Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gen der Major Lucks, der kürzlich eine sehr schätzenswerthe "Topographie
und Statistik der deutschen Grenzmark Elsaß-Lothringen" herausgegeben
hat: "Es kann den Eingebornen nicht oft genug wiederholt werden, daß
ihr Dialect verständlicher ist, als mancher Dialect Alt-Deutschlands, und
daß sie ebensoviel Grund haben, auf denselben stolz zu sein, und ebenso
wenig, sich desselben zu schämen, wie der Westfale, der Pommer, der Schwabe,
der Sachse."

Dabei merken die guten Leute allerdings nicht, daß sie sich sowohl durch
diese Vorliebe für französischen Firniß und Politur, als durch jenen Aus¬
druck des oben näher 'charakterisirten Particularismus als echte, wenn auch
nicht ideale Deutsche, als dasjenige documentiren, was sie verächtlich "Schwa¬
ben" nennen. Denn auch der Deutsche von altem Schrot und Korn, der
dumme Schwob' liebäugelt noch gar zu gern und trotz der 70er Ereignisse,
was den äußern Schritt und Tact anbelangt, die elegante Form, das glatte
Exterieur in Kleidung, Sprache und Sitte, mit dem theuern unvergeßlichen
Nachbar jenseits der Vogesen. Und das ist ihm kaum zu verdenken. Denn
das muß man ihnen ohne Schmeichelei zugestehen, die Franzosen haben im
Großen und Ganzen mehr Schick und Schliff zu Allem und Jedem, als der
gute deutsche Michel, der überall da mit groben Fäusten dreinschlägt, wo
Monsieur Jacque das Ding fein mit Glace-Handschuhen anpackt. In diesem
eleganten Nach-Außen sind die Franzosen uns voraus; und wir werden es
ihnen niemals ablernen, und wenn wir auch noch so oft einen kriegerischen
oder friedlichen Pariser Einzugsmarsch halten. Das liegt einmal im National¬
charakter. Aber das Herz ist die Hauptsache, das auch unter dem rauhen
Kittel und groben Tuch treu und ehrlich schlägt. Und das fehlt den Fran¬
zosen. Und darum betrauern sie den Verlust des Elsasses als einen uner¬
setzlichen, weil sie in jedem Elsässer ein biederes, deutsches Bruderherz ver¬
loren haben. --

Auch haben es ja die sämmtlichen deutschen Stämme bekanntlich von
jeher und bis heute geliebt, auf ihre "berechtigten Stammes-Eigenthümlich¬
keiten" zu pochen, die nicht mit dem allgemeinen Brei eines nationalen Arianzus
vertauscht werden wollen. Und wie sehr auch dieses wiederum, trotz des
Jahres 70 und trotz des allmälig heranreifenden Gesammtbewußtseins der
Deutschen seit den welthistorischen Ereignissen jenes Jahres, noch jedem ein¬
zelnen Stammesbrüder eingeprägt und gleichsam mit der Muttermilch einge¬
sogen scheint: das merkt man gerade hier im Reichslande, wo unter den
Eingewanderten so ziemlich sämmtliche Schattirungen des großen deut¬
schen Farbencomplexes auftauchen, tagtäglich. Thatsache ist und bleibt es,
daß sich die einzelnen Elemente auch der eingewanderten Bevölkerung in ge¬
wissen feinern Nüancirungen bewußt unterscheiden und auch unterschieden sein


gen der Major Lucks, der kürzlich eine sehr schätzenswerthe „Topographie
und Statistik der deutschen Grenzmark Elsaß-Lothringen" herausgegeben
hat: „Es kann den Eingebornen nicht oft genug wiederholt werden, daß
ihr Dialect verständlicher ist, als mancher Dialect Alt-Deutschlands, und
daß sie ebensoviel Grund haben, auf denselben stolz zu sein, und ebenso
wenig, sich desselben zu schämen, wie der Westfale, der Pommer, der Schwabe,
der Sachse."

