Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mit der Botschaft, daß in diesem Augenblicke schon deutsches Gebiet verletzt
worden, der Minister Graf Bray diese Nachricht im Saale wiedergebend, und
dann endlich jene Abstimmung, deren wir schon gedacht. Heller Jubel brach
in den Reihen der Liberalen aus, der sich sofort von Straße zu Straße fort¬
setzte ; unter dem Schutze der erstern mußten die politischen Gegner das Haus
verlassen, grollend sich in ihren Clubb zurückziehend, während das Volk vor
dem Schloß sich zuscunmenschaarte, um dem "deutschen" König eine Ovation
zu bringen.

Von da an hatten die Klerikalen Unglück. Im Januar des folgenden
Jahres mußten sie der vollendeten Thatsache des deutschen Reiches gegenüber
stehen und die alte Neichskrone auf dem Haupte eines protestantischen Kaisers
sehen, mußten sie abermals ihre Ohnmacht eingestehen, als die Zustimmung
zu den Versailler Verträgen und damit der Eintritt Bayerns in das Reich
in der Kammer beschlossen wurde. Es war der 21. Januar 1871, der äiss
netustus, an dem die ultramontanen Blätter seirdem mit schwarzem Rand er¬
schienen sind. Nun warfen sich die Klerikalen mit voller Wucht auf das
kirchliche Gebiet: da mußten sie doch noch einig zusammenstehen, am alten
"Programm" festhalten. Wieder ein Jahr später kam die sogenannte Augs¬
burger Bischofsbeschwerde vor den Landtag: sie mußte die Stellung Bayerns
zum kirchenpolitischen Streit der Gegenwart entscheiden: drei Tage lang wurde
heftig hin und her gestritten: die Rechte glaubte den Sieg in den Händen zu
haben, da wankte auf einmal ihre festgeschlossene Phalanx: sechs wackere
Männer hatten wiederum auch hier das Herz auf dem rechten Fleck und
stimmten mit den Liberalen, um fortan dafür der Gegenstand bittersten
Hasses seitens ihrer früheren Genossen zu sein und mit allen lästerlichen
Namen, mit denen jemals der "Abfall" belegt worden, belastet zu
werden. Noch einmal versuchte es Jörg und seine Partei im vorigen
Sommer gelegentlich der Budgetberathung dem Cultusminister ein Mi߬
trauensvotum zu geben, aber die frühere Sicherheit und Schlauheit hatte'
ihn verlassen, er fing die Sache so unpraktisch an, wie vor Kurzem seinen
Angriff auf Bismarck im Reichstag; aus der Mitte der eigenen Fraktion
war Herr von Lutz von allem in Kenntniß gesetzt worden; die so geheimni߬
voll vorbereitete Attaque fand diesen vorbereitet und endete für ihn mit
einem Sieg, statt einer Niederlage. Seitdem scheint den Klerikalen der Muth
gesunken; nach ihrem Auftreten im Reichstag hätte man meinen sollen, sie
seien mit neuen Hoffnungen nach München zurückgekommen, hätten ihre
Waffen neu gestählt und geschärft -- aber es scheint die Deroute in ihren
eigenen Reihen immer größer zu werden, ihre Hauptorgane liegen einander
in den Haaren, jeden Augenblick wechselt die Führerschaft ihre Fraktion, sie
sehnen das Ende dieses Landtags herbei, um dann die volle Wahlagitation


mit der Botschaft, daß in diesem Augenblicke schon deutsches Gebiet verletzt
worden, der Minister Graf Bray diese Nachricht im Saale wiedergebend, und
dann endlich jene Abstimmung, deren wir schon gedacht. Heller Jubel brach
in den Reihen der Liberalen aus, der sich sofort von Straße zu Straße fort¬
setzte ; unter dem Schutze der erstern mußten die politischen Gegner das Haus
verlassen, grollend sich in ihren Clubb zurückziehend, während das Volk vor
dem Schloß sich zuscunmenschaarte, um dem „deutschen" König eine Ovation
zu bringen.

