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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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war die Zerschlagung der Pachthöfe und die Vertheilung der Parcellen an
die Arbeiter.

Obgleich dieses Begehren nicht gegen die Grundeigenthümer gerichtet ist,
so würden sie doch indirect davon betroffen, wenn dasselbe überhaupt Aussicht
auf Verwirklichung hätte. Denn, seitdem die englischen Landwirthe die Con-
currenz der ausländischen Getreideproducenten, welche mit billigeren Bodenca¬
pital und Lohn arbeiten, zu bestehen haben, sind kleine, ohne Maschinen bear¬
beitete Grundstücke nicht mehr rentabel. Wie wir früher bereits aus der Be¬
völkerungsstatistik ersehen haben, nehmen die kleinen Pächter auch fortwährend
ab. Jene Forderung hat daher nur eine agitatorische Wirkung, ohne zu einem
gesunden Ziele führen zu können. Wie sehr aber die Leute durch solche Lock¬
ungen bethört wurden, davon weiß ein an Ort und Stelle geschickter Speeial-
Correspondent der "Times" manches merkwürdige Stück zu erzählen. In
einem Falle erhielt ein Pächter, der sich erboten hatte, einige Leute auf das
ganze oder halbe Jahr fest in Arbeit zu nehmen, die Antwort: "Wir können
uns nicht auf diese Weise binden, weil wir nicht wissen, was die Union noch
für uns thut." Der Pächter erwiederte: "Was hat die Union damit zu thun?
Ihr müßt unter allen Umständen arbeiten?" -- "Doch, war die Antwort,
denn es heißt, die meisten Pächter sollen weggejagt und das Land uns gege¬
ben werden." Trotz dieser Leichtgläubigkeit, welche mit dem gänzlichen Man¬
gel der Schulbildung zusammenhängt, scheint den Leuten doch ein gewisser
Mutterwitz nicht abzugehen, denn die Genannten fuhren fort, den Gegenstand
mit dem Landwirth in ihrer Weise zu untersuchen: "Sie wissen, die Pächter
und die Pfarrer verschlingen alles Geld in der Gemeinde. Thun Sie's nicht?
Was sagt die Bibel? ""Du sollst Dein Brot im Schweiße deines Angesichtes
essen."" Ganz wohl, nun essen Sie ihr Brot im Schweiße Ihres Angesichtes?
Thut es der Pfarrer?" Ein Mann sagte zu seinem Arbeitgeber im Tone
aufrichtigen Mitleids: "Ich fühle Mich aufrichtig besorgt um Euch Meister,
weil Ihr, wie Ihr wißt. Euern Hof bald verlassen müßt, denn wie ich sicher
höre, sollen ihn die Taglöhner erhalten." Neben solchen harmloseren Bor¬
spiegelungen kamen aber auch Drohbriefe und gefährlichere Ausschreitun¬
gen vor.

Es ist wohl richtig, daß solchen Meinungsäußerungen kein zu großes
Gewicht beigelegt werden darf, denn sie kommen zu außerordentlichen Zeiten
in allen Ländern vor. Wo indessen der Gesetzgebung und Sitte ein Gebrechen
von so großer Tragweite anhaftet, wie den Eigenthumsverhältnissen in Eng¬
land, da dürfen sie doch nicht unbeachtet gelassen werden. Trotz der klugen
Zurückhaltung der Grundeigenthümer und trotz des gänzlichen Scheiterns
dieser ersten Bewegung der Landarbeiter, ist doch eine Wirkung schon sicher,
die nämlich, daß die ohnedies in der Regel starke Auswanderung noch wehend-


war die Zerschlagung der Pachthöfe und die Vertheilung der Parcellen an
die Arbeiter.

Obgleich dieses Begehren nicht gegen die Grundeigenthümer gerichtet ist,
so würden sie doch indirect davon betroffen, wenn dasselbe überhaupt Aussicht
auf Verwirklichung hätte. Denn, seitdem die englischen Landwirthe die Con-
currenz der ausländischen Getreideproducenten, welche mit billigeren Bodenca¬
pital und Lohn arbeiten, zu bestehen haben, sind kleine, ohne Maschinen bear¬
beitete Grundstücke nicht mehr rentabel. Wie wir früher bereits aus der Be¬
völkerungsstatistik ersehen haben, nehmen die kleinen Pächter auch fortwährend
ab. Jene Forderung hat daher nur eine agitatorische Wirkung, ohne zu einem
gesunden Ziele führen zu können. Wie sehr aber die Leute durch solche Lock¬
ungen bethört wurden, davon weiß ein an Ort und Stelle geschickter Speeial-
Correspondent der „Times" manches merkwürdige Stück zu erzählen. In
einem Falle erhielt ein Pächter, der sich erboten hatte, einige Leute auf das
ganze oder halbe Jahr fest in Arbeit zu nehmen, die Antwort: „Wir können
uns nicht auf diese Weise binden, weil wir nicht wissen, was die Union noch
für uns thut." Der Pächter erwiederte: „Was hat die Union damit zu thun?
Ihr müßt unter allen Umständen arbeiten?" — „Doch, war die Antwort,
denn es heißt, die meisten Pächter sollen weggejagt und das Land uns gege¬
ben werden." Trotz dieser Leichtgläubigkeit, welche mit dem gänzlichen Man¬
gel der Schulbildung zusammenhängt, scheint den Leuten doch ein gewisser
Mutterwitz nicht abzugehen, denn die Genannten fuhren fort, den Gegenstand
mit dem Landwirth in ihrer Weise zu untersuchen: „Sie wissen, die Pächter
und die Pfarrer verschlingen alles Geld in der Gemeinde. Thun Sie's nicht?
Was sagt die Bibel? „„Du sollst Dein Brot im Schweiße deines Angesichtes
essen."" Ganz wohl, nun essen Sie ihr Brot im Schweiße Ihres Angesichtes?
Thut es der Pfarrer?" Ein Mann sagte zu seinem Arbeitgeber im Tone
aufrichtigen Mitleids: „Ich fühle Mich aufrichtig besorgt um Euch Meister,
weil Ihr, wie Ihr wißt. Euern Hof bald verlassen müßt, denn wie ich sicher
höre, sollen ihn die Taglöhner erhalten." Neben solchen harmloseren Bor¬
spiegelungen kamen aber auch Drohbriefe und gefährlichere Ausschreitun¬
gen vor.

Es ist wohl richtig, daß solchen Meinungsäußerungen kein zu großes
Gewicht beigelegt werden darf, denn sie kommen zu außerordentlichen Zeiten
in allen Ländern vor. Wo indessen der Gesetzgebung und Sitte ein Gebrechen
von so großer Tragweite anhaftet, wie den Eigenthumsverhältnissen in Eng¬
land, da dürfen sie doch nicht unbeachtet gelassen werden. Trotz der klugen
Zurückhaltung der Grundeigenthümer und trotz des gänzlichen Scheiterns
dieser ersten Bewegung der Landarbeiter, ist doch eine Wirkung schon sicher,
die nämlich, daß die ohnedies in der Regel starke Auswanderung noch wehend-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/426>, abgerufen am 23.07.2024.