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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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lungen gestattet sein. Herr Rubinstein begann seinen diesjährigen Berliner
Concertcyklus mit einem Abend, der ausschließlich seinen eigenen Compositionen
gewidmet war. Um dergleichen überhaupt wagen zu können, muß man sich in
der Gunst des Publikums bereits unerschütterlich wissen; und man hat das dop¬
pelt nöthig, wenn man solche Musik zum Besten giebt. Die graziösen, bald
melancholisch-düsteren, bald neckisch-ausgelassenen Kleinigkeiten für das Klavier
läßt man sich gern gefallen; prägt sich doch in ihnen des Künstlers ganze
Eigenart aus! Wenn sie auch keinen bleibenden Werth haben, was liegt
daran? Er hat uns mit ihnen entzückt und so wie er spielt sie uns doch
kein Anderer. Ganz anders aber stehen wir einem großen Orchesterwerke
gegenüber. Hier muß sich der Componist die Beurtheilung unter dem Ge¬
sichtspunkte des "xrM" e"s are5" gefallen lassen und diese Prüfung vermag die
"L^mxlwliio äiÄllmti<in<z", welche Rubinstein an jenem Abend zu Gehör
brachte, nicht zu bestehen. Ob altklassische oder Zukunftsmusik, darüber
lassen sich keine Vorschriften machen; auf alle Fälle aber wird man Einheit¬
lichkeit des Charakters, geschlossene Consequenz des Stils verlangen dürfen.
In jener Symphonie wogt es bunt und in ewigem Wechsel durcheinander:
bald Wagner bald Mozart, bald Beethoven bald Gounot, die Neueren jedoch,
besonders Wagner, immer mit dem Löwenantheil; von Originalität ist wenig
oder nichts zu entdecken. Dabei soll die ergreifende Schönheit einzelner Stellen
nicht geleugnet werden; aber diese erfrischenden Oasen vergessen sich in dem
endlosen Gewirr und der Schlußeindruck bleibt der des Befremdenden und
Unbefriedigenden.

Als neuesten Stern am musikalischen Himmel hatten wir am Sonnabend
die "italienische Operngesellschaft" im königlichen Schauspielhause zu begrüßen.
Die Gesellschaft ist dirigirt vom Maöstro Arditi und besteht aus Frau Artvt
nebst deren Gemahl Herrn de Padilla und im Uebrigen, soviel wir bis jetzt
zu sehen bekommen haben, aus einer einzigen Dame und einem einzigen Herrn.
Als Eröffnungsvorstellung gab man L'Ombra von Flotow. die langweiligste
und unbedeutendste Oper, welche ich mich je gehört zu haben erinnere. Wie
der Componist von "Martha" und "Stradella" sich selbst in solchem Grade
hat untreu werden können, ist schier unbegreiflich. Es war kein glücklicher Griff,
den die Gesellschaft mit diesem Werke gethan. Dasselbe war hier vollständig
unbekannt; naturgemäß richtete sich also die Aufmerksamkeit weit mehr aus
das Aeußere als sonst bei bekannten Opern, wo der Hauptaccent auf den rein
musikalischen Genuß fällt. Grade aber in der äußeren Erscheinung hat die
Gesellschaft mit unüberwindlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Frau Artüt
hat niemals für eine Schönheit gegolten; lediglich ihr künstlerischer Werth,
nicht bestrickende Aeußerlichkeit hat ihr die dauernde Zuneigung und rückhalts-


lungen gestattet sein. Herr Rubinstein begann seinen diesjährigen Berliner
Concertcyklus mit einem Abend, der ausschließlich seinen eigenen Compositionen
gewidmet war. Um dergleichen überhaupt wagen zu können, muß man sich in
der Gunst des Publikums bereits unerschütterlich wissen; und man hat das dop¬
pelt nöthig, wenn man solche Musik zum Besten giebt. Die graziösen, bald
melancholisch-düsteren, bald neckisch-ausgelassenen Kleinigkeiten für das Klavier
läßt man sich gern gefallen; prägt sich doch in ihnen des Künstlers ganze
Eigenart aus! Wenn sie auch keinen bleibenden Werth haben, was liegt
daran? Er hat uns mit ihnen entzückt und so wie er spielt sie uns doch
kein Anderer. Ganz anders aber stehen wir einem großen Orchesterwerke
gegenüber. Hier muß sich der Componist die Beurtheilung unter dem Ge¬
sichtspunkte des „xrM« e»s are5" gefallen lassen und diese Prüfung vermag die
„L^mxlwliio äiÄllmti<in<z", welche Rubinstein an jenem Abend zu Gehör
brachte, nicht zu bestehen. Ob altklassische oder Zukunftsmusik, darüber
lassen sich keine Vorschriften machen; auf alle Fälle aber wird man Einheit¬
lichkeit des Charakters, geschlossene Consequenz des Stils verlangen dürfen.
In jener Symphonie wogt es bunt und in ewigem Wechsel durcheinander:
bald Wagner bald Mozart, bald Beethoven bald Gounot, die Neueren jedoch,
besonders Wagner, immer mit dem Löwenantheil; von Originalität ist wenig
oder nichts zu entdecken. Dabei soll die ergreifende Schönheit einzelner Stellen
nicht geleugnet werden; aber diese erfrischenden Oasen vergessen sich in dem
endlosen Gewirr und der Schlußeindruck bleibt der des Befremdenden und
Unbefriedigenden.

