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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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aussetzung ist, daß Berlin in 10 bis 12 Stadtkreise, jeder mit einem Bürger¬
meister anstatt des Landraths, mit Kreisausschuß und Kreisversammlung, zer¬
legt wird; daß in diese Stadtkreise die in der Continuität der städtischen An¬
lagen befindlichen Nachbarorte Berlins einbezogen werden; daß die Provinz
Berlin nicht blos Charlottenburg sondern Spandau, Potsdam u. s. w. um¬
faßt, daß also außer den berlinischen Stadtkreisen, verschiedene andere Stadt¬
kreise in der Provinz vorkommen, neben welchen beiden Arten von Stadtkrei¬
sen dann wirkliche Landkreise stehen, aufgebaut aus den wirklichen Elementen
der ländlichen Kreiscorporation. Der jetzige Organismus der städtischen Ver¬
waltung Berlins muß ganz beseitigt werden. Die Provinz Berlin muß. wie
alle anderen, ihren Oberpräsidenten erhalten und in den berlinischen Stadt¬
kreisen muß der Dualismus königlicher und städtischer Behörden verschwinden,
der jetzt die Verwaltung Berlins so schwierig und unerquicklich macht. Die
Bürgermeister der Stadtkreise müssen die Polizeiverwaltung unter dem Ober¬
präsidenten führen, dafür müßten sie dann allerdings vom König ernannt
werden.

Solche Gedanken würden für jetzt noch auf vielseitigen Widerspruch
stoßen. Aber entweder sollte man, wenn man diesen Widerspruch scheut, jetzt
noch gar nicht reformiren, oder man sollte den Landtag in einer Session von
der ganzen Verwaltungsreform nur ein solches Stück vorlegen, wie die Orga¬
nisation Berlins, um für alle Theile die Zeit zu gewinnen, den Kampf nach
allen Regeln durchzufechten. Im Ganzen ziehen wir den Aufschub vor und
hoffen, daß er indireet, freilich mit unerwünschter und lästiger Arbeitsver¬
schwendung, dadurch erreicht wird, daß alle diese unreifen Frühgeburten die
Dauer der Session nicht überleben, für die sie ans Licht gebracht worden.

Wir können auch über das Gesetz zur Ausstattung der Provinzen mit
eignen Fonds nicht viel Gutes sagen. Hier liegt der Fehler weniger in der Aus¬
führung als in dem Grundgedanken selbst. Diesen Grundgedanken verdanken wir
den Hannoveranern, welche sich im Jahr 1868 so entsetzlich wehrten, ihren Landes¬
fonds in den allgemeinen Staatsfonds übergehen zu lassen. Sie setzten durch,
den ersteren als Provinzialfonds zu behalten. Nun hieß es aber: was dem einen
recht, ist dem andern billig. Zunächst wurden den Communalverbänden der
Regierungsbezirke Wiesbaden und Kassel, also den ehemaligen Landen Nassau
und Kurhessen, ähnliche Fonds belassen. Jetzt sollen nun dergleichen den 9
übrigen Provinzen überwiesen werden. Die Sache ist so verstanden, daß jede
Provinz einen Jahreszuschuß oder, wenn man will, eine Jahresrente aus dem
allgemeinen Staatsfonds erhält zur Versorgung provinzieller Anstalten durch
von Provinzwegen bestellte oder mitbestellte Verwaltungsorgane. Die Sache
ist insofern keine erhebliche Neuerung, als die überwiesenen Jahresrenten aus
Geldern bestehen, welche die Centralverwaltung bisher schon für jede Provinz


aussetzung ist, daß Berlin in 10 bis 12 Stadtkreise, jeder mit einem Bürger¬
meister anstatt des Landraths, mit Kreisausschuß und Kreisversammlung, zer¬
legt wird; daß in diese Stadtkreise die in der Continuität der städtischen An¬
lagen befindlichen Nachbarorte Berlins einbezogen werden; daß die Provinz
Berlin nicht blos Charlottenburg sondern Spandau, Potsdam u. s. w. um¬
faßt, daß also außer den berlinischen Stadtkreisen, verschiedene andere Stadt¬
kreise in der Provinz vorkommen, neben welchen beiden Arten von Stadtkrei¬
sen dann wirkliche Landkreise stehen, aufgebaut aus den wirklichen Elementen
der ländlichen Kreiscorporation. Der jetzige Organismus der städtischen Ver¬
waltung Berlins muß ganz beseitigt werden. Die Provinz Berlin muß. wie
alle anderen, ihren Oberpräsidenten erhalten und in den berlinischen Stadt¬
kreisen muß der Dualismus königlicher und städtischer Behörden verschwinden,
der jetzt die Verwaltung Berlins so schwierig und unerquicklich macht. Die
Bürgermeister der Stadtkreise müssen die Polizeiverwaltung unter dem Ober¬
präsidenten führen, dafür müßten sie dann allerdings vom König ernannt
werden.

