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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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sind oder solche, die durch Industrie und Handel reich geworden sind und ihr
Vermögen sodann in Grundbesitz angelegt haben, um sich von den Geschäften
zurückzuziehen. Außer diesen Grundeigenthümern von Beruf giebt es noch
solche, deren Hauptaufgabe eine andere ist, die ihren Lebensunterhalt in der
Hauptsache aus der Industrie, dem Handel, dem Verkehr und anderen Be¬
schäftigungen schöpfen, aber noch nebenbei ein kleines Grundstück entweder
zu ihrer Geschäftsanlage oder ihrer Erholung besitzen. Darunter sind Fabri¬
kanten zu rechnen, welche den Grund und Boden, auf dem ihre Anlagen
stehen, gekauft haben und Kaufleute oder Rheder, die sich ein Landhaus an¬
geschafft haben.

Im 11- Jahrhundert hatte Wilhelm der Eroberer 60.000 Landlose an
das Heer vertheilt, mit welchem er England erobert. Daneben waren aber
noch viele freie Sachsen im unbeschränkten Besitz ihres Grundeigenthums oder
wenigstens eines Theiles desselben geblieben. Noch heut findet sich eine gute
Anzahl solcher kleiner Freisassen in der Grafschaft Kent. Sonach hat es in
England allein im 11. Jahrhundert mehr als 60,000 Grundeigenthümer von
Beruf gegeben, bet einer Bevölkerung, deren Zahl zwar unbekannt ist, welche
aber keinesfalls mehr als ein Viertheil der jetzigen erreicht haben kann. Was
aus dieser Zahl selbständiger Grundeigenthümer im Laufe der Zeit geworden
ist, das hat sich bis um die Mitte unseres Jahrhunderts der öffentlichen
Controle entzogen. Um so überraschter war man daher, als sich, nachdem
die Ausscheidung der Bevölkerung nach Berufsarten zuerst in England Auf¬
gabe der amtlichen Statistik geworden war, herausstellte, daß die Zahl der
Grundeigenthümer, trotzdem die Bevölkerung um mehr als das Vierfache ge¬
stiegen war, auf die Hälfte herabgesunken ist. Denn da die Bevölkerung von
ganz Groß-Britannien (England, Wales und Schottland) im Jahr 1811
nur 12,596,803 Einwohner zählte, so ist jene Schätzung für 8 Jahrhundert
vorher gewiß nicht zu niedrig gegriffen. Seit 1811 hat sich die Bevölkerung
trotz eines gesteigerten Beitrags zur Auswanderung verdoppelt wegen der
größern Erwerbsfähigkeit, welche die Erfindung der Dampfmaschine, der
Werkzeug- und Fabrikationsmaschinen, die Errichtung der Eisenbahnen und
Dampfschifffahrt, sowie die große Ausdehnung der Kohlen-, Eisen- und Baum-
Woll-Jndustrie u. s. w. mit sich gebracht hat. Dieselbe Bewegung, welche für
Industrie und Verkehr neue Bahnen erschloß, versah auch die Landwirthschaft
mit Arbeit sparenden neuen Maschinen und Geräthschaften, welche einen gro-
ßen Umschwung in diesem Gewerbe hervorbrachten. Allein, während einer¬
seits der Fortschritt in der Industrie und im Verkehr die Mittel zur Ernäh¬
rung der doppelten Anzahl der Bevölkerung schuf, machte der technische Auf¬
schwung in der Landwirthschaft Arbeitskräfte entbehrlich, welche von da in
die Industrie abzogen.


sind oder solche, die durch Industrie und Handel reich geworden sind und ihr
Vermögen sodann in Grundbesitz angelegt haben, um sich von den Geschäften
zurückzuziehen. Außer diesen Grundeigenthümern von Beruf giebt es noch
solche, deren Hauptaufgabe eine andere ist, die ihren Lebensunterhalt in der
Hauptsache aus der Industrie, dem Handel, dem Verkehr und anderen Be¬
schäftigungen schöpfen, aber noch nebenbei ein kleines Grundstück entweder
zu ihrer Geschäftsanlage oder ihrer Erholung besitzen. Darunter sind Fabri¬
kanten zu rechnen, welche den Grund und Boden, auf dem ihre Anlagen
stehen, gekauft haben und Kaufleute oder Rheder, die sich ein Landhaus an¬
geschafft haben.

Im 11- Jahrhundert hatte Wilhelm der Eroberer 60.000 Landlose an
das Heer vertheilt, mit welchem er England erobert. Daneben waren aber
noch viele freie Sachsen im unbeschränkten Besitz ihres Grundeigenthums oder
wenigstens eines Theiles desselben geblieben. Noch heut findet sich eine gute
Anzahl solcher kleiner Freisassen in der Grafschaft Kent. Sonach hat es in
England allein im 11. Jahrhundert mehr als 60,000 Grundeigenthümer von
Beruf gegeben, bet einer Bevölkerung, deren Zahl zwar unbekannt ist, welche
aber keinesfalls mehr als ein Viertheil der jetzigen erreicht haben kann. Was
aus dieser Zahl selbständiger Grundeigenthümer im Laufe der Zeit geworden
ist, das hat sich bis um die Mitte unseres Jahrhunderts der öffentlichen
Controle entzogen. Um so überraschter war man daher, als sich, nachdem
die Ausscheidung der Bevölkerung nach Berufsarten zuerst in England Auf¬
gabe der amtlichen Statistik geworden war, herausstellte, daß die Zahl der
Grundeigenthümer, trotzdem die Bevölkerung um mehr als das Vierfache ge¬
stiegen war, auf die Hälfte herabgesunken ist. Denn da die Bevölkerung von
ganz Groß-Britannien (England, Wales und Schottland) im Jahr 1811
nur 12,596,803 Einwohner zählte, so ist jene Schätzung für 8 Jahrhundert
vorher gewiß nicht zu niedrig gegriffen. Seit 1811 hat sich die Bevölkerung
trotz eines gesteigerten Beitrags zur Auswanderung verdoppelt wegen der
größern Erwerbsfähigkeit, welche die Erfindung der Dampfmaschine, der
Werkzeug- und Fabrikationsmaschinen, die Errichtung der Eisenbahnen und
Dampfschifffahrt, sowie die große Ausdehnung der Kohlen-, Eisen- und Baum-
Woll-Jndustrie u. s. w. mit sich gebracht hat. Dieselbe Bewegung, welche für
Industrie und Verkehr neue Bahnen erschloß, versah auch die Landwirthschaft
mit Arbeit sparenden neuen Maschinen und Geräthschaften, welche einen gro-
ßen Umschwung in diesem Gewerbe hervorbrachten. Allein, während einer¬
seits der Fortschritt in der Industrie und im Verkehr die Mittel zur Ernäh¬
rung der doppelten Anzahl der Bevölkerung schuf, machte der technische Auf¬
schwung in der Landwirthschaft Arbeitskräfte entbehrlich, welche von da in
die Industrie abzogen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/391>, abgerufen am 23.07.2024.