Dabei merken die guten Leute allerdings nicht, daß sie sich sowohl durch
diese Vorliebe für französischen Firniß und Politur, als durch jenen Aus¬
druck des oben näher 'charakterisirten Particularismus als echte, wenn auch
nicht ideale Deutsche, als dasjenige documentiren, was sie verächtlich „Schwa¬
ben" nennen. Denn auch der Deutsche von altem Schrot und Korn, der
dumme Schwob' liebäugelt noch gar zu gern und trotz der 70er Ereignisse,
was den äußern Schritt und Tact anbelangt, die elegante Form, das glatte
Exterieur in Kleidung, Sprache und Sitte, mit dem theuern unvergeßlichen
Nachbar jenseits der Vogesen. Und das ist ihm kaum zu verdenken. Denn
das muß man ihnen ohne Schmeichelei zugestehen, die Franzosen haben im
Großen und Ganzen mehr Schick und Schliff zu Allem und Jedem, als der
gute deutsche Michel, der überall da mit groben Fäusten dreinschlägt, wo
Monsieur Jacque das Ding fein mit Glace-Handschuhen anpackt. In diesem
eleganten Nach-Außen sind die Franzosen uns voraus; und wir werden es
ihnen niemals ablernen, und wenn wir auch noch so oft einen kriegerischen
oder friedlichen Pariser Einzugsmarsch halten. Das liegt einmal im National¬
charakter. Aber das Herz ist die Hauptsache, das auch unter dem rauhen
Kittel und groben Tuch treu und ehrlich schlägt. Und das fehlt den Fran¬
zosen. Und darum betrauern sie den Verlust des Elsasses als einen uner¬
setzlichen, weil sie in jedem Elsässer ein biederes, deutsches Bruderherz ver¬
loren haben. —

Auch haben es ja die sämmtlichen deutschen Stämme bekanntlich von
jeher und bis heute geliebt, auf ihre „berechtigten Stammes-Eigenthümlich¬
keiten" zu pochen, die nicht mit dem allgemeinen Brei eines nationalen Arianzus
vertauscht werden wollen. Und wie sehr auch dieses wiederum, trotz des
Jahres 70 und trotz des allmälig heranreifenden Gesammtbewußtseins der
Deutschen seit den welthistorischen Ereignissen jenes Jahres, noch jedem ein¬
zelnen Stammesbrüder eingeprägt und gleichsam mit der Muttermilch einge¬
sogen scheint: das merkt man gerade hier im Reichslande, wo unter den
Eingewanderten so ziemlich sämmtliche Schattirungen des großen deut¬
schen Farbencomplexes auftauchen, tagtäglich. Thatsache ist und bleibt es,
daß sich die einzelnen Elemente auch der eingewanderten Bevölkerung in ge¬
wissen feinern Nüancirungen bewußt unterscheiden und auch unterschieden sein


