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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Diese Frage hat eine technisch - landwirtschaftliche und eine social-poli¬
tische Seite. In der ersteren Beziehung handelt es sich darum, zu bestimmen,
welcher Umfang des Grundeigenthums in einer Hand dem Rohertrag und
welcher dem Reinertrag am zuträglichsten ist. In der letzteren Hinsicht ist
zu ermitteln, welcher Umfang des Grundeigenthums die Steuer- und Wehr¬
kraft des Volkes am meisten stärke und dem Staate die größte Dauerhaftig¬
keit verleihe.

In technisch - landwirtschaftlicher Beziehung ist als ausgemacht anzu¬
nehmen, daß kleiner Umfang des Grundeigenthums in einer Hand größeren
Rohertrag, und daß großer Umfang größeren Reinertrag herbeiführt. In
social-politischer Beziehung aber ist die Erfahrung gemacht worden, daß ein
Zustand, wo das Grundeigenthum in wenigen Händen concentrirt wird, dem
inneren Frieden des Staates gefährlich wird und denselben zuletzt gegen Außen
gefährdet, weil die Menge, die Selbständigkeit, der Wohlstand und die Kraft
der Bevölkerung beeinträchtigt und untergraben wird. Das warnendste Bei¬
spiel hat in dieser Beziehung das einstige Römerreich gegeben, an dessen Unter¬
gang die Latifundien-Wirthschaft eine der hervorragendsten inneren Ursachen war.

Die Frage hat nicht blos ihre innere staatliche Wichtigkeit, sondern auch
eine internationale Bedeutung, weil es bei dem regen, geistigen, wirthschaft¬
lichen, religiösen und politischen Verkehr der civilisirten Völker nicht gleichgiltig
für das eine Volk ist, ob das andere emporblüht oder an innerem Krebs
dahinsieche. So gut es für das eigene Land von Interesse ist, daß in den
Nachbarländern religiöse Zwietracht oder Krieg vermieden, daß eine richtige
Verkehrs- und Handelspolitik beobachtet werde, daß geeignete sanitätspoli¬
zeiliche Vorkehrungen gegen Seuchen und Epidemien getroffen werden, ebenso gut
kann uns daran liegen, daß die Gesetzgebung in den Ländern, mit welchen wir
in freundschaftlichem Verkehr stehen, nicht von Mängeln behaftet sei, welche
eine künftige Gefahr in sich bergen. Oft hat darin der Fremde einen unbefan¬
generen Blick als der Einheimische. So kommt es ja auch, daß Stimmen
des Auslandes über die inneren Zustände einer Nation fast immer mit größerer
Aufmerksamkeit beachtet zu werden pflegen als die der Eingeborenen selbst.
Wir hoffen daher, daß es uns nicht als Ueberhebung ausgelegt werde, wenn
wir, obgleich mit England nur durch mehrere Reisen persönlich bekannt, doch
die Agrarverhältnisse einer Untersuchung unterziehen und dabei über die den¬
selben drohenden Gefahren unsere warnende Stimme erheben.

Das System des großen Grundeigenthums mit theilweiser Latifundien¬
wirthschaft besteht als ein fast ausschließliches in Mecklenburg, in Italien, in
Großbritannien und Irland und gewissermaßen auch in der Türkei. Das
entgegengesetzte System existirt in der Schweiz, wo es gar kein großes Grund¬
eigenthum giebt, so daß einzelne Höfe von über 200 Morgen schon zu den


Diese Frage hat eine technisch - landwirtschaftliche und eine social-poli¬
tische Seite. In der ersteren Beziehung handelt es sich darum, zu bestimmen,
welcher Umfang des Grundeigenthums in einer Hand dem Rohertrag und
welcher dem Reinertrag am zuträglichsten ist. In der letzteren Hinsicht ist
zu ermitteln, welcher Umfang des Grundeigenthums die Steuer- und Wehr¬
kraft des Volkes am meisten stärke und dem Staate die größte Dauerhaftig¬
keit verleihe.

In technisch - landwirtschaftlicher Beziehung ist als ausgemacht anzu¬
nehmen, daß kleiner Umfang des Grundeigenthums in einer Hand größeren
Rohertrag, und daß großer Umfang größeren Reinertrag herbeiführt. In
social-politischer Beziehung aber ist die Erfahrung gemacht worden, daß ein
Zustand, wo das Grundeigenthum in wenigen Händen concentrirt wird, dem
inneren Frieden des Staates gefährlich wird und denselben zuletzt gegen Außen
gefährdet, weil die Menge, die Selbständigkeit, der Wohlstand und die Kraft
der Bevölkerung beeinträchtigt und untergraben wird. Das warnendste Bei¬
spiel hat in dieser Beziehung das einstige Römerreich gegeben, an dessen Unter¬
gang die Latifundien-Wirthschaft eine der hervorragendsten inneren Ursachen war.

