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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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schien. . . Auch ein dramatischer Dialog wurde gegeben. Ferdinand, der edle
Sohn des eisernen Alba, ersuchte Egmont mit spitzer zwirnfadendünncr Dis¬
kantstimme "seine Leidenschaft rasen zu lassen", während dieser Angesichts des
grausen Todes durch Henkershand auch noch den Kummer zu tragen hatte,
daß er keinen Frack bekommen, sondern in einer Polkajacke deklamiren mußte.
-- Von Balladen errang der Kampf mit dem Drachen den meisten Beifall.
Um gerecht zu sein, muß indeß bemerkt werden: der noch sehr jugendliche
Darsteller war durch häusliche Unterweisungen, wie sie nicht jedem zu Gebote
standen, erheblich gefördert worden. "Steh hübsch gerade, lehr' Dich nicht
an und zupf' nicht immer mit den Händen so linkisch an den Kleidern herum!
Das paßt weder für den Hochmeister, noch für den Ritter, und für den Lind¬
wurm auch nicht!" Aldrich dagegen liefert seinen ersten schriftstellerischen
Versuch zu Ehren seines liebenswürdigen Ponys, des "Zigeunermädchens".
"Mein Puls schlug laut vor Stolz und Erwartung, als ich an jenem Mitt¬
wochsmorgen meinen Aufsatz sauber zusammengefaltet auf des Meisters Tisch
legte. Mit Entschiedenheit lehne ich's ab, zu sagen, welchen Preis ich gewann,
aber hier ist der Aufsatz, er mag für sich selbst sprechen. -- "Das Pferd.
Das Pferd ißt ein nüzliges (ein Klex) Thir. Es ißt schön, wenn man.eins
had. Jg habe eins. Es heist das Zigeunermätgeri. (Ein zweiter kleinerer
Klex.) Sie beißt, ihre Mare ißt sehr laut, Neulig wusch ig ir den einen
Forterfus, da bückte sie sig mit den Kopfe nider und hob mich mit die Hosen
hinden in die Höhe und lies nig in den Waffertrog fallen, der dabei stand.
Jg hiep sie sex Mahl mit einen Stück reifen über den rücken. Der Weg des
überdräters ist hart. (Klex) T. Bailey." Nicht unbedenklicher sind die ersten
mimischen Versündigungen des amerikanischen Buben, die bei Aldrich sehr be-
zeichnend, nicht etwa, wie bei Reichenau, zu Nutz und Frommen der Herren
Eltern im Schulexamen, sondern gegen ein Entree in Stecknadeln und Wäsch¬
klammern vor einem gewählten Kreis von Altersgenossen beiderlei Geschlechts
exercirt werden. Sie nehmen bei der zehnten Vorstellung, dem Wilhelm Teil,
ein unglückliches Ende. Bailey agirt den Helden des Schweizerlandes. "Der
gepfefferte (pockennarbige) Whitcomb, der alle Kinder- und Frauenrollen
spielte, war mein Sohn. Um Mißgeschick zu verhüten, war über die obere
Hälfte von Whitcombs Gesicht mit einem Taschentuche ein Stück Pappdeckel
gebunden, während die Spitze des Pfeils, der gebraucht werden sollte, in einen
Streifen Flanell eingenäht war. Ich war ein vortrefflicher Schütze, und der
große Apfel, nur drei Schritte von mir entfernt, kehrte mir ganz ehrlich seine
rothe Wange zu. Ich sehe den armen Gepfefferten noch heute, wie er ohne
Wanken und Weichen dastand und wartete, daß ich mein großes Kunststück
loslasse. Ich erhob die Armbrust unter athemlosem Schweigen der dichtge¬
drängten Zuschauermenge. Bass! schnellte die Sehne los, aber ach! statt den


schien. . . Auch ein dramatischer Dialog wurde gegeben. Ferdinand, der edle
Sohn des eisernen Alba, ersuchte Egmont mit spitzer zwirnfadendünncr Dis¬
kantstimme „seine Leidenschaft rasen zu lassen", während dieser Angesichts des
grausen Todes durch Henkershand auch noch den Kummer zu tragen hatte,
daß er keinen Frack bekommen, sondern in einer Polkajacke deklamiren mußte.
— Von Balladen errang der Kampf mit dem Drachen den meisten Beifall.
Um gerecht zu sein, muß indeß bemerkt werden: der noch sehr jugendliche
Darsteller war durch häusliche Unterweisungen, wie sie nicht jedem zu Gebote
standen, erheblich gefördert worden. „Steh hübsch gerade, lehr' Dich nicht
an und zupf' nicht immer mit den Händen so linkisch an den Kleidern herum!
Das paßt weder für den Hochmeister, noch für den Ritter, und für den Lind¬
wurm auch nicht!" Aldrich dagegen liefert seinen ersten schriftstellerischen
Versuch zu Ehren seines liebenswürdigen Ponys, des „Zigeunermädchens".
„Mein Puls schlug laut vor Stolz und Erwartung, als ich an jenem Mitt¬
wochsmorgen meinen Aufsatz sauber zusammengefaltet auf des Meisters Tisch
legte. Mit Entschiedenheit lehne ich's ab, zu sagen, welchen Preis ich gewann,
aber hier ist der Aufsatz, er mag für sich selbst sprechen. — „Das Pferd.
Das Pferd ißt ein nüzliges (ein Klex) Thir. Es ißt schön, wenn man.eins
had. Jg habe eins. Es heist das Zigeunermätgeri. (Ein zweiter kleinerer
Klex.) Sie beißt, ihre Mare ißt sehr laut, Neulig wusch ig ir den einen
Forterfus, da bückte sie sig mit den Kopfe nider und hob mich mit die Hosen
hinden in die Höhe und lies nig in den Waffertrog fallen, der dabei stand.
Jg hiep sie sex Mahl mit einen Stück reifen über den rücken. Der Weg des
überdräters ist hart. (Klex) T. Bailey." Nicht unbedenklicher sind die ersten
mimischen Versündigungen des amerikanischen Buben, die bei Aldrich sehr be-
zeichnend, nicht etwa, wie bei Reichenau, zu Nutz und Frommen der Herren
Eltern im Schulexamen, sondern gegen ein Entree in Stecknadeln und Wäsch¬
klammern vor einem gewählten Kreis von Altersgenossen beiderlei Geschlechts
exercirt werden. Sie nehmen bei der zehnten Vorstellung, dem Wilhelm Teil,
ein unglückliches Ende. Bailey agirt den Helden des Schweizerlandes. „Der
gepfefferte (pockennarbige) Whitcomb, der alle Kinder- und Frauenrollen
spielte, war mein Sohn. Um Mißgeschick zu verhüten, war über die obere
Hälfte von Whitcombs Gesicht mit einem Taschentuche ein Stück Pappdeckel
gebunden, während die Spitze des Pfeils, der gebraucht werden sollte, in einen
Streifen Flanell eingenäht war. Ich war ein vortrefflicher Schütze, und der
große Apfel, nur drei Schritte von mir entfernt, kehrte mir ganz ehrlich seine
rothe Wange zu. Ich sehe den armen Gepfefferten noch heute, wie er ohne
Wanken und Weichen dastand und wartete, daß ich mein großes Kunststück
loslasse. Ich erhob die Armbrust unter athemlosem Schweigen der dichtge¬
drängten Zuschauermenge. Bass! schnellte die Sehne los, aber ach! statt den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/432>, abgerufen am 23.07.2024.