Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

merken, wenn man sie nun eines zwecklosen oder unzweckmäßigen Redens
und Handelns beschuldigte.

Ulrici ist nicht gewillt die Entwicklung des Höheren aus dem Niederen
abzulehnen, welche Darwin der Gegenwart zum Bewußtsein gebracht hat;
aber er will nicht zugeben, daß der naturphilosophische Gedanke, der an den
Thatsachen zu prüfen sei, durch Häckel und Andre zum materialistischen Dogma
gemacht werde, das bereits seine Fanatiker hat, die mit Beschränktheit, Blöd¬
sinnigkeit, Unsinn und anderen Liebenswürdigkeiten um sich werfen, wenn
Jemand von Seite der Naturforschung oder der Philosophie eine Einwendung
macht und zu begründen sucht. Ulrici sammelt und prüft alle diese Ein¬
wendungen, die namentlich Wigand ins Treffen geführt hat; er pflichtet ihnen
bei, und kommt zu dem Schlußresultat: "Jeder Organismus ist ein System
von Stoffen und Kräften, welches nicht nur plan- und zweckmäßig angelegt
ist, sondern auch in seiner Bildung und Entwicklung wie in den Bewegungen
und Funktionen seiner Theile von einer spontanen, nach gewissen Typen sich
richtenden Kraft beherrscht erscheint, und welches durch die unaufhörliche,, zwar
der Mitwirkung der allgemeinen physikalischen und chemischen Kräfte bedürftige,
aber sie in seinem Dienst verwendende Thätigkeit dieser Kraft in fortwährender
Produktion und Reproduction begriffen, sich selbst so lange erhält, bis die
Reihe seiner Entwicklungsstadien abgelaufen ist, worauf er sich auflöst und
die in ihm gebundenen Kräfte und Stoffe der unorganischen Natur zurück¬
giebt. (-- Ulrici wiederholt uns, daß er keinen Schmuck der Rede suche,
aber bei solchen Sätzen wie der obige geht dem Leser der Athem aus.
und es wäre Pflicht des Philosophen gewesen den Organismus der Dar¬
stellung selbst für das leichtere Verständniß und nach der Eigenart der
deutschen Sprache klarer zu gliedern und einfach schöner zu gestalten! Der neue
Glaube von Strauß verdankt nicht den kleinsten Theil seines Erfolgs dem
durchsichtigen Fluß seiner gefälligen Schreibart. --) Andererseits aber bestreiten
wir keineswegs die Descendenztheorie überhaupt, sondern nur die rein mecha¬
nische, alles Walten von Plan und Zweck ausschließende Auffassung derselben,
und glauben an ein allgemeines, im unorganischen wie im organischen Gebiete
herrschendes Bildungsgesetz und Entwicklungsprineip. welches, den mineralischen
Stoffen wie den organischen Gebilden immanent, von Anfang an in über¬
einstimmender, plan- und zweckmäßiger Form gewaltet, und welchem gemäß
die mannigfaltigen Gesteinarten wie die verschiedenartigen Organismen in
fortschreitender, von den niederen zu den höheren aufsteigender Reihenfolge
nach und nach und resp, auseinander entstanden, sich gebildet und entwickelt
haben."

Bei dem Darwinismus sollte man immer bestimmt unterscheiden zwischen
der Idee eines Zusammenhangs der> organischen Formen, einer aufsteigenden


merken, wenn man sie nun eines zwecklosen oder unzweckmäßigen Redens
und Handelns beschuldigte.

