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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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stehen, über welchen als letzte Instanz das Ober-Verwaltungsgericht für die
ganze Monarchie sich erhebt. -- Diese ganze Verwaltungsreform ist eine Ver¬
höhnung des Satzes: puro verum simxlex. Hier heißt es: vornen multi-
plex. Wir haben schon gesagt, daß wir von der Bezirksverwaltung sammt
ihrem Bezirksausschuß nichts wissen wollen. Wenn demnach die Bezirks-Ver-
waltungsgerichte durch Provinzial-Verwalrungsgerichte zu ersetzen sind, so muß
die Organisation doch noch weiter dadurch vereinfacht werden, daß man wie
beim Kreisausschuß so im Provinzialausschuß die verwaltende und verwal¬
tungsrichterliche Function verbindet.

Gehen wir nun zum zweiten Theil der Discussion über, der sich um die
Bildung einer neu zu errichtenden Provinz Berlin bewegte. Das Gute muß
geschätzt-und anerkannt werden, woher es auch kommt. Diesmal kam es aus
dem Munde des Herrn Eugen Richter. Seine Rede über, bezüglich gegen die
Vorlage zur Errichtung der Provinz Berlin war durchdacht und richtig vom
Anfang bis zum Ende. Auseinandergehen mit ihm würden wir erst bei den
Modalitäten der richtigen Gestaltung, aber nicht bei den Grundsätzen. Seine
Darlegung der Mängel des jetzigen Vorschlags dagegen traf den Nagel auf
den Kopf. Diese Vorlage ist ein rechter Beweis, wie oberflächlich und über¬
eilt diese Neformvorlagen bearbeitet worden sind. Der Vorwurf trifft freilich
nicht die Regierung allein, er trifft ebenso das unverständige Drängen gewisser
Kreise des Abgeordnetenhauses und der liberalen öffentlichen Meinung auf
die ganz unausführbare Beschleunigung des Reformwerks. Allerdings ist es
möglich, bedauernswerthe Ministerialräthe zur Fertigstellung von Vorlagen in
kurzer Zeit zu zwingen. Aber lebensfähige Gedanken kommen dabei nicht
heraus. Solche Gedanken reifen langsam und brauchen ihre Zeit zur gehö-
rigen Vermittelung. Eine Provinz Berlin: das ist einer der nothwendigsten
Gedanken, die es in der preußischen Verwaltungsorganisation geben kann.
Die Hauptsache ist aber, den Gedanken richtig zu verkörpern. Wie erscheint
die Verkörperung in der jetzigen Vorlage? Neben den unförmlichen, in seinen
Leistungen sich immerfort verschlechternden Organismus der städtischen Riesen¬
verwaltung stellt man die Stadt Charlottenburg als Stadtkreis und ein paar
Landkreise, die kein einziges Element für eine ländliche Kreiscorporation be¬
sitzen, und Schweiße daraus eine Provinzialvertretung nebst Provinzialausschuß
zusammen. Um den Zweck zu erreichen, den üblen Einfluß der Berliner Ge¬
meindevertretung zu paralisiren, giebt man den nicht berlinischen Kreisen in
den Provinzialkörvern eine größere Stimmenzahl, als ihnen nach der Bevöl¬
kerung zukommen würde. Das heißt, sich die Sache leicht machen. Wir haben
oben den Tpruch citirt: omnu vvruru Lwii"lLX. Aber man darf den Satz bei
Leibe nicht umkehren und meinen: omnv Limplox vornen. Wir wiederholen:
die Provinz Berlin ist eine unabweisbare Einrichtung. Aber ihre erste Vor-


stehen, über welchen als letzte Instanz das Ober-Verwaltungsgericht für die
ganze Monarchie sich erhebt. — Diese ganze Verwaltungsreform ist eine Ver¬
höhnung des Satzes: puro verum simxlex. Hier heißt es: vornen multi-
plex. Wir haben schon gesagt, daß wir von der Bezirksverwaltung sammt
ihrem Bezirksausschuß nichts wissen wollen. Wenn demnach die Bezirks-Ver-
waltungsgerichte durch Provinzial-Verwalrungsgerichte zu ersetzen sind, so muß
die Organisation doch noch weiter dadurch vereinfacht werden, daß man wie
beim Kreisausschuß so im Provinzialausschuß die verwaltende und verwal¬
tungsrichterliche Function verbindet.

Gehen wir nun zum zweiten Theil der Discussion über, der sich um die
Bildung einer neu zu errichtenden Provinz Berlin bewegte. Das Gute muß
geschätzt-und anerkannt werden, woher es auch kommt. Diesmal kam es aus
dem Munde des Herrn Eugen Richter. Seine Rede über, bezüglich gegen die
Vorlage zur Errichtung der Provinz Berlin war durchdacht und richtig vom
Anfang bis zum Ende. Auseinandergehen mit ihm würden wir erst bei den
Modalitäten der richtigen Gestaltung, aber nicht bei den Grundsätzen. Seine
Darlegung der Mängel des jetzigen Vorschlags dagegen traf den Nagel auf
den Kopf. Diese Vorlage ist ein rechter Beweis, wie oberflächlich und über¬
eilt diese Neformvorlagen bearbeitet worden sind. Der Vorwurf trifft freilich
nicht die Regierung allein, er trifft ebenso das unverständige Drängen gewisser
Kreise des Abgeordnetenhauses und der liberalen öffentlichen Meinung auf
die ganz unausführbare Beschleunigung des Reformwerks. Allerdings ist es
möglich, bedauernswerthe Ministerialräthe zur Fertigstellung von Vorlagen in
kurzer Zeit zu zwingen. Aber lebensfähige Gedanken kommen dabei nicht
heraus. Solche Gedanken reifen langsam und brauchen ihre Zeit zur gehö-
rigen Vermittelung. Eine Provinz Berlin: das ist einer der nothwendigsten
Gedanken, die es in der preußischen Verwaltungsorganisation geben kann.
Die Hauptsache ist aber, den Gedanken richtig zu verkörpern. Wie erscheint
die Verkörperung in der jetzigen Vorlage? Neben den unförmlichen, in seinen
Leistungen sich immerfort verschlechternden Organismus der städtischen Riesen¬
verwaltung stellt man die Stadt Charlottenburg als Stadtkreis und ein paar
Landkreise, die kein einziges Element für eine ländliche Kreiscorporation be¬
sitzen, und Schweiße daraus eine Provinzialvertretung nebst Provinzialausschuß
zusammen. Um den Zweck zu erreichen, den üblen Einfluß der Berliner Ge¬
meindevertretung zu paralisiren, giebt man den nicht berlinischen Kreisen in
den Provinzialkörvern eine größere Stimmenzahl, als ihnen nach der Bevöl¬
kerung zukommen würde. Das heißt, sich die Sache leicht machen. Wir haben
oben den Tpruch citirt: omnu vvruru Lwii»lLX. Aber man darf den Satz bei
Leibe nicht umkehren und meinen: omnv Limplox vornen. Wir wiederholen:
die Provinz Berlin ist eine unabweisbare Einrichtung. Aber ihre erste Vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/358>, abgerufen am 25.08.2024.