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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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schien es ihm möglich, wenn Luther in seinem Thun sich mäßigen und die
kirchlichen Bahnen strenger einhalten wollte, zum Werke der Reform auch
Luther zu gebrauchen. So hatErasmus, der Herrscher der europäischen Gelehrten¬
welt, dem Wittenberger Professor anfangs seine Protektion nicht versagt und
mit ironischen Wendungen sich wenigstens theilweise sogar für ihn ausge¬
sprochen. Aber die Differenz der Anschauungen und der Gegensatz der Charak¬
tere war doch immer vorhanden. Es konnte nicht wohl ausbleiben, daß die
Beiden schließlich in einen lebhaften Streit mit einander geriethen: grade für
Erasmus Standpunkt und Tendenzen mußte es später zur Nothwendigkeit
werden, sich mit ganzer Schärfe gegen die, wie er dies ansah, maßlosen und
die Kirche selbst bedrohenden Ausschreitungen Luther's zu wenden.

Mit lautesten Jubel hingegen warf sich 1L19 die Schaar der Humanisten
auf Luther's Seite; allen voran Crotus und Hütten: ihr Entschluß ver¬
stärkte bei Luther die Richtung, die er seit Leipzig genommen. Hutten's feu¬
rige und leidenschaftliche Natur, sein patriotisches und humanistisches Pathos
hatte sich schon in allerlei schriftstellerischen Leistungen versucht; er hatte sich
mit ganzer Seele der Polemik gegen das Papstthum ergeben und einen hef¬
tigen Sturmlauf gegen Rom eröffnet. Man wird mit der größten Bewun¬
derung und oft mit freudiger Zustimmung die Hütten'schen Schriften lesen,
die in ihrer negativen Kraft wenige ihres Gleichen in der gesäumten Literatur
haben: eigentlich positive Gedanken enthalten sie allerdings nicht: Und daß
sie in ihrem Kampfe gegen Rom bis dahin jemals religiöse Motive ange¬
schlagen, wird auch Niemand behaupten wollen. Nun aber eignete sich Hütten
auch die religiösen Erwägungen Luther's an; nun verband er mit seiner ge¬
wohnten Waffenführung die neuen religiösen Ideen Luther's.

Hütten beeilte sich, mit Luther in Verbindung zu treten; er gewann für
die Sache Luther's den Ritter Franz von Sickingen, dem überhaupt in den
allgemeinen und politischen Planen der deutschen Nitterpartei die Stelle des
leitenden und ausführenden Partcihauptes zugedacht war. Luther ging seiner¬
seits diese für ihn so ganz neuen Verbindungen ein. Auf Sickingen's Schutz
und Sickingen's That setzte er sein Vertrauen; die Schriften der Humanisten
studirte er eifrig und wußte auch von ihnen noch zu lernen; er hat ihnen
auf seine eigenen literarischen Arbeiten der nächsten Zeit einen nicht unbe¬
trächtlichen Einfluß verstattet.

Aus den Pamphleten von Crotus und Hütten stammen jene verletzende
Schärfe und jene unerbittliche Feindschaft gegen das Papstthum her, welche
die damaligen Angriffe Luther's auf Rom zu unvergeßlichen und unbesieg¬
baren Keulenschlägen gestempelt. Die Institution der mittelalterlichen
Kirche, deren vollendetste Frucht und deren natürlichste Krone das weltherr¬
schende Papstthum war, ist damals durch Luther mit so durchschlagenden und


schien es ihm möglich, wenn Luther in seinem Thun sich mäßigen und die
kirchlichen Bahnen strenger einhalten wollte, zum Werke der Reform auch
Luther zu gebrauchen. So hatErasmus, der Herrscher der europäischen Gelehrten¬
welt, dem Wittenberger Professor anfangs seine Protektion nicht versagt und
mit ironischen Wendungen sich wenigstens theilweise sogar für ihn ausge¬
sprochen. Aber die Differenz der Anschauungen und der Gegensatz der Charak¬
tere war doch immer vorhanden. Es konnte nicht wohl ausbleiben, daß die
Beiden schließlich in einen lebhaften Streit mit einander geriethen: grade für
Erasmus Standpunkt und Tendenzen mußte es später zur Nothwendigkeit
werden, sich mit ganzer Schärfe gegen die, wie er dies ansah, maßlosen und
die Kirche selbst bedrohenden Ausschreitungen Luther's zu wenden.

Mit lautesten Jubel hingegen warf sich 1L19 die Schaar der Humanisten
auf Luther's Seite; allen voran Crotus und Hütten: ihr Entschluß ver¬
stärkte bei Luther die Richtung, die er seit Leipzig genommen. Hutten's feu¬
rige und leidenschaftliche Natur, sein patriotisches und humanistisches Pathos
hatte sich schon in allerlei schriftstellerischen Leistungen versucht; er hatte sich
mit ganzer Seele der Polemik gegen das Papstthum ergeben und einen hef¬
tigen Sturmlauf gegen Rom eröffnet. Man wird mit der größten Bewun¬
derung und oft mit freudiger Zustimmung die Hütten'schen Schriften lesen,
die in ihrer negativen Kraft wenige ihres Gleichen in der gesäumten Literatur
haben: eigentlich positive Gedanken enthalten sie allerdings nicht: Und daß
sie in ihrem Kampfe gegen Rom bis dahin jemals religiöse Motive ange¬
schlagen, wird auch Niemand behaupten wollen. Nun aber eignete sich Hütten
auch die religiösen Erwägungen Luther's an; nun verband er mit seiner ge¬
wohnten Waffenführung die neuen religiösen Ideen Luther's.

