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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Anerbietungen als die einzelner der Vereinigten Staaten an sich zu locken.
Vom Jahr 1874 an bot sie jedem selbständigen, unverheirateten Einwanderer
100 englische Morgen und jedem Verheirateten 200 Morgen fruchtbaren
Landes unentgeltlich. Die canadische Regierung bot aber auch noch ihre
Hand zur Erleichterung der Ueberfahrt. Dieselbe kostet für die Person As
Mark, davon brauchen aber nur 35 Mark bei der Einschiffung gezahlt zu
werden. Die anderen 60 Mark können nach Ankunft im Lande in Raten
zurückgezahlt werden, deren Termine so billig angesetzt werden, daß der Ein¬
wanderer sie leicht nach und nach aus dem Ueberschuß seines Taglohns zurück¬
zahlen kann. Der Arbeitslohn beträgt nämlich per Tag wenigstens 4 Mark,
während die Lebensmittel in Canada billiger als in England sind. Durch
diese Bedingung wird die Auswanderung auch dem Aermsten möglich gemacht,
weil er ja nur 35 Mark zu sparen braucht, wozu selbst das geringste Dienst¬
verhältniß die Möglichkeit bietet. Da in England und Irland auch die
Wehrpflicht der Auswanderung keine Schranken setzt, so ist die Auswanderung
außerordentlich erleichtert und fast nur noch durch die natürliche Anhänglich¬
keit an die Heimath gehemmt, welche bei der ländlichen Bevölkerung am
stärksten zu sein pflegt. Wird diese Anhänglichkeit aber durch ungerechte
Zustände im Inlande untergraben, so läßt sich gar nicht absehen, welche
Dimensionen die Auswanderung noch annehmen kann und welche unvorher¬
gesehene Gestaltung die Agrarverhältnisse Großbritanniens und Irlands in
der Zukunft noch annehmen werden.

Gleich nachdem Josef Ares aus Amerika zurückgekehrt war, fand die große
Jahresversammlung der englischen Trabes" Union statt, bet welcher er zum
ersten Mal als Vertreter der National-Union der Landarbeiter auftrat. Bei
diesem Kongreß von Delegirten der großen Mehrzahl der englischen Arbeiter
aus der kleinen und großen Industrie, aus den Bergwerken, dem Transport¬
wesen und der Landwirtschaft, der bereits zu einem so wichtigem Factor des
öffentlichen Lebens Großbritanniens geworden ist. daß die englischen Staats¬
männer damit zu rechnen beginnen, scheint der Anstoß zu einem zweiten An¬
lauf für die Verbesserung der Lage der ländlichen Arbeiter gegeben worden
zu sein. Bald darauf nämlich und zwar gegen Ende März 1874 begannen
die ansässigen Landarbeiter der östlichen Grafschaften Englands massenweise
eine Erhöhung ihres Wochenlohnes auf 18 Shilling (Mary zu verlangen
Derselbe hatte nämlich je nach den Gegenden 14--17 Mark betragen. Zu
diesem Lohn ist noch freie Wohnung und ein kleines Stück Land zu rechnen,
auf welchem die Leute ihre Kartoffeln bauen und etwa eine Ziege halten
können. Gleichwohl war dieser Lohn außerordentlich gering im Vergleich zu
dem der Arbeiter in den Fabriken, namentlich in den Eisenhütten und Kohlen¬
bergwerken, welche in den letzten drei Jahren durch massenhafte, wiederholte


Anerbietungen als die einzelner der Vereinigten Staaten an sich zu locken.
Vom Jahr 1874 an bot sie jedem selbständigen, unverheirateten Einwanderer
100 englische Morgen und jedem Verheirateten 200 Morgen fruchtbaren
Landes unentgeltlich. Die canadische Regierung bot aber auch noch ihre
Hand zur Erleichterung der Ueberfahrt. Dieselbe kostet für die Person As
Mark, davon brauchen aber nur 35 Mark bei der Einschiffung gezahlt zu
werden. Die anderen 60 Mark können nach Ankunft im Lande in Raten
zurückgezahlt werden, deren Termine so billig angesetzt werden, daß der Ein¬
wanderer sie leicht nach und nach aus dem Ueberschuß seines Taglohns zurück¬
zahlen kann. Der Arbeitslohn beträgt nämlich per Tag wenigstens 4 Mark,
während die Lebensmittel in Canada billiger als in England sind. Durch
diese Bedingung wird die Auswanderung auch dem Aermsten möglich gemacht,
weil er ja nur 35 Mark zu sparen braucht, wozu selbst das geringste Dienst¬
verhältniß die Möglichkeit bietet. Da in England und Irland auch die
Wehrpflicht der Auswanderung keine Schranken setzt, so ist die Auswanderung
außerordentlich erleichtert und fast nur noch durch die natürliche Anhänglich¬
keit an die Heimath gehemmt, welche bei der ländlichen Bevölkerung am
stärksten zu sein pflegt. Wird diese Anhänglichkeit aber durch ungerechte
Zustände im Inlande untergraben, so läßt sich gar nicht absehen, welche
Dimensionen die Auswanderung noch annehmen kann und welche unvorher¬
gesehene Gestaltung die Agrarverhältnisse Großbritanniens und Irlands in
der Zukunft noch annehmen werden.