Als neuesten Stern am musikalischen Himmel hatten wir am Sonnabend
die „italienische Operngesellschaft" im königlichen Schauspielhause zu begrüßen.
Die Gesellschaft ist dirigirt vom Maöstro Arditi und besteht aus Frau Artvt
nebst deren Gemahl Herrn de Padilla und im Uebrigen, soviel wir bis jetzt
zu sehen bekommen haben, aus einer einzigen Dame und einem einzigen Herrn.
Als Eröffnungsvorstellung gab man L'Ombra von Flotow. die langweiligste
und unbedeutendste Oper, welche ich mich je gehört zu haben erinnere. Wie
der Componist von „Martha" und „Stradella" sich selbst in solchem Grade
hat untreu werden können, ist schier unbegreiflich. Es war kein glücklicher Griff,
den die Gesellschaft mit diesem Werke gethan. Dasselbe war hier vollständig
unbekannt; naturgemäß richtete sich also die Aufmerksamkeit weit mehr aus
das Aeußere als sonst bei bekannten Opern, wo der Hauptaccent auf den rein
musikalischen Genuß fällt. Grade aber in der äußeren Erscheinung hat die
Gesellschaft mit unüberwindlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Frau Artüt
hat niemals für eine Schönheit gegolten; lediglich ihr künstlerischer Werth,
nicht bestrickende Aeußerlichkeit hat ihr die dauernde Zuneigung und rückhalts-


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[0404] lungen gestattet sein. Herr Rubinstein begann seinen diesjährigen Berliner Concertcyklus mit einem Abend, der ausschließlich seinen eigenen Compositionen gewidmet war. Um dergleichen überhaupt wagen zu können, muß man sich in der Gunst des Publikums bereits unerschütterlich wissen; und man hat das dop¬ pelt nöthig, wenn man solche Musik zum Besten giebt. Die graziösen, bald melancholisch-düsteren, bald neckisch-ausgelassenen Kleinigkeiten für das Klavier läßt man sich gern gefallen; prägt sich doch in ihnen des Künstlers ganze Eigenart aus! Wenn sie auch keinen bleibenden Werth haben, was liegt daran? Er hat uns mit ihnen entzückt und so wie er spielt sie uns doch kein Anderer. Ganz anders aber stehen wir einem großen Orchesterwerke gegenüber. Hier muß sich der Componist die Beurtheilung unter dem Ge¬ sichtspunkte des „xrM« e»s are5" gefallen lassen und diese Prüfung vermag die „L^mxlwliio äiÄllmti<in<z", welche Rubinstein an jenem Abend zu Gehör brachte, nicht zu bestehen. Ob altklassische oder Zukunftsmusik, darüber lassen sich keine Vorschriften machen; auf alle Fälle aber wird man Einheit¬ lichkeit des Charakters, geschlossene Consequenz des Stils verlangen dürfen. In jener Symphonie wogt es bunt und in ewigem Wechsel durcheinander: bald Wagner bald Mozart, bald Beethoven bald Gounot, die Neueren jedoch, besonders Wagner, immer mit dem Löwenantheil; von Originalität ist wenig oder nichts zu entdecken. Dabei soll die ergreifende Schönheit einzelner Stellen nicht geleugnet werden; aber diese erfrischenden Oasen vergessen sich in dem endlosen Gewirr und der Schlußeindruck bleibt der des Befremdenden und Unbefriedigenden. Als neuesten Stern am musikalischen Himmel hatten wir am Sonnabend die „italienische Operngesellschaft" im königlichen Schauspielhause zu begrüßen. Die Gesellschaft ist dirigirt vom Maöstro Arditi und besteht aus Frau Artvt nebst deren Gemahl Herrn de Padilla und im Uebrigen, soviel wir bis jetzt zu sehen bekommen haben, aus einer einzigen Dame und einem einzigen Herrn. Als Eröffnungsvorstellung gab man L'Ombra von Flotow. die langweiligste und unbedeutendste Oper, welche ich mich je gehört zu haben erinnere. Wie der Componist von „Martha" und „Stradella" sich selbst in solchem Grade hat untreu werden können, ist schier unbegreiflich. Es war kein glücklicher Griff, den die Gesellschaft mit diesem Werke gethan. Dasselbe war hier vollständig unbekannt; naturgemäß richtete sich also die Aufmerksamkeit weit mehr aus das Aeußere als sonst bei bekannten Opern, wo der Hauptaccent auf den rein musikalischen Genuß fällt. Grade aber in der äußeren Erscheinung hat die Gesellschaft mit unüberwindlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Frau Artüt hat niemals für eine Schönheit gegolten; lediglich ihr künstlerischer Werth, nicht bestrickende Aeußerlichkeit hat ihr die dauernde Zuneigung und rückhalts-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/404>, abgerufen am 23.07.2024.