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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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bei der Größe der jetzigen Provinzen durchaus zu verwerfen, und der so ge¬
stellten Forderung gegenüber hat der Minister des Innern mit seiner Ant¬
wort recht. Er sagte nämlich: durch die neuen Organe der Selbstverwaltung
würde bereits die ganze innere Staatsverwaltung in Bewegung gesetzt. Man
dürfe nicht gleichzeitig auch mit der Structur dieser Verwaltung erperimen-
tiren, das sei eine Sache der späteren Zeit.

Bei dieser Ansicht scheint der Minister jedoch zu ignoriren, daß centrale
Organe und Selbstverwaltungsorgane nicht bloß einander übergeordnet, son¬
dern daß, sie auch überall verbunden werden sollen. Man kann daher die
Competenzen der Selbstverwaltung nicht richtig eintheilen, wenn die Central-
verwaltung nicht richtig eingetheilt ist. Sicherlich hat der Minister recht,
wenn er eine zu große Schwächung der Centralverwaltung in der Beschränkung
ihrer Organe auf die Spitzen der großen Provinzen sieht. Darum muß man
eben die Provinzen verkleinern und vermehren. Der Weg aber, die Selbst¬
verwaltung apart zu construiren, deren Construction mit der Construction
der Centralverwaltung parallel gehen muß, kann doch nur dazu führen, daß
man aus dem Pfuscher und Flicken nicht herauskommt.

Hier böte sich ein Anlaß, auf die Frage einzugehen, welche mehr als alle
zu schaffenden Formen das Ausland und das Inland augenblicklich in Be¬
wegung setzt: auf die Frage nach dem Verbleiben des Reichskanzlers in den
Geschäften des Reichs und des preußischen Staates. Der wahre Grund,
warum die Kräfte des Reichskanzlers der periodisch wiederkehrenden Erschö¬
pfung unterliegen, ist doch kein anderer, als daß er in dem Riesenumfang seiner
Aufgabe nicht als unbeschränkter Meister waltet. Wenn diese Aufgabe über¬
haupt durch eines einzigen Menschen Kraft zu bewältigen ist. so muß ihm
die Leitung aller Theile des Werkes ohne beschränkende Instanzen zustehen.
Dem stehen leichtbegreifliche Hindernisse mannigfacher Art entgegen. Da scheint
sich wohl der Ausweg darzubieten, dem Kanzler einen Theil der Aufgabe über¬
haupt abzunehmen, wie neulich die Nationalzeitung sagte: "für den Cultur¬
kampf, für die Verwaltungsreform findet sich schon ein anderer Minister, die
europäische Stellung des Fürsten Bismarck dagegen erwirbt man nicht durch
Nachfolger." Der erste Satz scheint uns doch sehr disputabel. Als ob die
"europäische Stellung" nicht bedingt wäre durch den Gang der inneren Auf¬
richtung des deutschen Staates. Daß aber der Gang dieser inneren Aus¬
bildung Mißgriffen und Irrungen überall ausgesetzt ist, wo der Fürst die
Hand nicht unmittelbar im Spiel hat, das sehen wir ja tagtäglich. Es ist
daher auch nicht zu bezweifeln, daß es dem Fürsten voller Ernst ist mit der
Erwägung, ob er nicht besser thue, die Dinge eine Zeitlang ganz und gar
andern Händen, d. h. sich selbst zu überlassen, als bei einem seinerseits nur


Gmijbotm l. 1S7S, 30

bei der Größe der jetzigen Provinzen durchaus zu verwerfen, und der so ge¬
stellten Forderung gegenüber hat der Minister des Innern mit seiner Ant¬
wort recht. Er sagte nämlich: durch die neuen Organe der Selbstverwaltung
würde bereits die ganze innere Staatsverwaltung in Bewegung gesetzt. Man
dürfe nicht gleichzeitig auch mit der Structur dieser Verwaltung erperimen-
tiren, das sei eine Sache der späteren Zeit.

Bei dieser Ansicht scheint der Minister jedoch zu ignoriren, daß centrale
Organe und Selbstverwaltungsorgane nicht bloß einander übergeordnet, son¬
dern daß, sie auch überall verbunden werden sollen. Man kann daher die
Competenzen der Selbstverwaltung nicht richtig eintheilen, wenn die Central-
verwaltung nicht richtig eingetheilt ist. Sicherlich hat der Minister recht,
wenn er eine zu große Schwächung der Centralverwaltung in der Beschränkung
ihrer Organe auf die Spitzen der großen Provinzen sieht. Darum muß man
eben die Provinzen verkleinern und vermehren. Der Weg aber, die Selbst¬
verwaltung apart zu construiren, deren Construction mit der Construction
der Centralverwaltung parallel gehen muß, kann doch nur dazu führen, daß
man aus dem Pfuscher und Flicken nicht herauskommt.