Ulrici ist nicht gewillt die Entwicklung des Höheren aus dem Niederen
abzulehnen, welche Darwin der Gegenwart zum Bewußtsein gebracht hat;
aber er will nicht zugeben, daß der naturphilosophische Gedanke, der an den
Thatsachen zu prüfen sei, durch Häckel und Andre zum materialistischen Dogma
gemacht werde, das bereits seine Fanatiker hat, die mit Beschränktheit, Blöd¬
sinnigkeit, Unsinn und anderen Liebenswürdigkeiten um sich werfen, wenn
Jemand von Seite der Naturforschung oder der Philosophie eine Einwendung
macht und zu begründen sucht. Ulrici sammelt und prüft alle diese Ein¬
wendungen, die namentlich Wigand ins Treffen geführt hat; er pflichtet ihnen
bei, und kommt zu dem Schlußresultat: „Jeder Organismus ist ein System
von Stoffen und Kräften, welches nicht nur plan- und zweckmäßig angelegt
ist, sondern auch in seiner Bildung und Entwicklung wie in den Bewegungen
und Funktionen seiner Theile von einer spontanen, nach gewissen Typen sich
richtenden Kraft beherrscht erscheint, und welches durch die unaufhörliche,, zwar
der Mitwirkung der allgemeinen physikalischen und chemischen Kräfte bedürftige,
aber sie in seinem Dienst verwendende Thätigkeit dieser Kraft in fortwährender
Produktion und Reproduction begriffen, sich selbst so lange erhält, bis die
Reihe seiner Entwicklungsstadien abgelaufen ist, worauf er sich auflöst und
die in ihm gebundenen Kräfte und Stoffe der unorganischen Natur zurück¬
giebt. (— Ulrici wiederholt uns, daß er keinen Schmuck der Rede suche,
aber bei solchen Sätzen wie der obige geht dem Leser der Athem aus.
und es wäre Pflicht des Philosophen gewesen den Organismus der Dar¬
stellung selbst für das leichtere Verständniß und nach der Eigenart der
deutschen Sprache klarer zu gliedern und einfach schöner zu gestalten! Der neue
Glaube von Strauß verdankt nicht den kleinsten Theil seines Erfolgs dem
durchsichtigen Fluß seiner gefälligen Schreibart. —) Andererseits aber bestreiten
wir keineswegs die Descendenztheorie überhaupt, sondern nur die rein mecha¬
nische, alles Walten von Plan und Zweck ausschließende Auffassung derselben,
und glauben an ein allgemeines, im unorganischen wie im organischen Gebiete
herrschendes Bildungsgesetz und Entwicklungsprineip. welches, den mineralischen
Stoffen wie den organischen Gebilden immanent, von Anfang an in über¬
einstimmender, plan- und zweckmäßiger Form gewaltet, und welchem gemäß
die mannigfaltigen Gesteinarten wie die verschiedenartigen Organismen in
fortschreitender, von den niederen zu den höheren aufsteigender Reihenfolge
nach und nach und resp, auseinander entstanden, sich gebildet und entwickelt
haben."

