl noch
manchen mißlichen Punkt berühren, worüber sich Diejenigen am besten Rechen¬
schaft geben können, die mehr oder weniger Gelegenheit hatten, mit jenen
Sphären in näheren oder entfernteren Contact zu kommen. Und es mag
immerhin die Thatsache der Erwähnung werth sein, daß ein einfacher Ac-
tuar nicht weniger als 800 Thaler volles Gehalt bezieht: der junge Mann
braucht nichts weiter zu prästiren, als eine solide, lesbare Handschrift und
einiges Talent zum Abschreiben eines Actes und rangirt also, was die
Geldfrage anbelangt, mit dem einen oder andern ordentlichen Lehrer an
preußischen Gymnasien. Hier möchte man die Klagen der Elsässer im Reichs¬
tage über eine zu große Zahl und eine zu hohe Besoldung der Reichsbeamten
vom unparteiischen Standpunkte aus fast gerechtfertigt finden. Doch sind
allerdings dabei die schwierigen Orts- und Zeitverhältnisse wohl in Betracht
zu ziehen, sowie der Umstand, daß es wohl schwer fallen dürfte, für die be¬
treffenden Posten die geeigneten Kräfte ohne eine angemessene, wenn auch ver¬
hältnißmäßig hohe Besoldung heranzuziehen. Denn, wie oben bemerkt, sind
in Folge der gezwungenen exclusiver Stellung des reichsländischen Beamten-
thums und der gekennzeichneten büreaukratischen Tyrannei innerhalb desselben
die betreffenden Herren mit ihrer zeitigen Lage recht unzufrieden.

In Verbindung damit steht ein rein formaler Gesichtspunkt, der an sich
zwar unbedeutend, aber gleichfalls für die Situation äußerst charakteristisch
ist. Ich meine die durch Gott weiß wen veranlaßte Einführung der alten
deutschen Unsitte langathmiger Titulaturen mit ihren „Wohlgeboren", „Hoch-


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[0524] Subalternbeamten der Verwaltung besser und zwar erheblich besser bezahlt sind, als die Richter. Mitscher hat demnach ganz Recht, wenn er meint, die Stelle eines Friedensrichters in den Reichslanden habe für den Juristen wenig Verlockendes; denn es sei weder Geld, noch Gut, noch Ehre dabei zu gewinnen. Das Gesammteinkommen eines Land-Gerichtsraths oder Staats-Procurators beträgt im Durchschnitt 1400 Thaler. Und es ist thatsächlich vorgekommen, daß der Parquet - Secretär eines kaiserlichen Landgerichtes ein um 2 — 300 Thaler höheres Gehalt bezog, als einer der kaiserlichen Staats-Procuratorem. Rechnet man dazu gelegentliche Nebengefälle und außerordentliche Grati- fieationen, so kommt man bei Einzelnen zu einer Gehaltssumme von 1600 Thalern für rein untergeordnete Dienste, die eine höhere wissenschaftliche Aus¬ bildung und namentlich ein etwaiges Univ ersitäts-seu ti um durchaus nicht bedingen. Dadurch kommt es, daß Einzelne dieser Subalternen sich ver¬ anlaßt sehen, vor ihren minder gut besoldeten College» und bei den bürger¬ lichen Einwohnern die hohen Herren und eine Rolle zu spielen, die ihnen an sonstigen Orten einfach durch „Moses und die Propheten" unmöglich gemacht werden dürfte. Ueberhaupt könnte man in dem reichsländischen Beamtenwesen wohl noch manchen mißlichen Punkt berühren, worüber sich Diejenigen am besten Rechen¬ schaft geben können, die mehr oder weniger Gelegenheit hatten, mit jenen Sphären in näheren oder entfernteren Contact zu kommen. Und es mag immerhin die Thatsache der Erwähnung werth sein, daß ein einfacher Ac- tuar nicht weniger als 800 Thaler volles Gehalt bezieht: der junge Mann braucht nichts weiter zu prästiren, als eine solide, lesbare Handschrift und einiges Talent zum Abschreiben eines Actes und rangirt also, was die Geldfrage anbelangt, mit dem einen oder andern ordentlichen Lehrer an preußischen Gymnasien. Hier möchte man die Klagen der Elsässer im Reichs¬ tage über eine zu große Zahl und eine zu hohe Besoldung der Reichsbeamten vom unparteiischen Standpunkte aus fast gerechtfertigt finden. Doch sind allerdings dabei die schwierigen Orts- und Zeitverhältnisse wohl in Betracht zu ziehen, sowie der Umstand, daß es wohl schwer fallen dürfte, für die be¬ treffenden Posten die geeigneten Kräfte ohne eine angemessene, wenn auch ver¬ hältnißmäßig hohe Besoldung heranzuziehen. Denn, wie oben bemerkt, sind in Folge der gezwungenen exclusiver Stellung des reichsländischen Beamten- thums und der gekennzeichneten büreaukratischen Tyrannei innerhalb desselben die betreffenden Herren mit ihrer zeitigen Lage recht unzufrieden. In Verbindung damit steht ein rein formaler Gesichtspunkt, der an sich zwar unbedeutend, aber gleichfalls für die Situation äußerst charakteristisch ist. Ich meine die durch Gott weiß wen veranlaßte Einführung der alten deutschen Unsitte langathmiger Titulaturen mit ihren „Wohlgeboren", „Hoch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/524>, abgerufen am 23.07.2024.