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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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so eindringlichen Waffen angegriffen und zu Boden geworfen worden, daß
heute noch jedes modern empfindende Herz mit freudiger Dankbarkeit diese
Schriften genießt. An den polemischen Ausführungen in ihnen hat die huma¬
nistische Bundesgenossenschaft Luther's einen sicher nicht unbedeutenden An¬
theil, -- die eigentlich religiösen Darlegungen sind dagegen Luther's vollstes
und eigenstes Eigenthum.

Im Jahre 1520 hat Luther jene großen reformatorischen Schriften aus¬
gehen lassen, welche seine grundlegenden Gedanken der deutschen Nation ver¬
kündigt und den eigentlichen Kern und Inhalt seiner Reformation zum Aus¬
druck gebracht. Das Papstthum und die Kirche, wie sie historisch im Mittel¬
alter erwachsen war, hatte grade seine innerste religiöse Ueberzeugung ihn zu
verwerfen gezwungen. Dieser historisch gewordenen kirchlichen Anstalt setzte
Luther das Priesterthum aller Christen entgegen: an die Stelle des Priester¬
standes der Kirche, des nothwendigen Heils - Vermittlers für die einzelnen
Menschen, trat hier das direkte unvermittelte Verhältniß der gläubigen Seele
zu Gott. Nicht mehr ausschließlich die Hierarchie des Clerus, sondern in Ge¬
meinsamkeit Clerus und Laien sollten nach Luther's Sinn die christliche Kirche
bilden. Und mit hinreißender Ueberzeugungsgewalt führte nun Luther den
Gedanken aus, daß die Kirche auf der Gemeinde der Gläubigen, sowohl der
Laien als der Geistlichen, beruhe.

Damit war die Kirche des Mittelalters, die ja eine auf Grund bestimm¬
ter göttlicher Einrichtungen aufgebaute und absolut nothwendige Anstalt sein
wollte, im innersten Nerv ihres Daseins getroffen. Luther's reformatorisches
Prinzip bedeutet nichts anders als den Bruch mit der Kirche, wie sie historisch
geworden.

Es erhob sich die Frage, ob die deutsche Nation, die begeistert seiner
Polemik wider Rom zustimmte, ebenso nachhaltig seine weiteren Schritte
unterstützen und seine weiteren Forderungen ausführen würde. Es mußte sich
nun entscheiden, ob alle die Stimmen, die auf den Reichstagen und in der Lite¬
ratur nach "Reformation der Kirche" gerufen, auch auf die neuen reformato¬
rischen Ideen eingehen wollten. Wie die officiellen Autoritäten des Reiches
die Sache ansahen, das zeigte sich 1821 in Worms.

In unruhiger Gährung erwarteten alle Schichten der deutschen Nation
den Reichstag. Die Humanisten und die Ritterpartei meinten, der deutsche
Kaiser -- Karl V., der Herrscher Spaniens -- solle eine politische Reform
des Reiches und eine allgemeine Reformation der Kirche herbeiführen. Das
letztere entsprach gewiß seinem eigenen Sinne und den Eingebungen seiner Räthe;
in nächster Nähe der Beichtvater Glapion und aus der Entfernung Eras.
mus hatten dem jungen Fürsten diese Aufgabe zugedacht. Sie aber ver¬
standen unter dieser Reformation eine solche, wie sie theils dem Muster


so eindringlichen Waffen angegriffen und zu Boden geworfen worden, daß
heute noch jedes modern empfindende Herz mit freudiger Dankbarkeit diese
Schriften genießt. An den polemischen Ausführungen in ihnen hat die huma¬
nistische Bundesgenossenschaft Luther's einen sicher nicht unbedeutenden An¬
theil, — die eigentlich religiösen Darlegungen sind dagegen Luther's vollstes
und eigenstes Eigenthum.

Im Jahre 1520 hat Luther jene großen reformatorischen Schriften aus¬
gehen lassen, welche seine grundlegenden Gedanken der deutschen Nation ver¬
kündigt und den eigentlichen Kern und Inhalt seiner Reformation zum Aus¬
druck gebracht. Das Papstthum und die Kirche, wie sie historisch im Mittel¬
alter erwachsen war, hatte grade seine innerste religiöse Ueberzeugung ihn zu
verwerfen gezwungen. Dieser historisch gewordenen kirchlichen Anstalt setzte
Luther das Priesterthum aller Christen entgegen: an die Stelle des Priester¬
standes der Kirche, des nothwendigen Heils - Vermittlers für die einzelnen
Menschen, trat hier das direkte unvermittelte Verhältniß der gläubigen Seele
zu Gott. Nicht mehr ausschließlich die Hierarchie des Clerus, sondern in Ge¬
meinsamkeit Clerus und Laien sollten nach Luther's Sinn die christliche Kirche
bilden. Und mit hinreißender Ueberzeugungsgewalt führte nun Luther den
Gedanken aus, daß die Kirche auf der Gemeinde der Gläubigen, sowohl der
Laien als der Geistlichen, beruhe.

Damit war die Kirche des Mittelalters, die ja eine auf Grund bestimm¬
ter göttlicher Einrichtungen aufgebaute und absolut nothwendige Anstalt sein
wollte, im innersten Nerv ihres Daseins getroffen. Luther's reformatorisches
Prinzip bedeutet nichts anders als den Bruch mit der Kirche, wie sie historisch
geworden.

Es erhob sich die Frage, ob die deutsche Nation, die begeistert seiner
Polemik wider Rom zustimmte, ebenso nachhaltig seine weiteren Schritte
unterstützen und seine weiteren Forderungen ausführen würde. Es mußte sich
nun entscheiden, ob alle die Stimmen, die auf den Reichstagen und in der Lite¬
ratur nach „Reformation der Kirche" gerufen, auch auf die neuen reformato¬
rischen Ideen eingehen wollten. Wie die officiellen Autoritäten des Reiches
die Sache ansahen, das zeigte sich 1821 in Worms.

In unruhiger Gährung erwarteten alle Schichten der deutschen Nation
den Reichstag. Die Humanisten und die Ritterpartei meinten, der deutsche
Kaiser — Karl V., der Herrscher Spaniens — solle eine politische Reform
des Reiches und eine allgemeine Reformation der Kirche herbeiführen. Das
letztere entsprach gewiß seinem eigenen Sinne und den Eingebungen seiner Räthe;
in nächster Nähe der Beichtvater Glapion und aus der Entfernung Eras.
mus hatten dem jungen Fürsten diese Aufgabe zugedacht. Sie aber ver¬
standen unter dieser Reformation eine solche, wie sie theils dem Muster


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/375>, abgerufen am 23.07.2024.