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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Ohren für das künftige Hören gemäß den Aether- und Luftwellen, und jedes
Organ hat eine bestimmte Aufgabe im Dienst des Ganzen und empfängt da¬
für sein Leistungsvermögen von allen andern kraft des Ganzen. Ulrici fährt
fort, auf die Physiologie Bezug nehmend: "So besteht der menschliche Leib
nicht nur dadurch, daß das Herz fortwährend schlägt und das Blut durch
die Adern treibt, die Lunge athmet, der Magen verdaut, die Leber ihm Galle
mittheilt, die Nieren Urin absondern, die Eingeweide die zur Ernährung
brauchbaren Stoffe aussaugen und weiterverbreiten, die unbrauchbaren abführen,
sondern alle diese Organe werden wiederum nur dadurch in ihrem Bestehen
und in ihrer normalen Thätigkeit erhalten, daß das Blut fortwährend in
jedem einzelnen Gliede je nach dessen Bestimmung das Verbrauchte, Schäd¬
liche aufsaugt und wegführt, das Zweckdienliche dagegen herbeischafft, indem
es in den Knochen phosphorsauren Kalk, in den Muskeln Stickstoff, in den
Speicheldrüsen Speichel, in den Ohren Ohrenschmalz, in den Augen krystall¬
helle Gallerte, in den Nägeln und Haaren Hornstoff, in den Nerven Hirn¬
substanz, in der Gallenblase Galle, in der Bauchspeicheldrüse Pankreassaft,
im Darmkanal Darmschleim, in den Nieren Urin, im Herzbeutel die nöthige
Feuchtigkeit, in den Lungen Kohlensäure ze. absetzt, jeden Stoff zur rechten
Zeit, am rechten Ort, in gehöriger Menge, im richtigen chemischen Mischungs¬
verhältniß, genau so wie es der Zweck des Ganzen fordert." Dies gegen¬
seitige Bedingtsein, dies vielseitige Ineinandergreifen muß man sich einmal
ordentlich klar gemacht haben um die begründete Einsicht zu gewinnen, daß
in der Vielgliedrigkeit des Organismus ein einheitliches Wesen verwirklicht
Wird, dessen Kraft nach einem Plane thätig ist, in der Ausführung dieses
Planes ihren Zweck erreicht, um das neumodische Gerede gegen die Zweck¬
mäßigkeit der Natur zurückzuweisen. Weil ihr der Mensch seine Zwecke früher
untergeschoben, ist das Fragen nach dem Zweck in Verruf gekommen. Wenn
aber das Auge gemäß den Gesetzen der Aethcrwellen gebildet ist, und nun
das Licht und das Sehen dadurch hervorgebracht werden, wie kann da ge¬
sunder Sinn sagen: wir sehen, weil wir Augen haben, statt: wir haben Augen,
um zu sehen?

Aber Häckel preist Darwin "daß es ihm endlich gelungen sei den Zweck¬
begriff und alle Teleologie aus der Welt zu schaffen, indem er dargethan,
daß keine zweckthätige Ursache, sondern nur blindwirkende mechanische Kräfte
die anscheinende Plan- und Zweckmäßigkeit hervorgerufen haben. Also ist der
Zweck doch noch nicht aus der Welt geschafft, denn wenn nur Mechanismus
waltet, so erzeugt er wenigstens im Menschen den Zweckbegriff und das Han¬
deln nach Zwecken, und das wird Häckel doch nicht ableugnen, daß damit der
Zweck in der Welt und dann das nothwendige Ergebniß des Mechanismus
ist; oder -- wie Ulrici hinzufügt -- die Materialisten würden es übel ver-


Ohren für das künftige Hören gemäß den Aether- und Luftwellen, und jedes
Organ hat eine bestimmte Aufgabe im Dienst des Ganzen und empfängt da¬
für sein Leistungsvermögen von allen andern kraft des Ganzen. Ulrici fährt
fort, auf die Physiologie Bezug nehmend: „So besteht der menschliche Leib
nicht nur dadurch, daß das Herz fortwährend schlägt und das Blut durch
die Adern treibt, die Lunge athmet, der Magen verdaut, die Leber ihm Galle
mittheilt, die Nieren Urin absondern, die Eingeweide die zur Ernährung
brauchbaren Stoffe aussaugen und weiterverbreiten, die unbrauchbaren abführen,
sondern alle diese Organe werden wiederum nur dadurch in ihrem Bestehen
und in ihrer normalen Thätigkeit erhalten, daß das Blut fortwährend in
jedem einzelnen Gliede je nach dessen Bestimmung das Verbrauchte, Schäd¬
liche aufsaugt und wegführt, das Zweckdienliche dagegen herbeischafft, indem
es in den Knochen phosphorsauren Kalk, in den Muskeln Stickstoff, in den
Speicheldrüsen Speichel, in den Ohren Ohrenschmalz, in den Augen krystall¬
helle Gallerte, in den Nägeln und Haaren Hornstoff, in den Nerven Hirn¬
substanz, in der Gallenblase Galle, in der Bauchspeicheldrüse Pankreassaft,
im Darmkanal Darmschleim, in den Nieren Urin, im Herzbeutel die nöthige
Feuchtigkeit, in den Lungen Kohlensäure ze. absetzt, jeden Stoff zur rechten
Zeit, am rechten Ort, in gehöriger Menge, im richtigen chemischen Mischungs¬
verhältniß, genau so wie es der Zweck des Ganzen fordert." Dies gegen¬
seitige Bedingtsein, dies vielseitige Ineinandergreifen muß man sich einmal
ordentlich klar gemacht haben um die begründete Einsicht zu gewinnen, daß
in der Vielgliedrigkeit des Organismus ein einheitliches Wesen verwirklicht
Wird, dessen Kraft nach einem Plane thätig ist, in der Ausführung dieses
Planes ihren Zweck erreicht, um das neumodische Gerede gegen die Zweck¬
mäßigkeit der Natur zurückzuweisen. Weil ihr der Mensch seine Zwecke früher
untergeschoben, ist das Fragen nach dem Zweck in Verruf gekommen. Wenn
aber das Auge gemäß den Gesetzen der Aethcrwellen gebildet ist, und nun
das Licht und das Sehen dadurch hervorgebracht werden, wie kann da ge¬
sunder Sinn sagen: wir sehen, weil wir Augen haben, statt: wir haben Augen,
um zu sehen?