Bei dem Darwinismus sollte man immer bestimmt unterscheiden zwischen
der Idee eines Zusammenhangs der> organischen Formen, einer aufsteigenden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0456" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133216"/>
          <p xml:id="ID_1583" prev="#ID_1582"> merken, wenn man sie nun eines zwecklosen oder unzweckmäßigen Redens<lb/>
und Handelns beschuldigte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1584"> Ulrici ist nicht gewillt die Entwicklung des Höheren aus dem Niederen<lb/>
abzulehnen, welche Darwin der Gegenwart zum Bewußtsein gebracht hat;<lb/>
aber er will nicht zugeben, daß der naturphilosophische Gedanke, der an den<lb/>
Thatsachen zu prüfen sei, durch Häckel und Andre zum materialistischen Dogma<lb/>
gemacht werde, das bereits seine Fanatiker hat, die mit Beschränktheit, Blöd¬<lb/>
sinnigkeit, Unsinn und anderen Liebenswürdigkeiten um sich werfen, wenn<lb/>
Jemand von Seite der Naturforschung oder der Philosophie eine Einwendung<lb/>
macht und zu begründen sucht. Ulrici sammelt und prüft alle diese Ein¬<lb/>
wendungen, die namentlich Wigand ins Treffen geführt hat; er pflichtet ihnen<lb/>
bei, und kommt zu dem Schlußresultat: &#x201E;Jeder Organismus ist ein System<lb/>
von Stoffen und Kräften, welches nicht nur plan- und zweckmäßig angelegt<lb/>
ist, sondern auch in seiner Bildung und Entwicklung wie in den Bewegungen<lb/>
und Funktionen seiner Theile von einer spontanen, nach gewissen Typen sich<lb/>
richtenden Kraft beherrscht erscheint, und welches durch die unaufhörliche,, zwar<lb/>
der Mitwirkung der allgemeinen physikalischen und chemischen Kräfte bedürftige,<lb/>
aber sie in seinem Dienst verwendende Thätigkeit dieser Kraft in fortwährender<lb/>
Produktion und Reproduction begriffen, sich selbst so lange erhält, bis die<lb/>
Reihe seiner Entwicklungsstadien abgelaufen ist, worauf er sich auflöst und<lb/>
die in ihm gebundenen Kräfte und Stoffe der unorganischen Natur zurück¬<lb/>
giebt. (&#x2014; Ulrici wiederholt uns, daß er keinen Schmuck der Rede suche,<lb/>
aber bei solchen Sätzen wie der obige geht dem Leser der Athem aus.<lb/>
und es wäre Pflicht des Philosophen gewesen den Organismus der Dar¬<lb/>
stellung selbst für das leichtere Verständniß und nach der Eigenart der<lb/>
deutschen Sprache klarer zu gliedern und einfach schöner zu gestalten! Der neue<lb/>
Glaube von Strauß verdankt nicht den kleinsten Theil seines Erfolgs dem<lb/>
durchsichtigen Fluß seiner gefälligen Schreibart. &#x2014;) Andererseits aber bestreiten<lb/>
wir keineswegs die Descendenztheorie überhaupt, sondern nur die rein mecha¬<lb/>
nische, alles Walten von Plan und Zweck ausschließende Auffassung derselben,<lb/>
und glauben an ein allgemeines, im unorganischen wie im organischen Gebiete<lb/>
herrschendes Bildungsgesetz und Entwicklungsprineip. welches, den mineralischen<lb/>
Stoffen wie den organischen Gebilden immanent, von Anfang an in über¬<lb/>
einstimmender, plan- und zweckmäßiger Form gewaltet, und welchem gemäß<lb/>
die mannigfaltigen Gesteinarten wie die verschiedenartigen Organismen in<lb/>
fortschreitender, von den niederen zu den höheren aufsteigender Reihenfolge<lb/>
nach und nach und resp, auseinander entstanden, sich gebildet und entwickelt<lb/>
haben."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1585" next="#ID_1586"> Bei dem Darwinismus sollte man immer bestimmt unterscheiden zwischen<lb/>
der Idee eines Zusammenhangs der&gt; organischen Formen, einer aufsteigenden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0456] merken, wenn man sie nun eines zwecklosen oder unzweckmäßigen Redens und Handelns beschuldigte. Ulrici ist nicht gewillt die Entwicklung des Höheren aus dem Niederen abzulehnen, welche Darwin der Gegenwart zum Bewußtsein gebracht hat; aber er will nicht zugeben, daß der naturphilosophische Gedanke, der an den Thatsachen zu prüfen sei, durch Häckel und Andre zum materialistischen Dogma gemacht werde, das bereits seine Fanatiker hat, die mit Beschränktheit, Blöd¬ sinnigkeit, Unsinn und anderen Liebenswürdigkeiten um sich werfen, wenn Jemand von Seite der Naturforschung oder der Philosophie eine Einwendung macht und zu begründen sucht. Ulrici sammelt und prüft alle diese Ein¬ wendungen, die namentlich Wigand ins Treffen geführt hat; er pflichtet ihnen bei, und kommt zu dem Schlußresultat: „Jeder Organismus ist ein System von Stoffen und Kräften, welches nicht nur plan- und zweckmäßig angelegt ist, sondern auch in seiner Bildung und Entwicklung wie in den Bewegungen und Funktionen seiner Theile von einer spontanen, nach gewissen Typen sich richtenden Kraft beherrscht erscheint, und welches durch die unaufhörliche,, zwar der Mitwirkung der allgemeinen physikalischen und chemischen Kräfte bedürftige, aber sie in seinem Dienst verwendende Thätigkeit dieser Kraft in fortwährender Produktion und Reproduction begriffen, sich selbst so lange erhält, bis die Reihe seiner Entwicklungsstadien abgelaufen ist, worauf er sich auflöst und die in ihm gebundenen Kräfte und Stoffe der unorganischen Natur zurück¬ giebt. (— Ulrici wiederholt uns, daß er keinen Schmuck der Rede suche, aber bei solchen Sätzen wie der obige geht dem Leser der Athem aus. und es wäre Pflicht des Philosophen gewesen den Organismus der Dar¬ stellung selbst für das leichtere Verständniß und nach der Eigenart der deutschen Sprache klarer zu gliedern und einfach schöner zu gestalten! Der neue Glaube von Strauß verdankt nicht den kleinsten Theil seines Erfolgs dem durchsichtigen Fluß seiner gefälligen Schreibart. —) Andererseits aber bestreiten wir keineswegs die Descendenztheorie überhaupt, sondern nur die rein mecha¬ nische, alles Walten von Plan und Zweck ausschließende Auffassung derselben, und glauben an ein allgemeines, im unorganischen wie im organischen Gebiete herrschendes Bildungsgesetz und Entwicklungsprineip. welches, den mineralischen Stoffen wie den organischen Gebilden immanent, von Anfang an in über¬ einstimmender, plan- und zweckmäßiger Form gewaltet, und welchem gemäß die mannigfaltigen Gesteinarten wie die verschiedenartigen Organismen in fortschreitender, von den niederen zu den höheren aufsteigender Reihenfolge nach und nach und resp, auseinander entstanden, sich gebildet und entwickelt haben." Bei dem Darwinismus sollte man immer bestimmt unterscheiden zwischen der Idee eines Zusammenhangs der> organischen Formen, einer aufsteigenden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/456
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/456>, abgerufen am 23.07.2024.