Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.nismus. Er findet, daß eine organisirende Kraft erforderlich ist, welche an Planmäßigkeit der Gestaltung und Structur, das ist doch wohl allgemein nismus. Er findet, daß eine organisirende Kraft erforderlich ist, welche an Planmäßigkeit der Gestaltung und Structur, das ist doch wohl allgemein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0454" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133214"/> <p xml:id="ID_1579" prev="#ID_1578"> nismus. Er findet, daß eine organisirende Kraft erforderlich ist, welche an<lb/> die physikalischen Gesetze, die chemischen Stoffe gebunden, innerhalb und mittels<lb/> derselben den vielgliedrigen lebendigen Leib gestaltet, erhält, fortpflanzt. Er<lb/> weist nach, daß diese sog. Lebenskraft, von Liebig wie von Johannes Müller<lb/> anerkannt, von ihren beredtesten Gegnern, wie Häckel und Lotze doch überall<lb/> vorausgesetzt wird; denn Atome, die nicht nach ihren eignen Affinitäten und<lb/> nach äußern Einflüssen, sondern in der Keimzelle dem Plan des Ganzen ge¬<lb/> mäß wirken, verlangen einen solchen Plan, eine planmäßig wirkende Kraft.<lb/> Auch erkennt Lotze deren spontane Triebkraft und Selbstbewegung an, wenn<lb/> er bemerkt, daß die Metalle wie jeder unorganische Körper warten müssen, bis<lb/> im Laufe der Veränderungen in seiner Umgebung Einflüsse eintreten, die ihm<lb/> eine neue Form aufnöthigen, der Organismus dagegen in sich selbst sowohl<lb/> ein Gesetz der Aufeinanderfolge seiner Entwickelungsstufen als auch einen<lb/> inneren Antrieb ihrer Verwirklichung besitze, obgleich er äußerer Begünstigung<lb/> dazu nicht unbedürftig sei. Mir scheint nun, daß Ulrici hier eines noch schärfer<lb/> hätte betonen sollen: es sind allgemeine Bildungsgesetze zur Erklärung der<lb/> Organismen nicht ausreichend, und darum sträubt man sich gegen eine Lebens¬<lb/> kraft neben Schwerkraft, Elektricität, Magnetismus; das Princip der Organi¬<lb/> sation ist für jeden Organismus ein individuelles, das nach Gesetzen wirkt,<lb/> ohne seine Eigenthümlichkeit aufzugeben; es ist mit Einem Wort die Seele,<lb/> die den Leib aus den Stoffen der unorganischen Natur sich zum Organe ge¬<lb/> staltet, und darüber im Innern das Reich des Bewußtseins, der Freiheit des<lb/> Geistes aufbaut. So, durch dies lebendige Band, erklärt sich uns die Wechsel¬<lb/> wirkung von Gedanke und Materie. Es ist die Phantasie, welche als ge¬<lb/> staltende Kraft der Seele in der Sphäre des Unbewußten den Leib bildet,<lb/> dann für das Bewußtsein aus den Empfindungen die Anschauungsbilder der<lb/> Dinge entwirft und sich vorstellt, endlich Ideen künstlerisch durch Bild, Ton<lb/> und Wort verwirklicht. Dies glaube ich in meiner Aesthetik klar gemacht und<lb/> sichergestellt zu haben, und freue mich zu sehen wie auch Ulrici im Fortgang<lb/> seines Buches der Phantasie eine ähnliche Rolle zuweist und ihre große Be¬<lb/> deutung würdigt; wie gleichfalls H. I. Fichte. Sie ist das Dritte neben der<lb/> Intelligenz und dem Willen im innern Organismus der Seele selbst.</p><lb/> <p xml:id="ID_1580" next="#ID_1581"> Planmäßigkeit der Gestaltung und Structur, das ist doch wohl allgemein<lb/> anerkannte Thatsache, äußert sich nicht nur in einer durchgängigen Ueberein-^<lb/> Stimmung zwischen den Theilen und dem Ganzen wie zwischen den Theilen<lb/> untereinander, also innerhalb des Organismus, sondern eben so sehr auch in<lb/> einer gleichen Uebereinstimmung zwischen der innern Organisation jedes leben¬<lb/> digen Wesens und den äußern Bedingungen seines Daseins, also gleichsam<lb/> außerhalb des Organismus. Und so bilden sich bereits im Mutterleibe die<lb/> Lungen für das künftige Athmen, die Augen für das künftige Sehen, die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0454]
nismus. Er findet, daß eine organisirende Kraft erforderlich ist, welche an
die physikalischen Gesetze, die chemischen Stoffe gebunden, innerhalb und mittels
derselben den vielgliedrigen lebendigen Leib gestaltet, erhält, fortpflanzt. Er
weist nach, daß diese sog. Lebenskraft, von Liebig wie von Johannes Müller
anerkannt, von ihren beredtesten Gegnern, wie Häckel und Lotze doch überall
vorausgesetzt wird; denn Atome, die nicht nach ihren eignen Affinitäten und
nach äußern Einflüssen, sondern in der Keimzelle dem Plan des Ganzen ge¬
mäß wirken, verlangen einen solchen Plan, eine planmäßig wirkende Kraft.