Aber Häckel preist Darwin „daß es ihm endlich gelungen sei den Zweck¬
begriff und alle Teleologie aus der Welt zu schaffen, indem er dargethan,
daß keine zweckthätige Ursache, sondern nur blindwirkende mechanische Kräfte
die anscheinende Plan- und Zweckmäßigkeit hervorgerufen haben. Also ist der
Zweck doch noch nicht aus der Welt geschafft, denn wenn nur Mechanismus
waltet, so erzeugt er wenigstens im Menschen den Zweckbegriff und das Han¬
deln nach Zwecken, und das wird Häckel doch nicht ableugnen, daß damit der
Zweck in der Welt und dann das nothwendige Ergebniß des Mechanismus
ist; oder — wie Ulrici hinzufügt — die Materialisten würden es übel ver-


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[0455] Ohren für das künftige Hören gemäß den Aether- und Luftwellen, und jedes Organ hat eine bestimmte Aufgabe im Dienst des Ganzen und empfängt da¬ für sein Leistungsvermögen von allen andern kraft des Ganzen. Ulrici fährt fort, auf die Physiologie Bezug nehmend: „So besteht der menschliche Leib nicht nur dadurch, daß das Herz fortwährend schlägt und das Blut durch die Adern treibt, die Lunge athmet, der Magen verdaut, die Leber ihm Galle mittheilt, die Nieren Urin absondern, die Eingeweide die zur Ernährung brauchbaren Stoffe aussaugen und weiterverbreiten, die unbrauchbaren abführen, sondern alle diese Organe werden wiederum nur dadurch in ihrem Bestehen und in ihrer normalen Thätigkeit erhalten, daß das Blut fortwährend in jedem einzelnen Gliede je nach dessen Bestimmung das Verbrauchte, Schäd¬ liche aufsaugt und wegführt, das Zweckdienliche dagegen herbeischafft, indem es in den Knochen phosphorsauren Kalk, in den Muskeln Stickstoff, in den Speicheldrüsen Speichel, in den Ohren Ohrenschmalz, in den Augen krystall¬ helle Gallerte, in den Nägeln und Haaren Hornstoff, in den Nerven Hirn¬ substanz, in der Gallenblase Galle, in der Bauchspeicheldrüse Pankreassaft, im Darmkanal Darmschleim, in den Nieren Urin, im Herzbeutel die nöthige Feuchtigkeit, in den Lungen Kohlensäure ze. absetzt, jeden Stoff zur rechten Zeit, am rechten Ort, in gehöriger Menge, im richtigen chemischen Mischungs¬ verhältniß, genau so wie es der Zweck des Ganzen fordert." Dies gegen¬ seitige Bedingtsein, dies vielseitige Ineinandergreifen muß man sich einmal ordentlich klar gemacht haben um die begründete Einsicht zu gewinnen, daß in der Vielgliedrigkeit des Organismus ein einheitliches Wesen verwirklicht Wird, dessen Kraft nach einem Plane thätig ist, in der Ausführung dieses Planes ihren Zweck erreicht, um das neumodische Gerede gegen die Zweck¬ mäßigkeit der Natur zurückzuweisen. Weil ihr der Mensch seine Zwecke früher untergeschoben, ist das Fragen nach dem Zweck in Verruf gekommen. Wenn aber das Auge gemäß den Gesetzen der Aethcrwellen gebildet ist, und nun das Licht und das Sehen dadurch hervorgebracht werden, wie kann da ge¬ sunder Sinn sagen: wir sehen, weil wir Augen haben, statt: wir haben Augen, um zu sehen? Aber Häckel preist Darwin „daß es ihm endlich gelungen sei den Zweck¬ begriff und alle Teleologie aus der Welt zu schaffen, indem er dargethan, daß keine zweckthätige Ursache, sondern nur blindwirkende mechanische Kräfte die anscheinende Plan- und Zweckmäßigkeit hervorgerufen haben. Also ist der Zweck doch noch nicht aus der Welt geschafft, denn wenn nur Mechanismus waltet, so erzeugt er wenigstens im Menschen den Zweckbegriff und das Han¬ deln nach Zwecken, und das wird Häckel doch nicht ableugnen, daß damit der Zweck in der Welt und dann das nothwendige Ergebniß des Mechanismus ist; oder — wie Ulrici hinzufügt — die Materialisten würden es übel ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/455>, abgerufen am 23.07.2024.