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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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(vorzüglich in I, Ur. 25) die Lebensweise und Anschauungen des kleinen Ge¬
werbestandes in meisterhafter Weise abheben. Wie eine gewisse Stagnation,
conservative Anschauungen, zum Theil berechtigte Liebe zum Alten, namentlich
die feindselige Gesinnung gegen die Verderbniß der alten einfachen Sitten der
Neuzeit, neben einer wohlthuenden Anhänglichkeit zum angestammten engern
Vaterlande sich geltend machen, das ist überall in vortrefflicher Weise durch
den Dichter zur Geltung gebracht.

Höchst anziehend sind aber auch die Schilderungen, in denen sich das
Volk über das Niveau des Alltäglichen erhebt, indem es die heimische Sage
historische Facta, und vor allem die deutsche klassische Welt in den Kreis der
Betrachtungen hereinzieht. Rein wissenschaftlich beurtheilt, hat auch darin
Sommer sich ein großes Verdienst erworben, er hat die Sage Rudolstadts
aus dem Volksmunde gerettet, wie z. B. das Jahrmarktswetter, die Träbe-
statt, das Dabermännchen und andere Sagen darthun. Ganz> besonders
kommen wir aber auf die Parodie klassischer Dichtungen zurück, worüber die
Frage aufgeworfen worden ist, ob der Dichter daran Recht gethan habe. Die
Parodie und Travestie, zu der Sommer aus gutem Grunde meist Schiller'sche
Werke herangezogen hat, ist von jeher ein unbestrittenes und viel angebautes
Feld im Gebiete der humoristischen Literatur gewesen. Die großen Meister¬
werke, die Ilias und Aeneis haben sich dieselben gefallen lassen müssen, und
im kleinen Genre sind die besten Gedichte alter und neuer Zeit mit Vorliebe
parodirt worden. Unbekannte Gedichte eignen sich zur Parodie überhaupt
nicht. Der Hauptfactor des Witzes ist ja Contrast. Je idealer und pathe¬
tischer die Vorlage, um so wirksamer ist die humoristische Parodie und deßhalb
sind ganz besonders die Dichtungen Schiller's viel und mannichfach parodirt
worden. Wir theilen nun zwar nicht die Ansicht jenes Recensenten, daß
Schiller selbst über die Parodien gelacht haben würde -- weil er überhaupt
keine Neigung für den Dialect hatte -- aber sicherlich hätte er die Berech¬
tigung dazu nicht abgesprochen, wenn er Sommer's dialectische Versuche vor
sich gehabt hätte.

Auch auf diesem Gebiete hat Sommer vorzügliches geleistet. Der Ring
des Polycrates, die Bürgschaft, vor allem der Handschuh, sind trefflich gelungen
und was uns die Hauptsache für die andere Seite der Betrachtung ist, sie
vervollständigen die Anschauungen des Volks, sie haben culturhistorische Be¬
rechtigung und culturhistorisches Verdienst. --

Ganz besonders hervorzuheben sind Sommer's Naturbetrachtungen, denen
feine und tiefe Beobachtung zu Grunde liegen, die mit wohlthuender Wärme
wiedergegeben sind. Von ihnen sind "der erschte Star" (I. 1.). und "Vorbei"
(II. 21.) unstreitig die gelungensten. Ob man recht thut, schon jetzt diese wie
die Sommer'schen Schöpfungen überhaupt mit denen anderer Volködjchter


(vorzüglich in I, Ur. 25) die Lebensweise und Anschauungen des kleinen Ge¬
werbestandes in meisterhafter Weise abheben. Wie eine gewisse Stagnation,
conservative Anschauungen, zum Theil berechtigte Liebe zum Alten, namentlich
die feindselige Gesinnung gegen die Verderbniß der alten einfachen Sitten der
Neuzeit, neben einer wohlthuenden Anhänglichkeit zum angestammten engern
Vaterlande sich geltend machen, das ist überall in vortrefflicher Weise durch
den Dichter zur Geltung gebracht.