Die Frage hat nicht blos ihre innere staatliche Wichtigkeit, sondern auch
eine internationale Bedeutung, weil es bei dem regen, geistigen, wirthschaft¬
lichen, religiösen und politischen Verkehr der civilisirten Völker nicht gleichgiltig
für das eine Volk ist, ob das andere emporblüht oder an innerem Krebs
dahinsieche. So gut es für das eigene Land von Interesse ist, daß in den
Nachbarländern religiöse Zwietracht oder Krieg vermieden, daß eine richtige
Verkehrs- und Handelspolitik beobachtet werde, daß geeignete sanitätspoli¬
zeiliche Vorkehrungen gegen Seuchen und Epidemien getroffen werden, ebenso gut
kann uns daran liegen, daß die Gesetzgebung in den Ländern, mit welchen wir
in freundschaftlichem Verkehr stehen, nicht von Mängeln behaftet sei, welche
eine künftige Gefahr in sich bergen. Oft hat darin der Fremde einen unbefan¬
generen Blick als der Einheimische. So kommt es ja auch, daß Stimmen
des Auslandes über die inneren Zustände einer Nation fast immer mit größerer
Aufmerksamkeit beachtet zu werden pflegen als die der Eingeborenen selbst.
Wir hoffen daher, daß es uns nicht als Ueberhebung ausgelegt werde, wenn
wir, obgleich mit England nur durch mehrere Reisen persönlich bekannt, doch
die Agrarverhältnisse einer Untersuchung unterziehen und dabei über die den¬
selben drohenden Gefahren unsere warnende Stimme erheben.

Das System des großen Grundeigenthums mit theilweiser Latifundien¬
wirthschaft besteht als ein fast ausschließliches in Mecklenburg, in Italien, in
Großbritannien und Irland und gewissermaßen auch in der Türkei. Das
entgegengesetzte System existirt in der Schweiz, wo es gar kein großes Grund¬
eigenthum giebt, so daß einzelne Höfe von über 200 Morgen schon zu den


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[0388] Diese Frage hat eine technisch - landwirtschaftliche und eine social-poli¬ tische Seite. In der ersteren Beziehung handelt es sich darum, zu bestimmen, welcher Umfang des Grundeigenthums in einer Hand dem Rohertrag und welcher dem Reinertrag am zuträglichsten ist. In der letzteren Hinsicht ist zu ermitteln, welcher Umfang des Grundeigenthums die Steuer- und Wehr¬ kraft des Volkes am meisten stärke und dem Staate die größte Dauerhaftig¬ keit verleihe. In technisch - landwirtschaftlicher Beziehung ist als ausgemacht anzu¬ nehmen, daß kleiner Umfang des Grundeigenthums in einer Hand größeren Rohertrag, und daß großer Umfang größeren Reinertrag herbeiführt. In social-politischer Beziehung aber ist die Erfahrung gemacht worden, daß ein Zustand, wo das Grundeigenthum in wenigen Händen concentrirt wird, dem inneren Frieden des Staates gefährlich wird und denselben zuletzt gegen Außen gefährdet, weil die Menge, die Selbständigkeit, der Wohlstand und die Kraft der Bevölkerung beeinträchtigt und untergraben wird. Das warnendste Bei¬ spiel hat in dieser Beziehung das einstige Römerreich gegeben, an dessen Unter¬ gang die Latifundien-Wirthschaft eine der hervorragendsten inneren Ursachen war. Die Frage hat nicht blos ihre innere staatliche Wichtigkeit, sondern auch eine internationale Bedeutung, weil es bei dem regen, geistigen, wirthschaft¬ lichen, religiösen und politischen Verkehr der civilisirten Völker nicht gleichgiltig für das eine Volk ist, ob das andere emporblüht oder an innerem Krebs dahinsieche. So gut es für das eigene Land von Interesse ist, daß in den Nachbarländern religiöse Zwietracht oder Krieg vermieden, daß eine richtige Verkehrs- und Handelspolitik beobachtet werde, daß geeignete sanitätspoli¬ zeiliche Vorkehrungen gegen Seuchen und Epidemien getroffen werden, ebenso gut kann uns daran liegen, daß die Gesetzgebung in den Ländern, mit welchen wir in freundschaftlichem Verkehr stehen, nicht von Mängeln behaftet sei, welche eine künftige Gefahr in sich bergen. Oft hat darin der Fremde einen unbefan¬ generen Blick als der Einheimische. So kommt es ja auch, daß Stimmen des Auslandes über die inneren Zustände einer Nation fast immer mit größerer Aufmerksamkeit beachtet zu werden pflegen als die der Eingeborenen selbst. Wir hoffen daher, daß es uns nicht als Ueberhebung ausgelegt werde, wenn wir, obgleich mit England nur durch mehrere Reisen persönlich bekannt, doch die Agrarverhältnisse einer Untersuchung unterziehen und dabei über die den¬ selben drohenden Gefahren unsere warnende Stimme erheben. Das System des großen Grundeigenthums mit theilweiser Latifundien¬ wirthschaft besteht als ein fast ausschließliches in Mecklenburg, in Italien, in Großbritannien und Irland und gewissermaßen auch in der Türkei. Das entgegengesetzte System existirt in der Schweiz, wo es gar kein großes Grund¬ eigenthum giebt, so daß einzelne Höfe von über 200 Morgen schon zu den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/388>, abgerufen am 23.07.2024.