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0522" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133282"/>
          <p xml:id="ID_1772" prev="#ID_1771"> gen der Major Lucks, der kürzlich eine sehr schätzenswerthe &#x201E;Topographie<lb/>
und Statistik der deutschen Grenzmark Elsaß-Lothringen" herausgegeben<lb/>
hat: &#x201E;Es kann den Eingebornen nicht oft genug wiederholt werden, daß<lb/>
ihr Dialect verständlicher ist, als mancher Dialect Alt-Deutschlands, und<lb/>
daß sie ebensoviel Grund haben, auf denselben stolz zu sein, und ebenso<lb/>
wenig, sich desselben zu schämen, wie der Westfale, der Pommer, der Schwabe,<lb/>
der Sachse."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1773"> Dabei merken die guten Leute allerdings nicht, daß sie sich sowohl durch<lb/>
diese Vorliebe für französischen Firniß und Politur, als durch jenen Aus¬<lb/>
druck des oben näher 'charakterisirten Particularismus als echte, wenn auch<lb/>
nicht ideale Deutsche, als dasjenige documentiren, was sie verächtlich &#x201E;Schwa¬<lb/>
ben" nennen. Denn auch der Deutsche von altem Schrot und Korn, der<lb/>
dumme Schwob' liebäugelt noch gar zu gern und trotz der 70er Ereignisse,<lb/>
was den äußern Schritt und Tact anbelangt, die elegante Form, das glatte<lb/>
Exterieur in Kleidung, Sprache und Sitte, mit dem theuern unvergeßlichen<lb/>
Nachbar jenseits der Vogesen. Und das ist ihm kaum zu verdenken. Denn<lb/>
das muß man ihnen ohne Schmeichelei zugestehen, die Franzosen haben im<lb/>
Großen und Ganzen mehr Schick und Schliff zu Allem und Jedem, als der<lb/>
gute deutsche Michel, der überall da mit groben Fäusten dreinschlägt, wo<lb/>
Monsieur Jacque das Ding fein mit Glace-Handschuhen anpackt. In diesem<lb/>
eleganten Nach-Außen sind die Franzosen uns voraus; und wir werden es<lb/>
ihnen niemals ablernen, und wenn wir auch noch so oft einen kriegerischen<lb/>
oder friedlichen Pariser Einzugsmarsch halten. Das liegt einmal im National¬<lb/>
charakter. Aber das Herz ist die Hauptsache, das auch unter dem rauhen<lb/>
Kittel und groben Tuch treu und ehrlich schlägt. Und das fehlt den Fran¬<lb/>
zosen. Und darum betrauern sie den Verlust des Elsasses als einen uner¬<lb/>
setzlichen, weil sie in jedem Elsässer ein biederes, deutsches Bruderherz ver¬<lb/>
loren haben. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1774" next="#ID_1775"> Auch haben es ja die sämmtlichen deutschen Stämme bekanntlich von<lb/>
jeher und bis heute geliebt, auf ihre &#x201E;berechtigten Stammes-Eigenthümlich¬<lb/>
keiten" zu pochen, die nicht mit dem allgemeinen Brei eines nationalen Arianzus<lb/>
vertauscht werden wollen. Und wie sehr auch dieses wiederum, trotz des<lb/>
Jahres 70 und trotz des allmälig heranreifenden Gesammtbewußtseins der<lb/>
Deutschen seit den welthistorischen Ereignissen jenes Jahres, noch jedem ein¬<lb/>
zelnen Stammesbrüder eingeprägt und gleichsam mit der Muttermilch einge¬<lb/>
sogen scheint: das merkt man gerade hier im Reichslande, wo unter den<lb/>
Eingewanderten so ziemlich sämmtliche Schattirungen des großen deut¬<lb/>
schen Farbencomplexes auftauchen, tagtäglich. Thatsache ist und bleibt es,<lb/>
daß sich die einzelnen Elemente auch der eingewanderten Bevölkerung in ge¬<lb/>
wissen feinern Nüancirungen bewußt unterscheiden und auch unterschieden sein</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0522] gen der Major Lucks, der kürzlich eine sehr schätzenswerthe „Topographie und Statistik der deutschen Grenzmark Elsaß-Lothringen" herausgegeben hat: „Es kann den Eingebornen nicht oft genug wiederholt werden, daß ihr Dialect verständlicher ist, als mancher Dialect Alt-Deutschlands, und daß sie ebensoviel Grund haben, auf denselben stolz zu sein, und ebenso wenig, sich desselben zu schämen, wie der Westfale, der Pommer, der Schwabe, der Sachse." Dabei merken die guten Leute allerdings nicht, daß sie sich sowohl durch diese Vorliebe für französischen Firniß und Politur, als durch jenen Aus¬ druck des oben näher 'charakterisirten Particularismus als echte, wenn auch nicht ideale Deutsche, als dasjenige documentiren, was sie verächtlich „Schwa¬ ben" nennen. Denn auch der Deutsche von altem Schrot und Korn, der dumme Schwob' liebäugelt noch gar zu gern und trotz der 70er Ereignisse, was den äußern Schritt und Tact anbelangt, die elegante Form, das glatte Exterieur in Kleidung, Sprache und Sitte, mit dem theuern unvergeßlichen Nachbar jenseits der Vogesen. Und das ist ihm kaum zu verdenken. Denn das muß man ihnen ohne Schmeichelei zugestehen, die Franzosen haben im Großen und Ganzen mehr Schick und Schliff zu Allem und Jedem, als der gute deutsche Michel, der überall da mit groben Fäusten dreinschlägt, wo Monsieur Jacque das Ding fein mit Glace-Handschuhen anpackt. In diesem eleganten Nach-Außen sind die Franzosen uns voraus; und wir werden es ihnen niemals ablernen, und wenn wir auch noch so oft einen kriegerischen oder friedlichen Pariser Einzugsmarsch halten. Das liegt einmal im National¬ charakter. Aber das Herz ist die Hauptsache, das auch unter dem rauhen Kittel und groben Tuch treu und ehrlich schlägt. Und das fehlt den Fran¬ zosen. Und darum betrauern sie den Verlust des Elsasses als einen uner¬ setzlichen, weil sie in jedem Elsässer ein biederes, deutsches Bruderherz ver¬ loren haben. — Auch haben es ja die sämmtlichen deutschen Stämme bekanntlich von jeher und bis heute geliebt, auf ihre „berechtigten Stammes-Eigenthümlich¬ keiten" zu pochen, die nicht mit dem allgemeinen Brei eines nationalen Arianzus vertauscht werden wollen. Und wie sehr auch dieses wiederum, trotz des Jahres 70 und trotz des allmälig heranreifenden Gesammtbewußtseins der Deutschen seit den welthistorischen Ereignissen jenes Jahres, noch jedem ein¬ zelnen Stammesbrüder eingeprägt und gleichsam mit der Muttermilch einge¬ sogen scheint: das merkt man gerade hier im Reichslande, wo unter den Eingewanderten so ziemlich sämmtliche Schattirungen des großen deut¬ schen Farbencomplexes auftauchen, tagtäglich. Thatsache ist und bleibt es, daß sich die einzelnen Elemente auch der eingewanderten Bevölkerung in ge¬ wissen feinern Nüancirungen bewußt unterscheiden und auch unterschieden sein

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/522
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/522>, abgerufen am 23.07.2024.