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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Fällen als die richtige erwiesen. Deutschland ertrug nach 1866 die an sich
stets verabscheut gewesene Mainlinie bis die Zeit der näheren Verbindung
mit dem Süden erfüllet war. Auf Badens Eintritt in den norddeutschen
Bund wurde nicht eingegangen und der Rest des Südens ist "nicht sauer"
geworden. So ward auch im deutschen Heerlager zu Versailles Baierns Bei¬
tritt zum Reiche trotz aller seiner Reservatrechte angenommen, so unbegrün¬
det deren Geltendmachung dem deutschen Vaterlandsfreund grade nach den
Ereignissen von 1870 auch erscheinen mußte. Die Grundanschauung des Leiters
der deutschen Politik war eben offenbar die, daß die innere Macht der sich
entwickelnden Verhältnisse schon von selbst allmälig und mit einer gewissen
Naturnothwendigkeit für die Herstellung der noch nicht vollständigen Harmonie
in den deutschen Angelegenheiten Sorge tragen werde.

In der That hat Baierns Stellung zum Reiche sich in dieser Richtung
entwickelt. Es hat der Befestigung des Reichs und seiner Einrichtungen seit
1870 keine wesentlichen Hindernisse bereitet; eine Ausübung seiner Reservat-
rechte hat da, wo sie dem Reiche hätte störend fallen können, bisher nicht
stattgefunden, wie wir noch unlängst anläßlich einer Anfrage Jörg's im Reichs¬
tage vom Reichskanzler bestätigen hörten. Wenn aus Baierns abnormer
Lage Nachtheile entstanden, so sind sie höchstens für Baiern selbst erwachsen;
grade die Belassung der gewünschten Ausnahmestellung dürfte deren Nichtbe-
rechtigung nur klarer haben hervortreten lassen. In wesentlichen Punkten
aber hat Baiern durch enge Anlehnung an das Reich innere Verhältnisse mit
Erfolg zu verbessern gesucht: Baiern that den ersten Schritt zum Reichsgesetze
über die Jesuiten und bemühte sich noch vor Kurzem, das Neichsgesetz über
die Civilehe zu fördern.

An König Ludwig's deutschem Sinne konnte nach dem Juli 1870 nicht
mehr gezweifelt werden; als die Hauptfrage erscheint nur die, inwieweit die
Bevölkerung Baierns, partikulare Rücksichten hintanstellend, in der Hinnei¬
gung zum Reiche fortgeschritten ist. Der gemeinsame Kampf gegen Frankreich
hatte die Augen geöffnet für die ersprießlichen Verhältnisse des Reichs. Ein'
entscheidender, nachhaltiger Umschwung war damit noch nicht eingetreten, aber
die Frage war in große Gährung gekommen. Wie sehr, das beginnt sich
anläßlich der bevorstehenden Neuwahlen zur Abgeordnetenkammer und in der
Entwicklung derjenigen Partei zu zeigen, deren Einfluß bisher maßgebend war.

Die Abgeordnetenkammer des am 18. d. M. zum letzten Male zusammen¬
getretenen Landtags wurde bereits am 25, November 1869 gewählt. Wie
haben sich die hierbei maßgebend gewesenen Verhältnisse in den 3 Jahren
geändert! Wenn damals von 134 Mandaten 83 an Mitglieder der sog. Pa-
triotenpartei vergeben wurden, so war die Meinung bestimmend, daß es vor
Allem darauf ankomme, einem Umsichgreifen des "preußischen Einheitsstaats"


Fällen als die richtige erwiesen. Deutschland ertrug nach 1866 die an sich
stets verabscheut gewesene Mainlinie bis die Zeit der näheren Verbindung
mit dem Süden erfüllet war. Auf Badens Eintritt in den norddeutschen
Bund wurde nicht eingegangen und der Rest des Südens ist „nicht sauer"
geworden. So ward auch im deutschen Heerlager zu Versailles Baierns Bei¬
tritt zum Reiche trotz aller seiner Reservatrechte angenommen, so unbegrün¬
det deren Geltendmachung dem deutschen Vaterlandsfreund grade nach den
Ereignissen von 1870 auch erscheinen mußte. Die Grundanschauung des Leiters
der deutschen Politik war eben offenbar die, daß die innere Macht der sich
entwickelnden Verhältnisse schon von selbst allmälig und mit einer gewissen
Naturnothwendigkeit für die Herstellung der noch nicht vollständigen Harmonie
in den deutschen Angelegenheiten Sorge tragen werde.

In der That hat Baierns Stellung zum Reiche sich in dieser Richtung
entwickelt. Es hat der Befestigung des Reichs und seiner Einrichtungen seit
1870 keine wesentlichen Hindernisse bereitet; eine Ausübung seiner Reservat-
rechte hat da, wo sie dem Reiche hätte störend fallen können, bisher nicht
stattgefunden, wie wir noch unlängst anläßlich einer Anfrage Jörg's im Reichs¬
tage vom Reichskanzler bestätigen hörten. Wenn aus Baierns abnormer
Lage Nachtheile entstanden, so sind sie höchstens für Baiern selbst erwachsen;
grade die Belassung der gewünschten Ausnahmestellung dürfte deren Nichtbe-
rechtigung nur klarer haben hervortreten lassen. In wesentlichen Punkten
aber hat Baiern durch enge Anlehnung an das Reich innere Verhältnisse mit
Erfolg zu verbessern gesucht: Baiern that den ersten Schritt zum Reichsgesetze
über die Jesuiten und bemühte sich noch vor Kurzem, das Neichsgesetz über
die Civilehe zu fördern.

