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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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die Leute fragten sich über die Straße hin, was das Feuern zu bedeuten habe.
"Bumm!" krachte die vierte Kanone."

"Ich sprang aus dem Bette und riß mir die Jacke vom Leibe; denn ich
hörte, wie der Capitain sich an der Wand nach meiner Kammer hintastete.
Als er die Thürklinke gefunden hatte, war ich halb ausgezogen. "Hören Sie
'mal, Großvater," rief ich. "hören Sie wohl diese Kanonen?" "Da ich nicht
taub bin, höre ich sie," sagte der Capitain ein wenig spitz -- denn jede An¬
spielung auf sein Gehör verdroß ihn immer -- "aber was in aller Welt sie
bedeuten sollen, kann ich nicht begreifen. Du thätest besser, aufzustehen und
Dich anzukleiden." "Ich bin schon fast fertig mit Anziehen."

"Bumm! Bumm!" -- zwei von den Kanonen waren zu gleicher Zeit
losgegangen. Die Thür von Fräulein Abigails Schlafzimmer öffnete sich,
und diese Blume jungfräulichen Anstandes trat in ihrer Nachtjacke heraus
auf den Vorsaal -- das einzige Mal, daß ich sie etwas Unziemliches thun
sah. Sie hielt eine angezündete Kerze in ihrer Hand und sah wie eine hoch¬
betagte Lady Macbeth aus. "O Daniel," sagte sie, "das ist fürchterlich!
Was denkst Du wohl, das es bedeutet?" "Ich weiß es wirklich nicht," sagte
der Capitain, indem er sich hinter den Ohren kratzte. "Aber ich vermuthe, 's
ist jetzt vorüber!" "Bumm!" sagte Bailey's Batterie."

"Rivermouth war jetzt völlig wach geworden, und die halbe männliche
Bevölkerung befand sich in den Straßen und lief nach verschiedenen Richtungen
hin; denn das Feuern schien von entgegengesetzten Punkten der Stadt aus¬
zugehen. Jedermann lauerte jedermann mit Fragen auf, da aber niemand
wußte, was der Tumult zu bedeuten hatte, so fingen selbst Leute, die ge¬
wöhnlich keine schwachen Nerven hatten, an, über das Geheimniß ängstlich
zu werden. Einige dachten, die Stadt würde bombardirt, einige dachten, das
Ende der Welt sei vor der Thür, wie der fromme und geistreiche Herr Miller
geweissagt hatte; aber die. welche sich gar keine Erklärung bilden konnten,
waren die am meisten Verblüfften."

"Mittlerweile brüllte Bailey's Batterie in regelmäßigen Zwischenräumen
weiter. Die größte Verwirrung herrschte jetzt allenthalben. Leute mit Laternen
stürzten hierhin und dorthin. Die Stadtwache war Mann für Mann aus¬
gerückt und marschirte in bewundernswürdiger Ordnung ab -- nach der
falschen Richtung hin. Als sie ihren Irrthum entdeckten, lenkten sie ihre
Schritte zurück und kamen just unten an der Werfte an, als die letzte Kanone
ihren Blitz fortschleuderte. -- Eine dicke Wolke schwefeligen Rauches schwebte
über der Ankerstraße und verdunkelte das Sternenlicht. Zwei- oder drei¬
hundert Menschen in den verschiedensten Stadien der Aufregung drängten sich
am obern Ende der Werfte; denn sie getrauten sich nicht weiter vorzugehen,
bis sie überzeugt waren, daß die Explosionen vorüber seien. Hier und da


die Leute fragten sich über die Straße hin, was das Feuern zu bedeuten habe.
„Bumm!" krachte die vierte Kanone."

„Ich sprang aus dem Bette und riß mir die Jacke vom Leibe; denn ich
hörte, wie der Capitain sich an der Wand nach meiner Kammer hintastete.
Als er die Thürklinke gefunden hatte, war ich halb ausgezogen. „Hören Sie
'mal, Großvater," rief ich. „hören Sie wohl diese Kanonen?" „Da ich nicht
taub bin, höre ich sie," sagte der Capitain ein wenig spitz — denn jede An¬
spielung auf sein Gehör verdroß ihn immer — „aber was in aller Welt sie
bedeuten sollen, kann ich nicht begreifen. Du thätest besser, aufzustehen und
Dich anzukleiden." „Ich bin schon fast fertig mit Anziehen."

„Bumm! Bumm!" — zwei von den Kanonen waren zu gleicher Zeit
losgegangen. Die Thür von Fräulein Abigails Schlafzimmer öffnete sich,
und diese Blume jungfräulichen Anstandes trat in ihrer Nachtjacke heraus
auf den Vorsaal — das einzige Mal, daß ich sie etwas Unziemliches thun
sah. Sie hielt eine angezündete Kerze in ihrer Hand und sah wie eine hoch¬
betagte Lady Macbeth aus. „O Daniel," sagte sie, „das ist fürchterlich!
Was denkst Du wohl, das es bedeutet?" „Ich weiß es wirklich nicht," sagte
der Capitain, indem er sich hinter den Ohren kratzte. „Aber ich vermuthe, 's
ist jetzt vorüber!" „Bumm!" sagte Bailey's Batterie."

„Rivermouth war jetzt völlig wach geworden, und die halbe männliche
Bevölkerung befand sich in den Straßen und lief nach verschiedenen Richtungen
hin; denn das Feuern schien von entgegengesetzten Punkten der Stadt aus¬
zugehen. Jedermann lauerte jedermann mit Fragen auf, da aber niemand
wußte, was der Tumult zu bedeuten hatte, so fingen selbst Leute, die ge¬
wöhnlich keine schwachen Nerven hatten, an, über das Geheimniß ängstlich
zu werden. Einige dachten, die Stadt würde bombardirt, einige dachten, das
Ende der Welt sei vor der Thür, wie der fromme und geistreiche Herr Miller
geweissagt hatte; aber die. welche sich gar keine Erklärung bilden konnten,
waren die am meisten Verblüfften."

„Mittlerweile brüllte Bailey's Batterie in regelmäßigen Zwischenräumen
weiter. Die größte Verwirrung herrschte jetzt allenthalben. Leute mit Laternen
stürzten hierhin und dorthin. Die Stadtwache war Mann für Mann aus¬
gerückt und marschirte in bewundernswürdiger Ordnung ab — nach der
falschen Richtung hin. Als sie ihren Irrthum entdeckten, lenkten sie ihre
Schritte zurück und kamen just unten an der Werfte an, als die letzte Kanone
ihren Blitz fortschleuderte. — Eine dicke Wolke schwefeligen Rauches schwebte
über der Ankerstraße und verdunkelte das Sternenlicht. Zwei- oder drei¬
hundert Menschen in den verschiedensten Stadien der Aufregung drängten sich
am obern Ende der Werfte; denn sie getrauten sich nicht weiter vorzugehen,
bis sie überzeugt waren, daß die Explosionen vorüber seien. Hier und da


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/442>, abgerufen am 23.07.2024.