Auch erkennt Lotze deren spontane Triebkraft und Selbstbewegung an, wenn
er bemerkt, daß die Metalle wie jeder unorganische Körper warten müssen, bis
im Laufe der Veränderungen in seiner Umgebung Einflüsse eintreten, die ihm
eine neue Form aufnöthigen, der Organismus dagegen in sich selbst sowohl
ein Gesetz der Aufeinanderfolge seiner Entwickelungsstufen als auch einen
inneren Antrieb ihrer Verwirklichung besitze, obgleich er äußerer Begünstigung
dazu nicht unbedürftig sei. Mir scheint nun, daß Ulrici hier eines noch schärfer
hätte betonen sollen: es sind allgemeine Bildungsgesetze zur Erklärung der
Organismen nicht ausreichend, und darum sträubt man sich gegen eine Lebens¬
kraft neben Schwerkraft, Elektricität, Magnetismus; das Princip der Organi¬
sation ist für jeden Organismus ein individuelles, das nach Gesetzen wirkt,
ohne seine Eigenthümlichkeit aufzugeben; es ist mit Einem Wort die Seele,
die den Leib aus den Stoffen der unorganischen Natur sich zum Organe ge¬
staltet, und darüber im Innern das Reich des Bewußtseins, der Freiheit des
Geistes aufbaut. So, durch dies lebendige Band, erklärt sich uns die Wechsel¬
wirkung von Gedanke und Materie. Es ist die Phantasie, welche als ge¬
staltende Kraft der Seele in der Sphäre des Unbewußten den Leib bildet,
dann für das Bewußtsein aus den Empfindungen die Anschauungsbilder der
Dinge entwirft und sich vorstellt, endlich Ideen künstlerisch durch Bild, Ton
und Wort verwirklicht. Dies glaube ich in meiner Aesthetik klar gemacht und
sichergestellt zu haben, und freue mich zu sehen wie auch Ulrici im Fortgang
seines Buches der Phantasie eine ähnliche Rolle zuweist und ihre große Be¬
deutung würdigt; wie gleichfalls H. I. Fichte. Sie ist das Dritte neben der
Intelligenz und dem Willen im innern Organismus der Seele selbst.
Planmäßigkeit der Gestaltung und Structur, das ist doch wohl allgemein
anerkannte Thatsache, äußert sich nicht nur in einer durchgängigen Ueberein-^
Stimmung zwischen den Theilen und dem Ganzen wie zwischen den Theilen
untereinander, also innerhalb des Organismus, sondern eben so sehr auch in
einer gleichen Uebereinstimmung zwischen der innern Organisation jedes leben¬
digen Wesens und den äußern Bedingungen seines Daseins, also gleichsam
außerhalb des Organismus. Und so bilden sich bereits im Mutterleibe die
Lungen für das künftige Athmen, die Augen für das künftige Sehen, die
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |