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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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beginnen zu können, von der sie hoffen, daß es dahin kommt, daß die
"Halben" und "Unentschiedenen", die "Abgefallenen" und "Verräther" nicht
mehr gewählt, sondern nur ganz verlässige, bis zur Fußsohle schwarze
Männer in die Kammern geschickt werden und das heißersehnte "ultramon-
tane" Ministerium ans Ruder kommt. Ob diese Hoffnungen und Wünsche
in Erfüllung gehen oder ob der seither sie verfolgende Unstern auch über
den Wahlerfolgcn der Klerikalen leuchtet, wird die nächste Zukunft lehren.
Wir unsererseits glauben an eine aus ihrer Mitte hervorgehende Kammer¬
mehrheit und demgemäß auch an ein anderes Ministerium -- daß dieses
aber alles, was Bayern seit fünf Jahren errungen, wieder lockert und auf
den Kopf stellt, glauben wir nicht, weil das einfach unmöglich, weil eben
Bayern auch mit dem widerwilligsten Ministerium einmal ein Glied des
deutschen Reiches ist und bleibt. Wir nehmen vielleicht Gelegenheit, darüber
uns in einem folgenden Briefe des Nähern auszusprechen; jetzt kehren wir
zu unserm Anfang, die bayrische Kammer etwas zu silhouettiren, noch ein
wenig zurück.

Wir haben das Bild des ersten Präsidenten schon flüchtig gezeichnet.
Die Wahl Stauffenberg's zu dieser Stelle im November 1873 verdankte die
Linke dem Anschluß jener Männer, die, wie wir oben bemerkt, bei Verwerfung
der Beschwerde des Bischofs von Augsburg ihrer bessern Ueberzeugung gefolgt
waren. Man bot der Rechten die nach ihrer Zahl ihr zukommende Vertretung
im Bureau an, allein sie wies das brüsk ab und so mußte sie den neuen
Schmerz erleben, abermals einen ihrer schärfsten Gegner, den frühern Handels¬
minister von Schlör, zum Vicepräsidenten ernannt zu sehen. Herr von Schlör
hat einen fast ans Slavische streifenden Typus, über dem schwarzen Schnurr¬
bart leuchten ein paar scharfblickende Augen, er ist Meister der Rede, im
Verständniß technischer, namentlich Eisenbahnfragen, kommt ihm in der
ganzen Kammer Keiner gleich und sogar seine Nachfolger in der obersten
Leitung der Verkehrsanstalten, der Minister von Pfretschner und der General¬
direktor Hocheder, haben seinen Bemängelungen und Kritiken gegenüber
manchmal einen schweren Stand. In der letzten Session hat Schlör namentlich
durch seinen Antrag aus Erwerbung der bayrischen Ostbahnen durch den
Staat sich hervorgethan, welcher Antrag damals aber, als noch nicht völlig
reif, von den Kammern abgelehnt wurde, während er jetzt schon praktischen
Erfolg errungen hat, indem inzwischen der Kaufsvertrag zwischen Staat und
Ostbahn abgeschlossen worden ist und demnächst auch die Genehmigung des
Landtags erhalten wird.

Schriftführer zählt die bayrische Kammer vier. Als deren erster fungirt
Herr Eder, der Einzige, der von dem frühern ultramontanen Bureau in das
neue übergetreten ist und durch diesen Schritt schon das Tafeltuch zwischen


beginnen zu können, von der sie hoffen, daß es dahin kommt, daß die
„Halben" und „Unentschiedenen", die „Abgefallenen" und „Verräther" nicht
mehr gewählt, sondern nur ganz verlässige, bis zur Fußsohle schwarze
Männer in die Kammern geschickt werden und das heißersehnte „ultramon-
tane" Ministerium ans Ruder kommt. Ob diese Hoffnungen und Wünsche
in Erfüllung gehen oder ob der seither sie verfolgende Unstern auch über
den Wahlerfolgcn der Klerikalen leuchtet, wird die nächste Zukunft lehren.
Wir unsererseits glauben an eine aus ihrer Mitte hervorgehende Kammer¬
mehrheit und demgemäß auch an ein anderes Ministerium — daß dieses
aber alles, was Bayern seit fünf Jahren errungen, wieder lockert und auf
den Kopf stellt, glauben wir nicht, weil das einfach unmöglich, weil eben
Bayern auch mit dem widerwilligsten Ministerium einmal ein Glied des
deutschen Reiches ist und bleibt. Wir nehmen vielleicht Gelegenheit, darüber
uns in einem folgenden Briefe des Nähern auszusprechen; jetzt kehren wir
zu unserm Anfang, die bayrische Kammer etwas zu silhouettiren, noch ein
wenig zurück.

Wir haben das Bild des ersten Präsidenten schon flüchtig gezeichnet.
Die Wahl Stauffenberg's zu dieser Stelle im November 1873 verdankte die
Linke dem Anschluß jener Männer, die, wie wir oben bemerkt, bei Verwerfung
der Beschwerde des Bischofs von Augsburg ihrer bessern Ueberzeugung gefolgt
waren. Man bot der Rechten die nach ihrer Zahl ihr zukommende Vertretung
im Bureau an, allein sie wies das brüsk ab und so mußte sie den neuen
Schmerz erleben, abermals einen ihrer schärfsten Gegner, den frühern Handels¬
minister von Schlör, zum Vicepräsidenten ernannt zu sehen. Herr von Schlör
hat einen fast ans Slavische streifenden Typus, über dem schwarzen Schnurr¬
bart leuchten ein paar scharfblickende Augen, er ist Meister der Rede, im
Verständniß technischer, namentlich Eisenbahnfragen, kommt ihm in der
ganzen Kammer Keiner gleich und sogar seine Nachfolger in der obersten
Leitung der Verkehrsanstalten, der Minister von Pfretschner und der General¬
direktor Hocheder, haben seinen Bemängelungen und Kritiken gegenüber
manchmal einen schweren Stand. In der letzten Session hat Schlör namentlich
durch seinen Antrag aus Erwerbung der bayrischen Ostbahnen durch den
Staat sich hervorgethan, welcher Antrag damals aber, als noch nicht völlig
reif, von den Kammern abgelehnt wurde, während er jetzt schon praktischen
Erfolg errungen hat, indem inzwischen der Kaufsvertrag zwischen Staat und
Ostbahn abgeschlossen worden ist und demnächst auch die Genehmigung des
Landtags erhalten wird.

Schriftführer zählt die bayrische Kammer vier. Als deren erster fungirt
Herr Eder, der Einzige, der von dem frühern ultramontanen Bureau in das
neue übergetreten ist und durch diesen Schritt schon das Tafeltuch zwischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/485>, abgerufen am 23.07.2024.