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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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werden ihrer nutzlosen Zwölfpfünder und Drehbttssen gerade so eilig, wie sie
es vorher mit der Beschaffung derselben gehabt hatten. Viele von diesen
Stücken hatten große Summen gekostet, und jetzt waren sie wenig mehr werth
als eben so viel unverarbeitetes Eisen -- eigentlich nicht einmal so viel werth,
da die plumpen Dinger sich schlecht zerbrechen und umschmelzen ließen. Die
Negierung konnte sie nicht gebrauchen, die Privatleute konnten sie nicht ge¬
brauchen, sie waren schofle Waare auf dem Markte. Aber es gab einen
Mann, der sich die lächerliche Idee in den Kopf gesetzt hatte, daß sich aus
diesen selbigen Kanonen ein Vermögen machen ließe. Sie allesammt auszu¬
laufen, sie aufzubewahren, bis der Krieg von Neuem erklärt würde (was, wie
er nicht bezweifelte, in wenigen Monaten geschehen mußte) und sie dann zu
fabelhaften Preisen loszuschlagen -- das war die kühne Idee, welche im Hirn¬
kasten von sitas Trefethen, "Händler mit Schnitt- und Colonialwaaren",
wie das verbundne Schild über seiner Ladenthür dem Publikum berichtete,
Verwirrung anrichten sollte. sitas ging schlau zu Werke, indem er jede alte
Kanone kaufte, die ihm vor die Hände kam. Sein Hinterhof war bald ge¬
stopft voll von zusammengebrochen Lafetten, und seine Scheune starrte von
Kanonenläufen wie ein Zeughaus. Als man von der Absicht sitas' Wind
bekam, war es zum Erstaunen, wie werthvoll das Ding wurde, welches eben
noch gar keinen Werth gehabt hatte."

Ueber dieser Speculation stirbt sitas. "Seine in ihrer Art einzige Collec¬
tio" kam unter den Hammer des Auktionators. Einige von den größeren
Geschützen wurden an die Stadt verkauft und als Prellsteine an die Ecken
verschiedener Straßen gestellt. Andere wanderten in die Eisengießerei. Die
übrigen, zwölf an der Zahl, wurden auf eine verlassene Werfte am Fuße
der Ankerstraße geschafft, wo sie Sommer auf Sommer in Gras und Schwäm¬
men behaglich der Ruhe Pflegten, im Herbst vom Regen gepeitscht und all¬
jährlich vom Winterschnee begraben. Diese zwölf Kanonenläufe sind es, mit
denen unsere Geschichte zu thun hat. Die Werfte, wo sie ruhten, war von
der Straße durch einen hohen Zaun abgesperrt -- eine schweigsame, träume¬
rische alte Werfte, die mit seltsamem Unkraut und Moos bedeckt war. Wegen
seiner Abgeschlossenheit und der guten Gelegenheit zum Fischfang, die der Ort
gewährte, wurde er von uns Knaben viel besucht. Hier trafen wir uns
manchen Nachmittag, um unsre Leinen auszuwerfen, oder zwischen den rostigen
Kanonen Froschhüpfen zu spielen. Sie waren in unsern Augen berühmte
Burschen. Was für einen Spektakel sie in den Tagen gemacht hatten, wo
sie noch junge Springinsfelde gewesen waren! Aber noch einmal sollten sie
ihre schmerzerfüllter Stimmen erheben -- noch einmal, bevor sie den Kiel
nach oben reckten und für alle spätere Zeit sprachlos liegen blieben. Und
das geschah folgendermaßen. Jack Harris, Charley Marder, Harry Blake


werden ihrer nutzlosen Zwölfpfünder und Drehbttssen gerade so eilig, wie sie
es vorher mit der Beschaffung derselben gehabt hatten. Viele von diesen
Stücken hatten große Summen gekostet, und jetzt waren sie wenig mehr werth
als eben so viel unverarbeitetes Eisen — eigentlich nicht einmal so viel werth,
da die plumpen Dinger sich schlecht zerbrechen und umschmelzen ließen. Die
Negierung konnte sie nicht gebrauchen, die Privatleute konnten sie nicht ge¬
brauchen, sie waren schofle Waare auf dem Markte. Aber es gab einen
Mann, der sich die lächerliche Idee in den Kopf gesetzt hatte, daß sich aus
diesen selbigen Kanonen ein Vermögen machen ließe. Sie allesammt auszu¬
laufen, sie aufzubewahren, bis der Krieg von Neuem erklärt würde (was, wie
er nicht bezweifelte, in wenigen Monaten geschehen mußte) und sie dann zu
fabelhaften Preisen loszuschlagen — das war die kühne Idee, welche im Hirn¬
kasten von sitas Trefethen, „Händler mit Schnitt- und Colonialwaaren",
wie das verbundne Schild über seiner Ladenthür dem Publikum berichtete,
Verwirrung anrichten sollte. sitas ging schlau zu Werke, indem er jede alte
Kanone kaufte, die ihm vor die Hände kam. Sein Hinterhof war bald ge¬
stopft voll von zusammengebrochen Lafetten, und seine Scheune starrte von
Kanonenläufen wie ein Zeughaus. Als man von der Absicht sitas' Wind
bekam, war es zum Erstaunen, wie werthvoll das Ding wurde, welches eben
noch gar keinen Werth gehabt hatte."

