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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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nicht im Urschleime des Meers oder in einem Walde? Wo besser als im Leib
eines hochstehenden Thiers, aus dessen Blut sie ihre Nahrung gewann, und
an dessen Brust sie lag. als sie endlich das Licht der Welt erblickt hatte?
Und ist nicht die höchstorganisirte Materie des thierischen Organismus ein
würdigerer Stoff als der Lehm oder Thon, aus welchem die Legende den Adam
geknetet werden läßt? Allerdings machen nach meiner Auffassung nicht der
Affe und die Aeffin den Menschen, sondern sie sind die Organe, deren die
Schöpferkraft sich bedient um ein höheres Wesen, den für die Freiheit und
zum Selbstbewußtsein berufenen Menschen hervorzubringen, dem Seelenkeim
die Möglichkeit seiner Selbstgestaltung zu gewähren. '

Es ist Darwin's Verdienst, daß er durch eine philosophische Idee frische
Bewegung in die Naturforschung gebracht, es gereicht ihm zur Ehre, daß er
die Einwürfe der Gegner würdigt und ihnen gemäß seine Lehre umgestaltet;
er ist nicht der Dogmatiker wie sein blinder Anhänger. Und hier begegnet
uns die neue ausgezeichnete Schrift Eduard von Hartmann's, welcher die Wahr¬
heit der aufsteigenden Entwicklung ebenso betont, wie das Einseitige und
Irrige, das im Darwinismus dadurch entstand, daß man den Werth
einzelner Erklärungsprinzipien überschätzte und darum andere leugnete. Hart¬
mann schließt sich Kölliker an, welcher darauf hingewiesen, daß, wenn das
Individuum einer neuen Art aus einer verwandten älteren entspringen soll,
alsdann bereits im Keime oder in der Eizelle eine Umbildung hervorgebracht
werden muß, daß also eine Keimmetamorphose in plötzlicher Umwandlung als
ein Sprung vor sich gehen muß; daß zwei Individuen so ein andres als sie
selbst zum Kinde haben, hat Kölliker als heterogene Zeugung bezeichnet. Der
Sprung wird um so kleiner, je näher die Formenkreise der verschiedenen Arten
einander berühren, und Darwin hat hier die Brücke geschlagen, indem er den
innigen und engen Zusammenhang der verschiedenen Typen aufwies. Aber
gerade dieser Zusammenhang ist nicht die alleinige Wirkung äußrer Ursachen,
sondern er deuteb auf ein inneres Entwicklungsgesetz oder die gesetzmäßige
Wirkung eines dem großen Naturganzen immanenten Bildungs- und
Gestaltungstrtebes. -- auf den innerlichen Künstler, wie Giordano Bruno
sagen würde.

Die natürliche Zuchtwahl sagt Hartmann, ist ein richtiges und in der Na¬
tur thatsächlich in weitesten Umfang zur Wirksamkeit kommendes Princip,
sie ist als mechanisches Prinzip das Vehikel zur Realisirung eines ideellen. Wie
der Thierzüchter seinen Mehstand sichtet und nur die günstiger veranlagten
Individuen zur Fortpflanzung zuläßt, so kann auch in der Natur eine sichtende
Auslese unter den Formen stattfinden, bei der nur die übrig bleiben, welche den
Lebensbedingungen am besten angepaßt sind. In der Concurrenz um die Be¬
dingungen der Erhaltung des Lebens, im Kampf ums Dasein bestehen nur


nicht im Urschleime des Meers oder in einem Walde? Wo besser als im Leib
eines hochstehenden Thiers, aus dessen Blut sie ihre Nahrung gewann, und
an dessen Brust sie lag. als sie endlich das Licht der Welt erblickt hatte?
Und ist nicht die höchstorganisirte Materie des thierischen Organismus ein
würdigerer Stoff als der Lehm oder Thon, aus welchem die Legende den Adam
geknetet werden läßt? Allerdings machen nach meiner Auffassung nicht der
Affe und die Aeffin den Menschen, sondern sie sind die Organe, deren die
Schöpferkraft sich bedient um ein höheres Wesen, den für die Freiheit und
zum Selbstbewußtsein berufenen Menschen hervorzubringen, dem Seelenkeim
die Möglichkeit seiner Selbstgestaltung zu gewähren. '