Hier böte sich ein Anlaß, auf die Frage einzugehen, welche mehr als alle
zu schaffenden Formen das Ausland und das Inland augenblicklich in Be¬
wegung setzt: auf die Frage nach dem Verbleiben des Reichskanzlers in den
Geschäften des Reichs und des preußischen Staates. Der wahre Grund,
warum die Kräfte des Reichskanzlers der periodisch wiederkehrenden Erschö¬
pfung unterliegen, ist doch kein anderer, als daß er in dem Riesenumfang seiner
Aufgabe nicht als unbeschränkter Meister waltet. Wenn diese Aufgabe über¬
haupt durch eines einzigen Menschen Kraft zu bewältigen ist. so muß ihm
die Leitung aller Theile des Werkes ohne beschränkende Instanzen zustehen.
Dem stehen leichtbegreifliche Hindernisse mannigfacher Art entgegen. Da scheint
sich wohl der Ausweg darzubieten, dem Kanzler einen Theil der Aufgabe über¬
haupt abzunehmen, wie neulich die Nationalzeitung sagte: „für den Cultur¬
kampf, für die Verwaltungsreform findet sich schon ein anderer Minister, die
europäische Stellung des Fürsten Bismarck dagegen erwirbt man nicht durch
Nachfolger." Der erste Satz scheint uns doch sehr disputabel. Als ob die
„europäische Stellung" nicht bedingt wäre durch den Gang der inneren Auf¬
richtung des deutschen Staates. Daß aber der Gang dieser inneren Aus¬
bildung Mißgriffen und Irrungen überall ausgesetzt ist, wo der Fürst die
Hand nicht unmittelbar im Spiel hat, das sehen wir ja tagtäglich. Es ist
daher auch nicht zu bezweifeln, daß es dem Fürsten voller Ernst ist mit der
Erwägung, ob er nicht besser thue, die Dinge eine Zeitlang ganz und gar
andern Händen, d. h. sich selbst zu überlassen, als bei einem seinerseits nur


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[0401] bei der Größe der jetzigen Provinzen durchaus zu verwerfen, und der so ge¬ stellten Forderung gegenüber hat der Minister des Innern mit seiner Ant¬ wort recht. Er sagte nämlich: durch die neuen Organe der Selbstverwaltung würde bereits die ganze innere Staatsverwaltung in Bewegung gesetzt. Man dürfe nicht gleichzeitig auch mit der Structur dieser Verwaltung erperimen- tiren, das sei eine Sache der späteren Zeit. Bei dieser Ansicht scheint der Minister jedoch zu ignoriren, daß centrale Organe und Selbstverwaltungsorgane nicht bloß einander übergeordnet, son¬ dern daß, sie auch überall verbunden werden sollen. Man kann daher die Competenzen der Selbstverwaltung nicht richtig eintheilen, wenn die Central- verwaltung nicht richtig eingetheilt ist. Sicherlich hat der Minister recht, wenn er eine zu große Schwächung der Centralverwaltung in der Beschränkung ihrer Organe auf die Spitzen der großen Provinzen sieht. Darum muß man eben die Provinzen verkleinern und vermehren. Der Weg aber, die Selbst¬ verwaltung apart zu construiren, deren Construction mit der Construction der Centralverwaltung parallel gehen muß, kann doch nur dazu führen, daß man aus dem Pfuscher und Flicken nicht herauskommt. Hier böte sich ein Anlaß, auf die Frage einzugehen, welche mehr als alle zu schaffenden Formen das Ausland und das Inland augenblicklich in Be¬ wegung setzt: auf die Frage nach dem Verbleiben des Reichskanzlers in den Geschäften des Reichs und des preußischen Staates. Der wahre Grund, warum die Kräfte des Reichskanzlers der periodisch wiederkehrenden Erschö¬ pfung unterliegen, ist doch kein anderer, als daß er in dem Riesenumfang seiner Aufgabe nicht als unbeschränkter Meister waltet. Wenn diese Aufgabe über¬ haupt durch eines einzigen Menschen Kraft zu bewältigen ist. so muß ihm die Leitung aller Theile des Werkes ohne beschränkende Instanzen zustehen. Dem stehen leichtbegreifliche Hindernisse mannigfacher Art entgegen. Da scheint sich wohl der Ausweg darzubieten, dem Kanzler einen Theil der Aufgabe über¬ haupt abzunehmen, wie neulich die Nationalzeitung sagte: „für den Cultur¬ kampf, für die Verwaltungsreform findet sich schon ein anderer Minister, die europäische Stellung des Fürsten Bismarck dagegen erwirbt man nicht durch Nachfolger." Der erste Satz scheint uns doch sehr disputabel. Als ob die „europäische Stellung" nicht bedingt wäre durch den Gang der inneren Auf¬ richtung des deutschen Staates. Daß aber der Gang dieser inneren Aus¬ bildung Mißgriffen und Irrungen überall ausgesetzt ist, wo der Fürst die Hand nicht unmittelbar im Spiel hat, das sehen wir ja tagtäglich. Es ist daher auch nicht zu bezweifeln, daß es dem Fürsten voller Ernst ist mit der Erwägung, ob er nicht besser thue, die Dinge eine Zeitlang ganz und gar andern Händen, d. h. sich selbst zu überlassen, als bei einem seinerseits nur Gmijbotm l. 1S7S, 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/401>, abgerufen am 23.07.2024.