Von da an hatten die Klerikalen Unglück. Im Januar des folgenden
Jahres mußten sie der vollendeten Thatsache des deutschen Reiches gegenüber
stehen und die alte Neichskrone auf dem Haupte eines protestantischen Kaisers
sehen, mußten sie abermals ihre Ohnmacht eingestehen, als die Zustimmung
zu den Versailler Verträgen und damit der Eintritt Bayerns in das Reich
in der Kammer beschlossen wurde. Es war der 21. Januar 1871, der äiss
netustus, an dem die ultramontanen Blätter seirdem mit schwarzem Rand er¬
schienen sind. Nun warfen sich die Klerikalen mit voller Wucht auf das
kirchliche Gebiet: da mußten sie doch noch einig zusammenstehen, am alten
„Programm" festhalten. Wieder ein Jahr später kam die sogenannte Augs¬
burger Bischofsbeschwerde vor den Landtag: sie mußte die Stellung Bayerns
zum kirchenpolitischen Streit der Gegenwart entscheiden: drei Tage lang wurde
heftig hin und her gestritten: die Rechte glaubte den Sieg in den Händen zu
haben, da wankte auf einmal ihre festgeschlossene Phalanx: sechs wackere
Männer hatten wiederum auch hier das Herz auf dem rechten Fleck und
stimmten mit den Liberalen, um fortan dafür der Gegenstand bittersten
Hasses seitens ihrer früheren Genossen zu sein und mit allen lästerlichen
Namen, mit denen jemals der „Abfall" belegt worden, belastet zu
werden. Noch einmal versuchte es Jörg und seine Partei im vorigen
Sommer gelegentlich der Budgetberathung dem Cultusminister ein Mi߬
trauensvotum zu geben, aber die frühere Sicherheit und Schlauheit hatte'
ihn verlassen, er fing die Sache so unpraktisch an, wie vor Kurzem seinen
Angriff auf Bismarck im Reichstag; aus der Mitte der eigenen Fraktion
war Herr von Lutz von allem in Kenntniß gesetzt worden; die so geheimni߬
voll vorbereitete Attaque fand diesen vorbereitet und endete für ihn mit
einem Sieg, statt einer Niederlage. Seitdem scheint den Klerikalen der Muth
gesunken; nach ihrem Auftreten im Reichstag hätte man meinen sollen, sie
seien mit neuen Hoffnungen nach München zurückgekommen, hätten ihre
Waffen neu gestählt und geschärft — aber es scheint die Deroute in ihren
eigenen Reihen immer größer zu werden, ihre Hauptorgane liegen einander
in den Haaren, jeden Augenblick wechselt die Führerschaft ihre Fraktion, sie
sehnen das Ende dieses Landtags herbei, um dann die volle Wahlagitation


