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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Spaniens theils den Ideen des Erasmus entsprungen sein würde. Von der
anderen Seite forderte des Papstes Vertreter, Ale an der, selbst ein sehr
gebildeter und auf seinem Standpunkte auch recht verständiger und einsichts¬
voller Mann, Aleander forderte, daß man jede Beförderung Luther's und
seiner Richtung vermeide und ihn, den vom Papste schon gebannten Ketzer
nach hergebrachter Weise vernichte. Die spanische Reformationspartei war
nicht ohne weiteres zu so gewaltsamen Auftreten entschlossen; sie meinte Luther
schonen zu sollen und seine unleugbare Befähigung im Dienste der Kirchen¬
reformation benutzen zu können. Man beabsichtigte ihn zur Zurücknahme
seiner heftigsten Ausfälle zu bewegen. Glapion unternahm es, einmal durch
sächsische Vermittlung und dann durch Luther's Beschützer, Hütten und
Sickingen, eine private Verständigung anzubahnen und zu versuchen: beide male
hatte er nicht den gewünschten Erfolg. Nur das Eine erzielte er, daß die ge-
fürchtete tumultuarische Parteinahme der Ritter für Luther in jenem kritischen
Augenblicke vermieden wurde: Sickingen und Hütten ließen sich durch Aemter
und Pensionen im April 1521 zur Passivität bewegen.

Indem Luther seine Verantwortung vor dem Reiche allein mit eigener
Kraft zu führen hatte, war er seines geistigen Sieges um so sicherer.

In Aller Gedächtniß lebt die Scene, in der Luther vor Kaiser und Reich
am 18. April 1621 aufs neue seine Ueberzeugung kund gethan hat: er wieder¬
holte in der größten Oeffentlichkeit seine Leipziger Erklärung. Sein in sich
sicheres und felsenfestes religiöses Gefühl verwarf aufs neue die Autoritäten, auf
denen die Kirche des Mittelalters beruht hatte: sein Gewissen, das von Gottes
Wort allein bezwungen sei, weigerte dem Papste und dem Conzile den An¬
spruch der Jrrthumslosigkeit; wider sein Gewissen aber zu handeln lehnte er
mit Entschiedenheit und Festigkeit ab.

Das eine Individuum, das die Wahrheit sicher zu haben aufs leben¬
digste überzeugt war, hat sich erhoben und hat Stand gehalten gegen die
Mächte, welche Jahrhunderte hindurch die Welt beherrscht hatten. Der eine
Mann hat mit kühnem und selbstbewußtem Worte die Grundlagen der all¬
mächtigen Kirche verworfen! Das ist der Anfang des neuen Weltalters, der
Anbruch der Neuzeit!

Der Compromiß zwischen Mittelalter und Neuzeit, den Theologen und
Gelehrte für möglich gehalten, war an Luther's Ueberzeugungstreue gescheitert:
als stegreicher Held schied er, der äußerlich unterlegen, von dem Kampfplatz
zu Worms. "

Das officielle Reich deutscher Nation sprach über ihn und seine Sache
das Verwerfungsurtheil aus. Im Streit der Meinungen und Bestrebungen
behauptete auf dem Reichstage das Hergebrachte und Alte das Feld.

Ein großer Theil des Volkes von Deutschland aber schloß sich Luther's


Spaniens theils den Ideen des Erasmus entsprungen sein würde. Von der
anderen Seite forderte des Papstes Vertreter, Ale an der, selbst ein sehr
gebildeter und auf seinem Standpunkte auch recht verständiger und einsichts¬
voller Mann, Aleander forderte, daß man jede Beförderung Luther's und
seiner Richtung vermeide und ihn, den vom Papste schon gebannten Ketzer
nach hergebrachter Weise vernichte. Die spanische Reformationspartei war
nicht ohne weiteres zu so gewaltsamen Auftreten entschlossen; sie meinte Luther
schonen zu sollen und seine unleugbare Befähigung im Dienste der Kirchen¬
reformation benutzen zu können. Man beabsichtigte ihn zur Zurücknahme
seiner heftigsten Ausfälle zu bewegen. Glapion unternahm es, einmal durch
sächsische Vermittlung und dann durch Luther's Beschützer, Hütten und
Sickingen, eine private Verständigung anzubahnen und zu versuchen: beide male
hatte er nicht den gewünschten Erfolg. Nur das Eine erzielte er, daß die ge-
fürchtete tumultuarische Parteinahme der Ritter für Luther in jenem kritischen
Augenblicke vermieden wurde: Sickingen und Hütten ließen sich durch Aemter
und Pensionen im April 1521 zur Passivität bewegen.

Indem Luther seine Verantwortung vor dem Reiche allein mit eigener
Kraft zu führen hatte, war er seines geistigen Sieges um so sicherer.

