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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Zuschrift an das genannte Weltblatt in Schutz genommen. Die erstaunliche
Verminderung der Grundeigenthümer hatte aber auch die Aristokratie selbst
so überrascht, daß sie an die Wahrheit dieser Thatsache nicht glauben wollte.
Unter der Annahme, daß in der Bevölkerungsaufnahme oder in den Berech¬
nungen des statistischen Bureaus ein Irrthum sich eingeschlichen haben müsse,
ließ sie eine Privatzählung veranstalten. Triumphirend wurde verkündet, daß
deren Zusammenstellung weit mehr als 100.000 Grundeigenthümer heraus¬
gebracht habe. Nun wäre diese Zahl im Verhältniß zu Preußen, Oesterreich
oder Frankreich eine immer noch auffallend geringfügige; allein auch dieser
Trost stellte sich als ein hinfälliger heraus, weil schon eine oberflächliche
Prüfung ergab, daß die Privatzählung der Aristokratie auch alle diejenigen
mit aufgenommen hatte, welche einen anderen Hauptberuf haben, also
z. B. eine Fabrik oder ein Handelsgeschäft betreiben und nur zufällig
nebenbei auch noch ein Landgut oder ein anderes Grundstück besitzen, während
das statistische Bureau wie die aller übrigen Länder bisher nur die Haupt¬
berufsart verzeichnet hat. Bei der Zählung von 1871, welche wegen des eben
erwähnten Zweifels mit ungewöhnlicher Sorgfalt vorgenommen wurde, haben
sich die 1861 gemachten Wahrnehmungen in wahrhaft Schrecken erregender
Weise bestätigt. Denn innerhalb 10 Jahren war die Zahl der Grundeigen¬
thümer wieder, und zwar fast um ein Viertheil gesunken, denn es waren nur
noch 22,964 weibliche und männliche selbständige Grundeigenthümer vorhanden.
Dieses Ergebniß erschien denn selbst der Negierung so ausfallend, daß sie,
obgleich das statistische Bureau für die Volkszählungen, an dessen Spitze der
verdienstvolle William Farr steht, ausdrücklich auf jenen Umstand aufmerk¬
sam gemacht und die Anfertigung einer genauen Liste der Grundeigenthümer
von Profession begonnen hatte, sich gleichwohl veranlaßt fand, eine Svecial-
Untersuchung über diesen Gegenstand anstellen zu lassen, deren Resultaten wir
noch entgegensehen. Dieser Schritt ist um so begreiflicher, wenn man bedenkt,
daß in Preußen im Jahr 1861 auf I8V2 Millionen Einwohner 761,000 und
in Frankreich 1866 bei einer Gesammtbevölkerung von 38 Millionen gar
3,266,000 selbständige Grundeigenthümer sich vorfanden. Dieses Mißverhält¬
niß hat sich in Schottland noch mehr in der genannten Richtung entwickelt
und in Irland noch stärker als in Schottland. Die Bewegung erhält noch
eine deutlichere Gestalt, wenn man die Veränderung in der Zahl der Höfe,
der Pächter und der Arbeiter in den Jahren 1851 und 1871 vergleicht.

In diesen 20 Jahren hat sich die Zahl der Pächter und des landwirth-
schaftlichen Gesindes vermindert, die der Guts- und Weide-Administratoren
sich vermehrt. In derselben Zeit sind in 17 Grafschaften namentlich die
kleinen Pachthöfe -- von selbständigen Bauernhöfen ist ja in Großbritannien
überhaupt nicht die Rede -- zurückgegangen, während die über 300 Morgen


Zuschrift an das genannte Weltblatt in Schutz genommen. Die erstaunliche
Verminderung der Grundeigenthümer hatte aber auch die Aristokratie selbst
so überrascht, daß sie an die Wahrheit dieser Thatsache nicht glauben wollte.
Unter der Annahme, daß in der Bevölkerungsaufnahme oder in den Berech¬
nungen des statistischen Bureaus ein Irrthum sich eingeschlichen haben müsse,
ließ sie eine Privatzählung veranstalten. Triumphirend wurde verkündet, daß
deren Zusammenstellung weit mehr als 100.000 Grundeigenthümer heraus¬
gebracht habe. Nun wäre diese Zahl im Verhältniß zu Preußen, Oesterreich
oder Frankreich eine immer noch auffallend geringfügige; allein auch dieser
Trost stellte sich als ein hinfälliger heraus, weil schon eine oberflächliche
Prüfung ergab, daß die Privatzählung der Aristokratie auch alle diejenigen
mit aufgenommen hatte, welche einen anderen Hauptberuf haben, also
z. B. eine Fabrik oder ein Handelsgeschäft betreiben und nur zufällig
nebenbei auch noch ein Landgut oder ein anderes Grundstück besitzen, während
das statistische Bureau wie die aller übrigen Länder bisher nur die Haupt¬
berufsart verzeichnet hat. Bei der Zählung von 1871, welche wegen des eben
erwähnten Zweifels mit ungewöhnlicher Sorgfalt vorgenommen wurde, haben
sich die 1861 gemachten Wahrnehmungen in wahrhaft Schrecken erregender
Weise bestätigt. Denn innerhalb 10 Jahren war die Zahl der Grundeigen¬
thümer wieder, und zwar fast um ein Viertheil gesunken, denn es waren nur
noch 22,964 weibliche und männliche selbständige Grundeigenthümer vorhanden.
Dieses Ergebniß erschien denn selbst der Negierung so ausfallend, daß sie,
obgleich das statistische Bureau für die Volkszählungen, an dessen Spitze der
verdienstvolle William Farr steht, ausdrücklich auf jenen Umstand aufmerk¬
sam gemacht und die Anfertigung einer genauen Liste der Grundeigenthümer
von Profession begonnen hatte, sich gleichwohl veranlaßt fand, eine Svecial-
Untersuchung über diesen Gegenstand anstellen zu lassen, deren Resultaten wir
noch entgegensehen. Dieser Schritt ist um so begreiflicher, wenn man bedenkt,
daß in Preußen im Jahr 1861 auf I8V2 Millionen Einwohner 761,000 und
in Frankreich 1866 bei einer Gesammtbevölkerung von 38 Millionen gar
3,266,000 selbständige Grundeigenthümer sich vorfanden. Dieses Mißverhält¬
niß hat sich in Schottland noch mehr in der genannten Richtung entwickelt
und in Irland noch stärker als in Schottland. Die Bewegung erhält noch
eine deutlichere Gestalt, wenn man die Veränderung in der Zahl der Höfe,
der Pächter und der Arbeiter in den Jahren 1851 und 1871 vergleicht.