Gleich nachdem Josef Ares aus Amerika zurückgekehrt war, fand die große
Jahresversammlung der englischen Trabes» Union statt, bet welcher er zum
ersten Mal als Vertreter der National-Union der Landarbeiter auftrat. Bei
diesem Kongreß von Delegirten der großen Mehrzahl der englischen Arbeiter
aus der kleinen und großen Industrie, aus den Bergwerken, dem Transport¬
wesen und der Landwirtschaft, der bereits zu einem so wichtigem Factor des
öffentlichen Lebens Großbritanniens geworden ist. daß die englischen Staats¬
männer damit zu rechnen beginnen, scheint der Anstoß zu einem zweiten An¬
lauf für die Verbesserung der Lage der ländlichen Arbeiter gegeben worden
zu sein. Bald darauf nämlich und zwar gegen Ende März 1874 begannen
die ansässigen Landarbeiter der östlichen Grafschaften Englands massenweise
eine Erhöhung ihres Wochenlohnes auf 18 Shilling (Mary zu verlangen
Derselbe hatte nämlich je nach den Gegenden 14—17 Mark betragen. Zu
diesem Lohn ist noch freie Wohnung und ein kleines Stück Land zu rechnen,
auf welchem die Leute ihre Kartoffeln bauen und etwa eine Ziege halten
können. Gleichwohl war dieser Lohn außerordentlich gering im Vergleich zu
dem der Arbeiter in den Fabriken, namentlich in den Eisenhütten und Kohlen¬
bergwerken, welche in den letzten drei Jahren durch massenhafte, wiederholte


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[0422] Anerbietungen als die einzelner der Vereinigten Staaten an sich zu locken. Vom Jahr 1874 an bot sie jedem selbständigen, unverheirateten Einwanderer 100 englische Morgen und jedem Verheirateten 200 Morgen fruchtbaren Landes unentgeltlich. Die canadische Regierung bot aber auch noch ihre Hand zur Erleichterung der Ueberfahrt. Dieselbe kostet für die Person As Mark, davon brauchen aber nur 35 Mark bei der Einschiffung gezahlt zu werden. Die anderen 60 Mark können nach Ankunft im Lande in Raten zurückgezahlt werden, deren Termine so billig angesetzt werden, daß der Ein¬ wanderer sie leicht nach und nach aus dem Ueberschuß seines Taglohns zurück¬ zahlen kann. Der Arbeitslohn beträgt nämlich per Tag wenigstens 4 Mark, während die Lebensmittel in Canada billiger als in England sind. Durch diese Bedingung wird die Auswanderung auch dem Aermsten möglich gemacht, weil er ja nur 35 Mark zu sparen braucht, wozu selbst das geringste Dienst¬ verhältniß die Möglichkeit bietet. Da in England und Irland auch die Wehrpflicht der Auswanderung keine Schranken setzt, so ist die Auswanderung außerordentlich erleichtert und fast nur noch durch die natürliche Anhänglich¬ keit an die Heimath gehemmt, welche bei der ländlichen Bevölkerung am stärksten zu sein pflegt. Wird diese Anhänglichkeit aber durch ungerechte Zustände im Inlande untergraben, so läßt sich gar nicht absehen, welche Dimensionen die Auswanderung noch annehmen kann und welche unvorher¬ gesehene Gestaltung die Agrarverhältnisse Großbritanniens und Irlands in der Zukunft noch annehmen werden. Gleich nachdem Josef Ares aus Amerika zurückgekehrt war, fand die große Jahresversammlung der englischen Trabes» Union statt, bet welcher er zum ersten Mal als Vertreter der National-Union der Landarbeiter auftrat. Bei diesem Kongreß von Delegirten der großen Mehrzahl der englischen Arbeiter aus der kleinen und großen Industrie, aus den Bergwerken, dem Transport¬ wesen und der Landwirtschaft, der bereits zu einem so wichtigem Factor des öffentlichen Lebens Großbritanniens geworden ist. daß die englischen Staats¬ männer damit zu rechnen beginnen, scheint der Anstoß zu einem zweiten An¬ lauf für die Verbesserung der Lage der ländlichen Arbeiter gegeben worden zu sein. Bald darauf nämlich und zwar gegen Ende März 1874 begannen die ansässigen Landarbeiter der östlichen Grafschaften Englands massenweise eine Erhöhung ihres Wochenlohnes auf 18 Shilling (Mary zu verlangen Derselbe hatte nämlich je nach den Gegenden 14—17 Mark betragen. Zu diesem Lohn ist noch freie Wohnung und ein kleines Stück Land zu rechnen, auf welchem die Leute ihre Kartoffeln bauen und etwa eine Ziege halten können. Gleichwohl war dieser Lohn außerordentlich gering im Vergleich zu dem der Arbeiter in den Fabriken, namentlich in den Eisenhütten und Kohlen¬ bergwerken, welche in den letzten drei Jahren durch massenhafte, wiederholte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/422>, abgerufen am 23.07.2024.