Solche Gedanken würden für jetzt noch auf vielseitigen Widerspruch
stoßen. Aber entweder sollte man, wenn man diesen Widerspruch scheut, jetzt
noch gar nicht reformiren, oder man sollte den Landtag in einer Session von
der ganzen Verwaltungsreform nur ein solches Stück vorlegen, wie die Orga¬
nisation Berlins, um für alle Theile die Zeit zu gewinnen, den Kampf nach
allen Regeln durchzufechten. Im Ganzen ziehen wir den Aufschub vor und
hoffen, daß er indireet, freilich mit unerwünschter und lästiger Arbeitsver¬
schwendung, dadurch erreicht wird, daß alle diese unreifen Frühgeburten die
Dauer der Session nicht überleben, für die sie ans Licht gebracht worden.

Wir können auch über das Gesetz zur Ausstattung der Provinzen mit
eignen Fonds nicht viel Gutes sagen. Hier liegt der Fehler weniger in der Aus¬
führung als in dem Grundgedanken selbst. Diesen Grundgedanken verdanken wir
den Hannoveranern, welche sich im Jahr 1868 so entsetzlich wehrten, ihren Landes¬
fonds in den allgemeinen Staatsfonds übergehen zu lassen. Sie setzten durch,
den ersteren als Provinzialfonds zu behalten. Nun hieß es aber: was dem einen
recht, ist dem andern billig. Zunächst wurden den Communalverbänden der
Regierungsbezirke Wiesbaden und Kassel, also den ehemaligen Landen Nassau
und Kurhessen, ähnliche Fonds belassen. Jetzt sollen nun dergleichen den 9
übrigen Provinzen überwiesen werden. Die Sache ist so verstanden, daß jede
Provinz einen Jahreszuschuß oder, wenn man will, eine Jahresrente aus dem
allgemeinen Staatsfonds erhält zur Versorgung provinzieller Anstalten durch
von Provinzwegen bestellte oder mitbestellte Verwaltungsorgane. Die Sache
ist insofern keine erhebliche Neuerung, als die überwiesenen Jahresrenten aus
Geldern bestehen, welche die Centralverwaltung bisher schon für jede Provinz


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[0359] aussetzung ist, daß Berlin in 10 bis 12 Stadtkreise, jeder mit einem Bürger¬ meister anstatt des Landraths, mit Kreisausschuß und Kreisversammlung, zer¬ legt wird; daß in diese Stadtkreise die in der Continuität der städtischen An¬ lagen befindlichen Nachbarorte Berlins einbezogen werden; daß die Provinz Berlin nicht blos Charlottenburg sondern Spandau, Potsdam u. s. w. um¬ faßt, daß also außer den berlinischen Stadtkreisen, verschiedene andere Stadt¬ kreise in der Provinz vorkommen, neben welchen beiden Arten von Stadtkrei¬ sen dann wirkliche Landkreise stehen, aufgebaut aus den wirklichen Elementen der ländlichen Kreiscorporation. Der jetzige Organismus der städtischen Ver¬ waltung Berlins muß ganz beseitigt werden. Die Provinz Berlin muß. wie alle anderen, ihren Oberpräsidenten erhalten und in den berlinischen Stadt¬ kreisen muß der Dualismus königlicher und städtischer Behörden verschwinden, der jetzt die Verwaltung Berlins so schwierig und unerquicklich macht. Die Bürgermeister der Stadtkreise müssen die Polizeiverwaltung unter dem Ober¬ präsidenten führen, dafür müßten sie dann allerdings vom König ernannt werden. Solche Gedanken würden für jetzt noch auf vielseitigen Widerspruch stoßen. Aber entweder sollte man, wenn man diesen Widerspruch scheut, jetzt noch gar nicht reformiren, oder man sollte den Landtag in einer Session von der ganzen Verwaltungsreform nur ein solches Stück vorlegen, wie die Orga¬ nisation Berlins, um für alle Theile die Zeit zu gewinnen, den Kampf nach allen Regeln durchzufechten. Im Ganzen ziehen wir den Aufschub vor und hoffen, daß er indireet, freilich mit unerwünschter und lästiger Arbeitsver¬ schwendung, dadurch erreicht wird, daß alle diese unreifen Frühgeburten die Dauer der Session nicht überleben, für die sie ans Licht gebracht worden. Wir können auch über das Gesetz zur Ausstattung der Provinzen mit eignen Fonds nicht viel Gutes sagen. Hier liegt der Fehler weniger in der Aus¬ führung als in dem Grundgedanken selbst. Diesen Grundgedanken verdanken wir den Hannoveranern, welche sich im Jahr 1868 so entsetzlich wehrten, ihren Landes¬ fonds in den allgemeinen Staatsfonds übergehen zu lassen. Sie setzten durch, den ersteren als Provinzialfonds zu behalten. Nun hieß es aber: was dem einen recht, ist dem andern billig. Zunächst wurden den Communalverbänden der Regierungsbezirke Wiesbaden und Kassel, also den ehemaligen Landen Nassau und Kurhessen, ähnliche Fonds belassen. Jetzt sollen nun dergleichen den 9 übrigen Provinzen überwiesen werden. Die Sache ist so verstanden, daß jede Provinz einen Jahreszuschuß oder, wenn man will, eine Jahresrente aus dem allgemeinen Staatsfonds erhält zur Versorgung provinzieller Anstalten durch von Provinzwegen bestellte oder mitbestellte Verwaltungsorgane. Die Sache ist insofern keine erhebliche Neuerung, als die überwiesenen Jahresrenten aus Geldern bestehen, welche die Centralverwaltung bisher schon für jede Provinz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/359>, abgerufen am 23.07.2024.