In diesen 20 Jahren hat sich die Zahl der Pächter und des landwirth-
schaftlichen Gesindes vermindert, die der Guts- und Weide-Administratoren
sich vermehrt. In derselben Zeit sind in 17 Grafschaften namentlich die
kleinen Pachthöfe — von selbständigen Bauernhöfen ist ja in Großbritannien
überhaupt nicht die Rede — zurückgegangen, während die über 300 Morgen


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[0394] Zuschrift an das genannte Weltblatt in Schutz genommen. Die erstaunliche Verminderung der Grundeigenthümer hatte aber auch die Aristokratie selbst so überrascht, daß sie an die Wahrheit dieser Thatsache nicht glauben wollte. Unter der Annahme, daß in der Bevölkerungsaufnahme oder in den Berech¬ nungen des statistischen Bureaus ein Irrthum sich eingeschlichen haben müsse, ließ sie eine Privatzählung veranstalten. Triumphirend wurde verkündet, daß deren Zusammenstellung weit mehr als 100.000 Grundeigenthümer heraus¬ gebracht habe. Nun wäre diese Zahl im Verhältniß zu Preußen, Oesterreich oder Frankreich eine immer noch auffallend geringfügige; allein auch dieser Trost stellte sich als ein hinfälliger heraus, weil schon eine oberflächliche Prüfung ergab, daß die Privatzählung der Aristokratie auch alle diejenigen mit aufgenommen hatte, welche einen anderen Hauptberuf haben, also z. B. eine Fabrik oder ein Handelsgeschäft betreiben und nur zufällig nebenbei auch noch ein Landgut oder ein anderes Grundstück besitzen, während das statistische Bureau wie die aller übrigen Länder bisher nur die Haupt¬ berufsart verzeichnet hat. Bei der Zählung von 1871, welche wegen des eben erwähnten Zweifels mit ungewöhnlicher Sorgfalt vorgenommen wurde, haben sich die 1861 gemachten Wahrnehmungen in wahrhaft Schrecken erregender Weise bestätigt. Denn innerhalb 10 Jahren war die Zahl der Grundeigen¬ thümer wieder, und zwar fast um ein Viertheil gesunken, denn es waren nur noch 22,964 weibliche und männliche selbständige Grundeigenthümer vorhanden. Dieses Ergebniß erschien denn selbst der Negierung so ausfallend, daß sie, obgleich das statistische Bureau für die Volkszählungen, an dessen Spitze der verdienstvolle William Farr steht, ausdrücklich auf jenen Umstand aufmerk¬ sam gemacht und die Anfertigung einer genauen Liste der Grundeigenthümer von Profession begonnen hatte, sich gleichwohl veranlaßt fand, eine Svecial- Untersuchung über diesen Gegenstand anstellen zu lassen, deren Resultaten wir noch entgegensehen. Dieser Schritt ist um so begreiflicher, wenn man bedenkt, daß in Preußen im Jahr 1861 auf I8V2 Millionen Einwohner 761,000 und in Frankreich 1866 bei einer Gesammtbevölkerung von 38 Millionen gar 3,266,000 selbständige Grundeigenthümer sich vorfanden. Dieses Mißverhält¬ niß hat sich in Schottland noch mehr in der genannten Richtung entwickelt und in Irland noch stärker als in Schottland. Die Bewegung erhält noch eine deutlichere Gestalt, wenn man die Veränderung in der Zahl der Höfe, der Pächter und der Arbeiter in den Jahren 1851 und 1871 vergleicht. In diesen 20 Jahren hat sich die Zahl der Pächter und des landwirth- schaftlichen Gesindes vermindert, die der Guts- und Weide-Administratoren sich vermehrt. In derselben Zeit sind in 17 Grafschaften namentlich die kleinen Pachthöfe — von selbständigen Bauernhöfen ist ja in Großbritannien überhaupt nicht die Rede — zurückgegangen, während die über 300 Morgen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/394>, abgerufen am 23.07.2024.