Ueber dieser Speculation stirbt sitas. „Seine in ihrer Art einzige Collec¬
tio» kam unter den Hammer des Auktionators. Einige von den größeren
Geschützen wurden an die Stadt verkauft und als Prellsteine an die Ecken
verschiedener Straßen gestellt. Andere wanderten in die Eisengießerei. Die
übrigen, zwölf an der Zahl, wurden auf eine verlassene Werfte am Fuße
der Ankerstraße geschafft, wo sie Sommer auf Sommer in Gras und Schwäm¬
men behaglich der Ruhe Pflegten, im Herbst vom Regen gepeitscht und all¬
jährlich vom Winterschnee begraben. Diese zwölf Kanonenläufe sind es, mit
denen unsere Geschichte zu thun hat. Die Werfte, wo sie ruhten, war von
der Straße durch einen hohen Zaun abgesperrt — eine schweigsame, träume¬
rische alte Werfte, die mit seltsamem Unkraut und Moos bedeckt war. Wegen
seiner Abgeschlossenheit und der guten Gelegenheit zum Fischfang, die der Ort
gewährte, wurde er von uns Knaben viel besucht. Hier trafen wir uns
manchen Nachmittag, um unsre Leinen auszuwerfen, oder zwischen den rostigen
Kanonen Froschhüpfen zu spielen. Sie waren in unsern Augen berühmte
Burschen. Was für einen Spektakel sie in den Tagen gemacht hatten, wo
sie noch junge Springinsfelde gewesen waren! Aber noch einmal sollten sie
ihre schmerzerfüllter Stimmen erheben — noch einmal, bevor sie den Kiel
nach oben reckten und für alle spätere Zeit sprachlos liegen blieben. Und
das geschah folgendermaßen. Jack Harris, Charley Marder, Harry Blake


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[0439] werden ihrer nutzlosen Zwölfpfünder und Drehbttssen gerade so eilig, wie sie es vorher mit der Beschaffung derselben gehabt hatten. Viele von diesen Stücken hatten große Summen gekostet, und jetzt waren sie wenig mehr werth als eben so viel unverarbeitetes Eisen — eigentlich nicht einmal so viel werth, da die plumpen Dinger sich schlecht zerbrechen und umschmelzen ließen. Die Negierung konnte sie nicht gebrauchen, die Privatleute konnten sie nicht ge¬ brauchen, sie waren schofle Waare auf dem Markte. Aber es gab einen Mann, der sich die lächerliche Idee in den Kopf gesetzt hatte, daß sich aus diesen selbigen Kanonen ein Vermögen machen ließe. Sie allesammt auszu¬ laufen, sie aufzubewahren, bis der Krieg von Neuem erklärt würde (was, wie er nicht bezweifelte, in wenigen Monaten geschehen mußte) und sie dann zu fabelhaften Preisen loszuschlagen — das war die kühne Idee, welche im Hirn¬ kasten von sitas Trefethen, „Händler mit Schnitt- und Colonialwaaren", wie das verbundne Schild über seiner Ladenthür dem Publikum berichtete, Verwirrung anrichten sollte. sitas ging schlau zu Werke, indem er jede alte Kanone kaufte, die ihm vor die Hände kam. Sein Hinterhof war bald ge¬ stopft voll von zusammengebrochen Lafetten, und seine Scheune starrte von Kanonenläufen wie ein Zeughaus. Als man von der Absicht sitas' Wind bekam, war es zum Erstaunen, wie werthvoll das Ding wurde, welches eben noch gar keinen Werth gehabt hatte." Ueber dieser Speculation stirbt sitas. „Seine in ihrer Art einzige Collec¬ tio» kam unter den Hammer des Auktionators. Einige von den größeren Geschützen wurden an die Stadt verkauft und als Prellsteine an die Ecken verschiedener Straßen gestellt. Andere wanderten in die Eisengießerei. Die übrigen, zwölf an der Zahl, wurden auf eine verlassene Werfte am Fuße der Ankerstraße geschafft, wo sie Sommer auf Sommer in Gras und Schwäm¬ men behaglich der Ruhe Pflegten, im Herbst vom Regen gepeitscht und all¬ jährlich vom Winterschnee begraben. Diese zwölf Kanonenläufe sind es, mit denen unsere Geschichte zu thun hat. Die Werfte, wo sie ruhten, war von der Straße durch einen hohen Zaun abgesperrt — eine schweigsame, träume¬ rische alte Werfte, die mit seltsamem Unkraut und Moos bedeckt war. Wegen seiner Abgeschlossenheit und der guten Gelegenheit zum Fischfang, die der Ort gewährte, wurde er von uns Knaben viel besucht. Hier trafen wir uns manchen Nachmittag, um unsre Leinen auszuwerfen, oder zwischen den rostigen Kanonen Froschhüpfen zu spielen. Sie waren in unsern Augen berühmte Burschen. Was für einen Spektakel sie in den Tagen gemacht hatten, wo sie noch junge Springinsfelde gewesen waren! Aber noch einmal sollten sie ihre schmerzerfüllter Stimmen erheben — noch einmal, bevor sie den Kiel nach oben reckten und für alle spätere Zeit sprachlos liegen blieben. Und das geschah folgendermaßen. Jack Harris, Charley Marder, Harry Blake

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/439>, abgerufen am 23.07.2024.