Hütten beeilte sich, mit Luther in Verbindung zu treten; er gewann für
die Sache Luther's den Ritter Franz von Sickingen, dem überhaupt in den
allgemeinen und politischen Planen der deutschen Nitterpartei die Stelle des
leitenden und ausführenden Partcihauptes zugedacht war. Luther ging seiner¬
seits diese für ihn so ganz neuen Verbindungen ein. Auf Sickingen's Schutz
und Sickingen's That setzte er sein Vertrauen; die Schriften der Humanisten
studirte er eifrig und wußte auch von ihnen noch zu lernen; er hat ihnen
auf seine eigenen literarischen Arbeiten der nächsten Zeit einen nicht unbe¬
trächtlichen Einfluß verstattet.

Aus den Pamphleten von Crotus und Hütten stammen jene verletzende
Schärfe und jene unerbittliche Feindschaft gegen das Papstthum her, welche
die damaligen Angriffe Luther's auf Rom zu unvergeßlichen und unbesieg¬
baren Keulenschlägen gestempelt. Die Institution der mittelalterlichen
Kirche, deren vollendetste Frucht und deren natürlichste Krone das weltherr¬
schende Papstthum war, ist damals durch Luther mit so durchschlagenden und


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[0374] schien es ihm möglich, wenn Luther in seinem Thun sich mäßigen und die kirchlichen Bahnen strenger einhalten wollte, zum Werke der Reform auch Luther zu gebrauchen. So hatErasmus, der Herrscher der europäischen Gelehrten¬ welt, dem Wittenberger Professor anfangs seine Protektion nicht versagt und mit ironischen Wendungen sich wenigstens theilweise sogar für ihn ausge¬ sprochen. Aber die Differenz der Anschauungen und der Gegensatz der Charak¬ tere war doch immer vorhanden. Es konnte nicht wohl ausbleiben, daß die Beiden schließlich in einen lebhaften Streit mit einander geriethen: grade für Erasmus Standpunkt und Tendenzen mußte es später zur Nothwendigkeit werden, sich mit ganzer Schärfe gegen die, wie er dies ansah, maßlosen und die Kirche selbst bedrohenden Ausschreitungen Luther's zu wenden. Mit lautesten Jubel hingegen warf sich 1L19 die Schaar der Humanisten auf Luther's Seite; allen voran Crotus und Hütten: ihr Entschluß ver¬ stärkte bei Luther die Richtung, die er seit Leipzig genommen. Hutten's feu¬ rige und leidenschaftliche Natur, sein patriotisches und humanistisches Pathos hatte sich schon in allerlei schriftstellerischen Leistungen versucht; er hatte sich mit ganzer Seele der Polemik gegen das Papstthum ergeben und einen hef¬ tigen Sturmlauf gegen Rom eröffnet. Man wird mit der größten Bewun¬ derung und oft mit freudiger Zustimmung die Hütten'schen Schriften lesen, die in ihrer negativen Kraft wenige ihres Gleichen in der gesäumten Literatur haben: eigentlich positive Gedanken enthalten sie allerdings nicht: Und daß sie in ihrem Kampfe gegen Rom bis dahin jemals religiöse Motive ange¬ schlagen, wird auch Niemand behaupten wollen. Nun aber eignete sich Hütten auch die religiösen Erwägungen Luther's an; nun verband er mit seiner ge¬ wohnten Waffenführung die neuen religiösen Ideen Luther's. Hütten beeilte sich, mit Luther in Verbindung zu treten; er gewann für die Sache Luther's den Ritter Franz von Sickingen, dem überhaupt in den allgemeinen und politischen Planen der deutschen Nitterpartei die Stelle des leitenden und ausführenden Partcihauptes zugedacht war. Luther ging seiner¬ seits diese für ihn so ganz neuen Verbindungen ein. Auf Sickingen's Schutz und Sickingen's That setzte er sein Vertrauen; die Schriften der Humanisten studirte er eifrig und wußte auch von ihnen noch zu lernen; er hat ihnen auf seine eigenen literarischen Arbeiten der nächsten Zeit einen nicht unbe¬ trächtlichen Einfluß verstattet. Aus den Pamphleten von Crotus und Hütten stammen jene verletzende Schärfe und jene unerbittliche Feindschaft gegen das Papstthum her, welche die damaligen Angriffe Luther's auf Rom zu unvergeßlichen und unbesieg¬ baren Keulenschlägen gestempelt. Die Institution der mittelalterlichen Kirche, deren vollendetste Frucht und deren natürlichste Krone das weltherr¬ schende Papstthum war, ist damals durch Luther mit so durchschlagenden und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/374>, abgerufen am 23.07.2024.