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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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welche auf die ganze Gestaltung der englischen Lebensverhältnisse von außer¬
ordentlichem Einflüsse gewesen sind und ohne welche das London von heute
ganz undenkbar wäre.

Wenn ich zunächst mit den Pferdeeisenbahnen beginne, so geschieht es
hauptsächlich deßwegen, weil dieselben für die größte Anzahl der Großstädte
viel wichtiger sind, als die Locomotiveisenbahnen. Wenn letztere als Staats¬
bahnen dem Localverkehr dienen sollen, so muß als erste Grundbedingung
eine schon sehr erhebliche Größe der Stadt vorausgesetzt werden, denn nur
ein sehr starker Verkehr rechtfertigt die theure Anlage von Locomotivstadt-
vahnen. Oder es muß eine Großstadt mittlerer Größe in Mitten eines sehr
stark bevölkerten Industrie- und Fabrikbezirks liegen, sodaß hier der ganze
Bezirk an Stelle der einen Stadt tritt. In den meisten Fällen aber werden
Pferdeeisenbahnen nicht allein genügen, wenn sie richtig angelegt sind, sondern
sie werden auch, der billigen Anlage wegen, bei Großstädten mittlern Ranges
die einzige verkehrserleichternde Anlage sein, die eine genügende Rentabilität
verspricht.

So sehen wir denn auch in allen englischen Großstädten ein sehr zweck¬
mäßig angelegtes Pferdeeisenbahnnetz, vermöge dessen die Bewohner der Vor¬
städte schnell und oft bis in das innerste Herz der Stadt gelangen können.
Selbst in engen Straßen finden sich die Pferdebahnen, denn unter allen Um¬
ständen werden dieselben in alle Haupt-Verkehrsstraßen so wett hinein und
durch dieselben durchgeführt, daß jeder Geschäftsmann nur ein Minimum von
Weg zwischen der Bahn und seinem Comptoir zurückzulegen hat. Reicht die
Breite der Straße zur doppelgleisigen Anlage wirklich nicht aus, so wird
unter Benutzung von Parallelstraßen die Bahn nach der einen Richtung durch
die eine und nach der andern durch die andere Straße gelegt, sodaß sich die
Wagen in jeder Straße nur nach ein und derselben Richtung bewegen.
Dieses System ist besonders in Liverpool sehr schön ausgebildet und für
deutsche Städte um so beachtenswerther, als der Verkehr in ihrem Innern
häufig mit engen Straßen zu kämpfen hat und es in Folge dessen viele
deutsche Großstädte gibt, in denen sich die Pferdebahnen mit möglichster Kon¬
sequenz vor dem Betreten der eigentlichen Verkehrsstadt zu scheuen scheinen;
ich meine hier z. B. Berlin und Leipzig.

Wenn ich nach dem Grund dieser für die deutschen Städte ungünstigen
Thatsache forsche, so scheint mir derselbe hauptsächlich in denjenigen städtischen
Behörden zu liegen, die aus engherzigen kleinstädtischen Rücksichten, oder aus
Mangel an Verständniß nicht allein versäumen, im Innern ihrer Städte für
die nöthige Straßenbreite bei Zeiten Sorge zu tragen, sondern die auch sehr
häufig geradezu die Zustimmung verweigern, wenn sich Pferdebahngesellschaf¬
ten bereit erklären, derartige Bahnen trotz aller engen Straßen bis ins innerste


welche auf die ganze Gestaltung der englischen Lebensverhältnisse von außer¬
ordentlichem Einflüsse gewesen sind und ohne welche das London von heute
ganz undenkbar wäre.

Wenn ich zunächst mit den Pferdeeisenbahnen beginne, so geschieht es
hauptsächlich deßwegen, weil dieselben für die größte Anzahl der Großstädte
viel wichtiger sind, als die Locomotiveisenbahnen. Wenn letztere als Staats¬
bahnen dem Localverkehr dienen sollen, so muß als erste Grundbedingung
eine schon sehr erhebliche Größe der Stadt vorausgesetzt werden, denn nur
ein sehr starker Verkehr rechtfertigt die theure Anlage von Locomotivstadt-
vahnen. Oder es muß eine Großstadt mittlerer Größe in Mitten eines sehr
stark bevölkerten Industrie- und Fabrikbezirks liegen, sodaß hier der ganze
Bezirk an Stelle der einen Stadt tritt. In den meisten Fällen aber werden
Pferdeeisenbahnen nicht allein genügen, wenn sie richtig angelegt sind, sondern
sie werden auch, der billigen Anlage wegen, bei Großstädten mittlern Ranges
die einzige verkehrserleichternde Anlage sein, die eine genügende Rentabilität
verspricht.

So sehen wir denn auch in allen englischen Großstädten ein sehr zweck¬
mäßig angelegtes Pferdeeisenbahnnetz, vermöge dessen die Bewohner der Vor¬
städte schnell und oft bis in das innerste Herz der Stadt gelangen können.
Selbst in engen Straßen finden sich die Pferdebahnen, denn unter allen Um¬
ständen werden dieselben in alle Haupt-Verkehrsstraßen so wett hinein und
durch dieselben durchgeführt, daß jeder Geschäftsmann nur ein Minimum von
Weg zwischen der Bahn und seinem Comptoir zurückzulegen hat. Reicht die
Breite der Straße zur doppelgleisigen Anlage wirklich nicht aus, so wird
unter Benutzung von Parallelstraßen die Bahn nach der einen Richtung durch
die eine und nach der andern durch die andere Straße gelegt, sodaß sich die
Wagen in jeder Straße nur nach ein und derselben Richtung bewegen.
Dieses System ist besonders in Liverpool sehr schön ausgebildet und für
deutsche Städte um so beachtenswerther, als der Verkehr in ihrem Innern
häufig mit engen Straßen zu kämpfen hat und es in Folge dessen viele
deutsche Großstädte gibt, in denen sich die Pferdebahnen mit möglichster Kon¬
sequenz vor dem Betreten der eigentlichen Verkehrsstadt zu scheuen scheinen;
ich meine hier z. B. Berlin und Leipzig.

Wenn ich nach dem Grund dieser für die deutschen Städte ungünstigen
Thatsache forsche, so scheint mir derselbe hauptsächlich in denjenigen städtischen
Behörden zu liegen, die aus engherzigen kleinstädtischen Rücksichten, oder aus
Mangel an Verständniß nicht allein versäumen, im Innern ihrer Städte für
die nöthige Straßenbreite bei Zeiten Sorge zu tragen, sondern die auch sehr
häufig geradezu die Zustimmung verweigern, wenn sich Pferdebahngesellschaf¬
ten bereit erklären, derartige Bahnen trotz aller engen Straßen bis ins innerste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/40>, abgerufen am 23.07.2024.