In Aller Gedächtniß lebt die Scene, in der Luther vor Kaiser und Reich
am 18. April 1621 aufs neue seine Ueberzeugung kund gethan hat: er wieder¬
holte in der größten Oeffentlichkeit seine Leipziger Erklärung. Sein in sich
sicheres und felsenfestes religiöses Gefühl verwarf aufs neue die Autoritäten, auf
denen die Kirche des Mittelalters beruht hatte: sein Gewissen, das von Gottes
Wort allein bezwungen sei, weigerte dem Papste und dem Conzile den An¬
spruch der Jrrthumslosigkeit; wider sein Gewissen aber zu handeln lehnte er
mit Entschiedenheit und Festigkeit ab.

Das eine Individuum, das die Wahrheit sicher zu haben aufs leben¬
digste überzeugt war, hat sich erhoben und hat Stand gehalten gegen die
Mächte, welche Jahrhunderte hindurch die Welt beherrscht hatten. Der eine
Mann hat mit kühnem und selbstbewußtem Worte die Grundlagen der all¬
mächtigen Kirche verworfen! Das ist der Anfang des neuen Weltalters, der
Anbruch der Neuzeit!

Der Compromiß zwischen Mittelalter und Neuzeit, den Theologen und
Gelehrte für möglich gehalten, war an Luther's Ueberzeugungstreue gescheitert:
als stegreicher Held schied er, der äußerlich unterlegen, von dem Kampfplatz
zu Worms. »

Das officielle Reich deutscher Nation sprach über ihn und seine Sache
das Verwerfungsurtheil aus. Im Streit der Meinungen und Bestrebungen
behauptete auf dem Reichstage das Hergebrachte und Alte das Feld.

Ein großer Theil des Volkes von Deutschland aber schloß sich Luther's


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[0376] Spaniens theils den Ideen des Erasmus entsprungen sein würde. Von der anderen Seite forderte des Papstes Vertreter, Ale an der, selbst ein sehr gebildeter und auf seinem Standpunkte auch recht verständiger und einsichts¬ voller Mann, Aleander forderte, daß man jede Beförderung Luther's und seiner Richtung vermeide und ihn, den vom Papste schon gebannten Ketzer nach hergebrachter Weise vernichte. Die spanische Reformationspartei war nicht ohne weiteres zu so gewaltsamen Auftreten entschlossen; sie meinte Luther schonen zu sollen und seine unleugbare Befähigung im Dienste der Kirchen¬ reformation benutzen zu können. Man beabsichtigte ihn zur Zurücknahme seiner heftigsten Ausfälle zu bewegen. Glapion unternahm es, einmal durch sächsische Vermittlung und dann durch Luther's Beschützer, Hütten und Sickingen, eine private Verständigung anzubahnen und zu versuchen: beide male hatte er nicht den gewünschten Erfolg. Nur das Eine erzielte er, daß die ge- fürchtete tumultuarische Parteinahme der Ritter für Luther in jenem kritischen Augenblicke vermieden wurde: Sickingen und Hütten ließen sich durch Aemter und Pensionen im April 1521 zur Passivität bewegen. Indem Luther seine Verantwortung vor dem Reiche allein mit eigener Kraft zu führen hatte, war er seines geistigen Sieges um so sicherer. In Aller Gedächtniß lebt die Scene, in der Luther vor Kaiser und Reich am 18. April 1621 aufs neue seine Ueberzeugung kund gethan hat: er wieder¬ holte in der größten Oeffentlichkeit seine Leipziger Erklärung. Sein in sich sicheres und felsenfestes religiöses Gefühl verwarf aufs neue die Autoritäten, auf denen die Kirche des Mittelalters beruht hatte: sein Gewissen, das von Gottes Wort allein bezwungen sei, weigerte dem Papste und dem Conzile den An¬ spruch der Jrrthumslosigkeit; wider sein Gewissen aber zu handeln lehnte er mit Entschiedenheit und Festigkeit ab. Das eine Individuum, das die Wahrheit sicher zu haben aufs leben¬ digste überzeugt war, hat sich erhoben und hat Stand gehalten gegen die Mächte, welche Jahrhunderte hindurch die Welt beherrscht hatten. Der eine Mann hat mit kühnem und selbstbewußtem Worte die Grundlagen der all¬ mächtigen Kirche verworfen! Das ist der Anfang des neuen Weltalters, der Anbruch der Neuzeit! Der Compromiß zwischen Mittelalter und Neuzeit, den Theologen und Gelehrte für möglich gehalten, war an Luther's Ueberzeugungstreue gescheitert: als stegreicher Held schied er, der äußerlich unterlegen, von dem Kampfplatz zu Worms. » Das officielle Reich deutscher Nation sprach über ihn und seine Sache das Verwerfungsurtheil aus. Im Streit der Meinungen und Bestrebungen behauptete auf dem Reichstage das Hergebrachte und Alte das Feld. Ein großer Theil des Volkes von Deutschland aber schloß sich Luther's

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/376>, abgerufen am 23.07.2024.