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0484" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133244"/>
          <p xml:id="ID_1662" prev="#ID_1661"> mit der Botschaft, daß in diesem Augenblicke schon deutsches Gebiet verletzt<lb/>
worden, der Minister Graf Bray diese Nachricht im Saale wiedergebend, und<lb/>
dann endlich jene Abstimmung, deren wir schon gedacht. Heller Jubel brach<lb/>
in den Reihen der Liberalen aus, der sich sofort von Straße zu Straße fort¬<lb/>
setzte ; unter dem Schutze der erstern mußten die politischen Gegner das Haus<lb/>
verlassen, grollend sich in ihren Clubb zurückziehend, während das Volk vor<lb/>
dem Schloß sich zuscunmenschaarte, um dem &#x201E;deutschen" König eine Ovation<lb/>
zu bringen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1663" next="#ID_1664"> Von da an hatten die Klerikalen Unglück. Im Januar des folgenden<lb/>
Jahres mußten sie der vollendeten Thatsache des deutschen Reiches gegenüber<lb/>
stehen und die alte Neichskrone auf dem Haupte eines protestantischen Kaisers<lb/>
sehen, mußten sie abermals ihre Ohnmacht eingestehen, als die Zustimmung<lb/>
zu den Versailler Verträgen und damit der Eintritt Bayerns in das Reich<lb/>
in der Kammer beschlossen wurde. Es war der 21. Januar 1871, der äiss<lb/>
netustus, an dem die ultramontanen Blätter seirdem mit schwarzem Rand er¬<lb/>
schienen sind. Nun warfen sich die Klerikalen mit voller Wucht auf das<lb/>
kirchliche Gebiet: da mußten sie doch noch einig zusammenstehen, am alten<lb/>
&#x201E;Programm" festhalten. Wieder ein Jahr später kam die sogenannte Augs¬<lb/>
burger Bischofsbeschwerde vor den Landtag: sie mußte die Stellung Bayerns<lb/>
zum kirchenpolitischen Streit der Gegenwart entscheiden: drei Tage lang wurde<lb/>
heftig hin und her gestritten: die Rechte glaubte den Sieg in den Händen zu<lb/>
haben, da wankte auf einmal ihre festgeschlossene Phalanx: sechs wackere<lb/>
Männer hatten wiederum auch hier das Herz auf dem rechten Fleck und<lb/>
stimmten mit den Liberalen, um fortan dafür der Gegenstand bittersten<lb/>
Hasses seitens ihrer früheren Genossen zu sein und mit allen lästerlichen<lb/>
Namen, mit denen jemals der &#x201E;Abfall" belegt worden, belastet zu<lb/>
werden. Noch einmal versuchte es Jörg und seine Partei im vorigen<lb/>
Sommer gelegentlich der Budgetberathung dem Cultusminister ein Mi߬<lb/>
trauensvotum zu geben, aber die frühere Sicherheit und Schlauheit hatte'<lb/>
ihn verlassen, er fing die Sache so unpraktisch an, wie vor Kurzem seinen<lb/>
Angriff auf Bismarck im Reichstag; aus der Mitte der eigenen Fraktion<lb/>
war Herr von Lutz von allem in Kenntniß gesetzt worden; die so geheimni߬<lb/>
voll vorbereitete Attaque fand diesen vorbereitet und endete für ihn mit<lb/>
einem Sieg, statt einer Niederlage. Seitdem scheint den Klerikalen der Muth<lb/>
gesunken; nach ihrem Auftreten im Reichstag hätte man meinen sollen, sie<lb/>
seien mit neuen Hoffnungen nach München zurückgekommen, hätten ihre<lb/>
Waffen neu gestählt und geschärft &#x2014; aber es scheint die Deroute in ihren<lb/>
eigenen Reihen immer größer zu werden, ihre Hauptorgane liegen einander<lb/>
in den Haaren, jeden Augenblick wechselt die Führerschaft ihre Fraktion, sie<lb/>
sehnen das Ende dieses Landtags herbei, um dann die volle Wahlagitation</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0484] mit der Botschaft, daß in diesem Augenblicke schon deutsches Gebiet verletzt worden, der Minister Graf Bray diese Nachricht im Saale wiedergebend, und dann endlich jene Abstimmung, deren wir schon gedacht. Heller Jubel brach in den Reihen der Liberalen aus, der sich sofort von Straße zu Straße fort¬ setzte ; unter dem Schutze der erstern mußten die politischen Gegner das Haus verlassen, grollend sich in ihren Clubb zurückziehend, während das Volk vor dem Schloß sich zuscunmenschaarte, um dem „deutschen" König eine Ovation zu bringen. Von da an hatten die Klerikalen Unglück. Im Januar des folgenden Jahres mußten sie der vollendeten Thatsache des deutschen Reiches gegenüber stehen und die alte Neichskrone auf dem Haupte eines protestantischen Kaisers sehen, mußten sie abermals ihre Ohnmacht eingestehen, als die Zustimmung zu den Versailler Verträgen und damit der Eintritt Bayerns in das Reich in der Kammer beschlossen wurde. Es war der 21. Januar 1871, der äiss netustus, an dem die ultramontanen Blätter seirdem mit schwarzem Rand er¬ schienen sind. Nun warfen sich die Klerikalen mit voller Wucht auf das kirchliche Gebiet: da mußten sie doch noch einig zusammenstehen, am alten „Programm" festhalten. Wieder ein Jahr später kam die sogenannte Augs¬ burger Bischofsbeschwerde vor den Landtag: sie mußte die Stellung Bayerns zum kirchenpolitischen Streit der Gegenwart entscheiden: drei Tage lang wurde heftig hin und her gestritten: die Rechte glaubte den Sieg in den Händen zu haben, da wankte auf einmal ihre festgeschlossene Phalanx: sechs wackere Männer hatten wiederum auch hier das Herz auf dem rechten Fleck und stimmten mit den Liberalen, um fortan dafür der Gegenstand bittersten Hasses seitens ihrer früheren Genossen zu sein und mit allen lästerlichen Namen, mit denen jemals der „Abfall" belegt worden, belastet zu werden. Noch einmal versuchte es Jörg und seine Partei im vorigen Sommer gelegentlich der Budgetberathung dem Cultusminister ein Mi߬ trauensvotum zu geben, aber die frühere Sicherheit und Schlauheit hatte' ihn verlassen, er fing die Sache so unpraktisch an, wie vor Kurzem seinen Angriff auf Bismarck im Reichstag; aus der Mitte der eigenen Fraktion war Herr von Lutz von allem in Kenntniß gesetzt worden; die so geheimni߬ voll vorbereitete Attaque fand diesen vorbereitet und endete für ihn mit einem Sieg, statt einer Niederlage. Seitdem scheint den Klerikalen der Muth gesunken; nach ihrem Auftreten im Reichstag hätte man meinen sollen, sie seien mit neuen Hoffnungen nach München zurückgekommen, hätten ihre Waffen neu gestählt und geschärft — aber es scheint die Deroute in ihren eigenen Reihen immer größer zu werden, ihre Hauptorgane liegen einander in den Haaren, jeden Augenblick wechselt die Führerschaft ihre Fraktion, sie sehnen das Ende dieses Landtags herbei, um dann die volle Wahlagitation

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/484
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/484>, abgerufen am 23.07.2024.