Es ist Darwin's Verdienst, daß er durch eine philosophische Idee frische
Bewegung in die Naturforschung gebracht, es gereicht ihm zur Ehre, daß er
die Einwürfe der Gegner würdigt und ihnen gemäß seine Lehre umgestaltet;
er ist nicht der Dogmatiker wie sein blinder Anhänger. Und hier begegnet
uns die neue ausgezeichnete Schrift Eduard von Hartmann's, welcher die Wahr¬
heit der aufsteigenden Entwicklung ebenso betont, wie das Einseitige und
Irrige, das im Darwinismus dadurch entstand, daß man den Werth
einzelner Erklärungsprinzipien überschätzte und darum andere leugnete. Hart¬
mann schließt sich Kölliker an, welcher darauf hingewiesen, daß, wenn das
Individuum einer neuen Art aus einer verwandten älteren entspringen soll,
alsdann bereits im Keime oder in der Eizelle eine Umbildung hervorgebracht
werden muß, daß also eine Keimmetamorphose in plötzlicher Umwandlung als
ein Sprung vor sich gehen muß; daß zwei Individuen so ein andres als sie
selbst zum Kinde haben, hat Kölliker als heterogene Zeugung bezeichnet. Der
Sprung wird um so kleiner, je näher die Formenkreise der verschiedenen Arten
einander berühren, und Darwin hat hier die Brücke geschlagen, indem er den
innigen und engen Zusammenhang der verschiedenen Typen aufwies. Aber
gerade dieser Zusammenhang ist nicht die alleinige Wirkung äußrer Ursachen,
sondern er deuteb auf ein inneres Entwicklungsgesetz oder die gesetzmäßige
Wirkung eines dem großen Naturganzen immanenten Bildungs- und
Gestaltungstrtebes. — auf den innerlichen Künstler, wie Giordano Bruno
sagen würde.

Die natürliche Zuchtwahl sagt Hartmann, ist ein richtiges und in der Na¬
tur thatsächlich in weitesten Umfang zur Wirksamkeit kommendes Princip,
sie ist als mechanisches Prinzip das Vehikel zur Realisirung eines ideellen. Wie
der Thierzüchter seinen Mehstand sichtet und nur die günstiger veranlagten
Individuen zur Fortpflanzung zuläßt, so kann auch in der Natur eine sichtende
Auslese unter den Formen stattfinden, bei der nur die übrig bleiben, welche den
Lebensbedingungen am besten angepaßt sind. In der Concurrenz um die Be¬
dingungen der Erhaltung des Lebens, im Kampf ums Dasein bestehen nur


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[0458] nicht im Urschleime des Meers oder in einem Walde? Wo besser als im Leib eines hochstehenden Thiers, aus dessen Blut sie ihre Nahrung gewann, und an dessen Brust sie lag. als sie endlich das Licht der Welt erblickt hatte? Und ist nicht die höchstorganisirte Materie des thierischen Organismus ein würdigerer Stoff als der Lehm oder Thon, aus welchem die Legende den Adam geknetet werden läßt? Allerdings machen nach meiner Auffassung nicht der Affe und die Aeffin den Menschen, sondern sie sind die Organe, deren die Schöpferkraft sich bedient um ein höheres Wesen, den für die Freiheit und zum Selbstbewußtsein berufenen Menschen hervorzubringen, dem Seelenkeim die Möglichkeit seiner Selbstgestaltung zu gewähren. ' Es ist Darwin's Verdienst, daß er durch eine philosophische Idee frische Bewegung in die Naturforschung gebracht, es gereicht ihm zur Ehre, daß er die Einwürfe der Gegner würdigt und ihnen gemäß seine Lehre umgestaltet; er ist nicht der Dogmatiker wie sein blinder Anhänger. Und hier begegnet uns die neue ausgezeichnete Schrift Eduard von Hartmann's, welcher die Wahr¬ heit der aufsteigenden Entwicklung ebenso betont, wie das Einseitige und Irrige, das im Darwinismus dadurch entstand, daß man den Werth einzelner Erklärungsprinzipien überschätzte und darum andere leugnete. Hart¬ mann schließt sich Kölliker an, welcher darauf hingewiesen, daß, wenn das Individuum einer neuen Art aus einer verwandten älteren entspringen soll, alsdann bereits im Keime oder in der Eizelle eine Umbildung hervorgebracht werden muß, daß also eine Keimmetamorphose in plötzlicher Umwandlung als ein Sprung vor sich gehen muß; daß zwei Individuen so ein andres als sie selbst zum Kinde haben, hat Kölliker als heterogene Zeugung bezeichnet. Der Sprung wird um so kleiner, je näher die Formenkreise der verschiedenen Arten einander berühren, und Darwin hat hier die Brücke geschlagen, indem er den innigen und engen Zusammenhang der verschiedenen Typen aufwies. Aber gerade dieser Zusammenhang ist nicht die alleinige Wirkung äußrer Ursachen, sondern er deuteb auf ein inneres Entwicklungsgesetz oder die gesetzmäßige Wirkung eines dem großen Naturganzen immanenten Bildungs- und Gestaltungstrtebes. — auf den innerlichen Künstler, wie Giordano Bruno sagen würde. Die natürliche Zuchtwahl sagt Hartmann, ist ein richtiges und in der Na¬ tur thatsächlich in weitesten Umfang zur Wirksamkeit kommendes Princip, sie ist als mechanisches Prinzip das Vehikel zur Realisirung eines ideellen. Wie der Thierzüchter seinen Mehstand sichtet und nur die günstiger veranlagten Individuen zur Fortpflanzung zuläßt, so kann auch in der Natur eine sichtende Auslese unter den Formen stattfinden, bei der nur die übrig bleiben, welche den Lebensbedingungen am besten angepaßt sind. In der Concurrenz um die Be¬ dingungen der Erhaltung des Lebens, im Kampf ums Dasein bestehen nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/458>, abgerufen am 23.07.2024.