An König Ludwig's deutschem Sinne konnte nach dem Juli 1870 nicht
mehr gezweifelt werden; als die Hauptfrage erscheint nur die, inwieweit die
Bevölkerung Baierns, partikulare Rücksichten hintanstellend, in der Hinnei¬
gung zum Reiche fortgeschritten ist. Der gemeinsame Kampf gegen Frankreich
hatte die Augen geöffnet für die ersprießlichen Verhältnisse des Reichs. Ein'
entscheidender, nachhaltiger Umschwung war damit noch nicht eingetreten, aber
die Frage war in große Gährung gekommen. Wie sehr, das beginnt sich
anläßlich der bevorstehenden Neuwahlen zur Abgeordnetenkammer und in der
Entwicklung derjenigen Partei zu zeigen, deren Einfluß bisher maßgebend war.

Die Abgeordnetenkammer des am 18. d. M. zum letzten Male zusammen¬
getretenen Landtags wurde bereits am 25, November 1869 gewählt. Wie
haben sich die hierbei maßgebend gewesenen Verhältnisse in den 3 Jahren
geändert! Wenn damals von 134 Mandaten 83 an Mitglieder der sog. Pa-
triotenpartei vergeben wurden, so war die Meinung bestimmend, daß es vor
Allem darauf ankomme, einem Umsichgreifen des „preußischen Einheitsstaats"


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[0365] Fällen als die richtige erwiesen. Deutschland ertrug nach 1866 die an sich stets verabscheut gewesene Mainlinie bis die Zeit der näheren Verbindung mit dem Süden erfüllet war. Auf Badens Eintritt in den norddeutschen Bund wurde nicht eingegangen und der Rest des Südens ist „nicht sauer" geworden. So ward auch im deutschen Heerlager zu Versailles Baierns Bei¬ tritt zum Reiche trotz aller seiner Reservatrechte angenommen, so unbegrün¬ det deren Geltendmachung dem deutschen Vaterlandsfreund grade nach den Ereignissen von 1870 auch erscheinen mußte. Die Grundanschauung des Leiters der deutschen Politik war eben offenbar die, daß die innere Macht der sich entwickelnden Verhältnisse schon von selbst allmälig und mit einer gewissen Naturnothwendigkeit für die Herstellung der noch nicht vollständigen Harmonie in den deutschen Angelegenheiten Sorge tragen werde. In der That hat Baierns Stellung zum Reiche sich in dieser Richtung entwickelt. Es hat der Befestigung des Reichs und seiner Einrichtungen seit 1870 keine wesentlichen Hindernisse bereitet; eine Ausübung seiner Reservat- rechte hat da, wo sie dem Reiche hätte störend fallen können, bisher nicht stattgefunden, wie wir noch unlängst anläßlich einer Anfrage Jörg's im Reichs¬ tage vom Reichskanzler bestätigen hörten. Wenn aus Baierns abnormer Lage Nachtheile entstanden, so sind sie höchstens für Baiern selbst erwachsen; grade die Belassung der gewünschten Ausnahmestellung dürfte deren Nichtbe- rechtigung nur klarer haben hervortreten lassen. In wesentlichen Punkten aber hat Baiern durch enge Anlehnung an das Reich innere Verhältnisse mit Erfolg zu verbessern gesucht: Baiern that den ersten Schritt zum Reichsgesetze über die Jesuiten und bemühte sich noch vor Kurzem, das Neichsgesetz über die Civilehe zu fördern. An König Ludwig's deutschem Sinne konnte nach dem Juli 1870 nicht mehr gezweifelt werden; als die Hauptfrage erscheint nur die, inwieweit die Bevölkerung Baierns, partikulare Rücksichten hintanstellend, in der Hinnei¬ gung zum Reiche fortgeschritten ist. Der gemeinsame Kampf gegen Frankreich hatte die Augen geöffnet für die ersprießlichen Verhältnisse des Reichs. Ein' entscheidender, nachhaltiger Umschwung war damit noch nicht eingetreten, aber die Frage war in große Gährung gekommen. Wie sehr, das beginnt sich anläßlich der bevorstehenden Neuwahlen zur Abgeordnetenkammer und in der Entwicklung derjenigen Partei zu zeigen, deren Einfluß bisher maßgebend war. Die Abgeordnetenkammer des am 18. d. M. zum letzten Male zusammen¬ getretenen Landtags wurde bereits am 25, November 1869 gewählt. Wie haben sich die hierbei maßgebend gewesenen Verhältnisse in den 3 Jahren geändert! Wenn damals von 134 Mandaten 83 an Mitglieder der sog. Pa- triotenpartei vergeben wurden, so war die Meinung bestimmend, daß es vor Allem darauf ankomme, einem Umsichgreifen des „preußischen Einheitsstaats"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/365>, abgerufen am 23.07.2024.