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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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gebot auch für die andere Hälfte. Als der Gutsherr sein Erstaunen darüber
ausdrückte, daß der Pächter schon nach 10 Jahren im Stande war, die andere
Hälfte des Hofes aus dem Ertrag zu bezahlen, während er mit dem Pacht¬
zins nicht gereicht habe, löste der Pächter das Räthsel durch die einfache
Parallele des beiderseitigen Lebenslaufes. den Unterschied zwischen dem die
Hände in den Schoß Legen des Grundherrn und zwischen der Genügsamkeit,
Sparsamkeit und Arbeitsamkeit des Unternehmers. Ein Umstand ist noch
dabei zu erwähnen, daß die englischen Pächter größere Erwerbsgelegenheit
dadurch haben, daß sie ihr ganzes Vermögen als Betriebscapital verwenden
und dieses zum Theil sogar mehrmals im Jahr umsetzen können.

Eine andere Eigenthümlichkeit, welche das große Grundeigenthum mit
sich führt, ist der Umstand, daß in England mit wenigen Ausnahmen die
Häuser und die Bauplätze, auf welchem sie stehen, verschiedene Eigenthümer
haben, d. h. der Boden, auf welchen die Mehrzahl der Häuser, namentlich
in den Städten steht, gehört dem Grundherrn. So ist z. B. der Boden,
auf welchem London mit seinen 4,000,000 Einwohnern sich befindet, zum
größten Theil Eigenthum des Marquis von Westminster und des Herzogs
von Buckleugh. In der Regel wird der Bauplatz dem Bauherrn auf 99 Jahre
gegen einen ziemlich mäßigen Zins vom Grundherrn verpachtet. Nach 99
Jahren gehört, wenn es dem Pächter nicht gelingt, die Erneuerung seines
Vertrags zu erlangen, oder wenn ihm die Bedingungen für die Erneuerung
nicht gefallen, das Haus dem Grundeigenthümer, wenn der Hauseigenthümer
es nicht vorzieht das Material zu verkaufen und auf seine Kosten entfernen
zu lassen. Die Folge dieser Einrichtung ist, daß die englischen Häuser in der
Regel, namentlich in den Städten sehr leicht gebaut sind und daß auch für
äußeren architektonischen Schmuck nichts aufgewendet wird. Die Hausbesitzer
rechnen darauf, daß ihr Haus in 99 Jahren amortisirt ist. Dazu kommt
noch die Sitte, welche auch im stammverwandten Belgien, Holland und einem
Theil Rieder-Sachsens herrscht, daß jede Familie in ihrem eigenen Hause
Wohnen will. Die Folge hiervon ist, daß die meisten englischen Häuser nur
zweistöckig und außerordentlich schmal sind. In den Vorstädten haben sie
nur zwei oder höchstens drei Fenster in der Front. In den Familien ist
man genöthigt, fortwährend zwei Treppen auf- und abzugehen. Unter solchen
Umständen kann das englische Sprüchwort: "Mein Haus ist meine Burg"
nicht buchstäblich genommen werden, denn es hat nur in Beziehung zur
dadeas corpus-Acte -- der Garantie der Unverletzlichkeit des Engländers in
seiner Wohnung -- wahre Bedeutung. Im Allgemeinen ist des Engländers
Haus nichts weniger als eine Burg. Es kann vielmehr nichts trostloseres
geben, als der größte Theil der Straßen namentlich der Vorstädte Londons
und der größeren Fabrikstädte mit ihren rauchgeschwärzten, unangestrichenen,


gebot auch für die andere Hälfte. Als der Gutsherr sein Erstaunen darüber
ausdrückte, daß der Pächter schon nach 10 Jahren im Stande war, die andere
Hälfte des Hofes aus dem Ertrag zu bezahlen, während er mit dem Pacht¬
zins nicht gereicht habe, löste der Pächter das Räthsel durch die einfache
Parallele des beiderseitigen Lebenslaufes. den Unterschied zwischen dem die
Hände in den Schoß Legen des Grundherrn und zwischen der Genügsamkeit,
Sparsamkeit und Arbeitsamkeit des Unternehmers. Ein Umstand ist noch
dabei zu erwähnen, daß die englischen Pächter größere Erwerbsgelegenheit
dadurch haben, daß sie ihr ganzes Vermögen als Betriebscapital verwenden
und dieses zum Theil sogar mehrmals im Jahr umsetzen können.

Eine andere Eigenthümlichkeit, welche das große Grundeigenthum mit
sich führt, ist der Umstand, daß in England mit wenigen Ausnahmen die
Häuser und die Bauplätze, auf welchem sie stehen, verschiedene Eigenthümer
haben, d. h. der Boden, auf welchen die Mehrzahl der Häuser, namentlich
in den Städten steht, gehört dem Grundherrn. So ist z. B. der Boden,
auf welchem London mit seinen 4,000,000 Einwohnern sich befindet, zum
größten Theil Eigenthum des Marquis von Westminster und des Herzogs
von Buckleugh. In der Regel wird der Bauplatz dem Bauherrn auf 99 Jahre
gegen einen ziemlich mäßigen Zins vom Grundherrn verpachtet. Nach 99
Jahren gehört, wenn es dem Pächter nicht gelingt, die Erneuerung seines
Vertrags zu erlangen, oder wenn ihm die Bedingungen für die Erneuerung
nicht gefallen, das Haus dem Grundeigenthümer, wenn der Hauseigenthümer
es nicht vorzieht das Material zu verkaufen und auf seine Kosten entfernen
zu lassen. Die Folge dieser Einrichtung ist, daß die englischen Häuser in der
Regel, namentlich in den Städten sehr leicht gebaut sind und daß auch für
äußeren architektonischen Schmuck nichts aufgewendet wird. Die Hausbesitzer
rechnen darauf, daß ihr Haus in 99 Jahren amortisirt ist. Dazu kommt
noch die Sitte, welche auch im stammverwandten Belgien, Holland und einem
Theil Rieder-Sachsens herrscht, daß jede Familie in ihrem eigenen Hause
Wohnen will. Die Folge hiervon ist, daß die meisten englischen Häuser nur
zweistöckig und außerordentlich schmal sind. In den Vorstädten haben sie
nur zwei oder höchstens drei Fenster in der Front. In den Familien ist
man genöthigt, fortwährend zwei Treppen auf- und abzugehen. Unter solchen
Umständen kann das englische Sprüchwort: „Mein Haus ist meine Burg"
nicht buchstäblich genommen werden, denn es hat nur in Beziehung zur
dadeas corpus-Acte — der Garantie der Unverletzlichkeit des Engländers in
seiner Wohnung — wahre Bedeutung. Im Allgemeinen ist des Engländers
Haus nichts weniger als eine Burg. Es kann vielmehr nichts trostloseres
geben, als der größte Theil der Straßen namentlich der Vorstädte Londons
und der größeren Fabrikstädte mit ihren rauchgeschwärzten, unangestrichenen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/397>, abgerufen am 25.08.2024.