Höchst anziehend sind aber auch die Schilderungen, in denen sich das
Volk über das Niveau des Alltäglichen erhebt, indem es die heimische Sage
historische Facta, und vor allem die deutsche klassische Welt in den Kreis der
Betrachtungen hereinzieht. Rein wissenschaftlich beurtheilt, hat auch darin
Sommer sich ein großes Verdienst erworben, er hat die Sage Rudolstadts
aus dem Volksmunde gerettet, wie z. B. das Jahrmarktswetter, die Träbe-
statt, das Dabermännchen und andere Sagen darthun. Ganz> besonders
kommen wir aber auf die Parodie klassischer Dichtungen zurück, worüber die
Frage aufgeworfen worden ist, ob der Dichter daran Recht gethan habe. Die
Parodie und Travestie, zu der Sommer aus gutem Grunde meist Schiller'sche
Werke herangezogen hat, ist von jeher ein unbestrittenes und viel angebautes
Feld im Gebiete der humoristischen Literatur gewesen. Die großen Meister¬
werke, die Ilias und Aeneis haben sich dieselben gefallen lassen müssen, und
im kleinen Genre sind die besten Gedichte alter und neuer Zeit mit Vorliebe
parodirt worden. Unbekannte Gedichte eignen sich zur Parodie überhaupt
nicht. Der Hauptfactor des Witzes ist ja Contrast. Je idealer und pathe¬
tischer die Vorlage, um so wirksamer ist die humoristische Parodie und deßhalb
sind ganz besonders die Dichtungen Schiller's viel und mannichfach parodirt
worden. Wir theilen nun zwar nicht die Ansicht jenes Recensenten, daß
Schiller selbst über die Parodien gelacht haben würde — weil er überhaupt
keine Neigung für den Dialect hatte — aber sicherlich hätte er die Berech¬
tigung dazu nicht abgesprochen, wenn er Sommer's dialectische Versuche vor
sich gehabt hätte.

Auch auf diesem Gebiete hat Sommer vorzügliches geleistet. Der Ring
des Polycrates, die Bürgschaft, vor allem der Handschuh, sind trefflich gelungen
und was uns die Hauptsache für die andere Seite der Betrachtung ist, sie
vervollständigen die Anschauungen des Volks, sie haben culturhistorische Be¬
rechtigung und culturhistorisches Verdienst. —

Ganz besonders hervorzuheben sind Sommer's Naturbetrachtungen, denen
feine und tiefe Beobachtung zu Grunde liegen, die mit wohlthuender Wärme
wiedergegeben sind. Von ihnen sind „der erschte Star" (I. 1.). und „Vorbei"
(II. 21.) unstreitig die gelungensten. Ob man recht thut, schon jetzt diese wie
die Sommer'schen Schöpfungen überhaupt mit denen anderer Volködjchter


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[0351] (vorzüglich in I, Ur. 25) die Lebensweise und Anschauungen des kleinen Ge¬ werbestandes in meisterhafter Weise abheben. Wie eine gewisse Stagnation, conservative Anschauungen, zum Theil berechtigte Liebe zum Alten, namentlich die feindselige Gesinnung gegen die Verderbniß der alten einfachen Sitten der Neuzeit, neben einer wohlthuenden Anhänglichkeit zum angestammten engern Vaterlande sich geltend machen, das ist überall in vortrefflicher Weise durch den Dichter zur Geltung gebracht. Höchst anziehend sind aber auch die Schilderungen, in denen sich das Volk über das Niveau des Alltäglichen erhebt, indem es die heimische Sage historische Facta, und vor allem die deutsche klassische Welt in den Kreis der Betrachtungen hereinzieht. Rein wissenschaftlich beurtheilt, hat auch darin Sommer sich ein großes Verdienst erworben, er hat die Sage Rudolstadts aus dem Volksmunde gerettet, wie z. B. das Jahrmarktswetter, die Träbe- statt, das Dabermännchen und andere Sagen darthun. Ganz> besonders kommen wir aber auf die Parodie klassischer Dichtungen zurück, worüber die Frage aufgeworfen worden ist, ob der Dichter daran Recht gethan habe. Die Parodie und Travestie, zu der Sommer aus gutem Grunde meist Schiller'sche Werke herangezogen hat, ist von jeher ein unbestrittenes und viel angebautes Feld im Gebiete der humoristischen Literatur gewesen. Die großen Meister¬ werke, die Ilias und Aeneis haben sich dieselben gefallen lassen müssen, und im kleinen Genre sind die besten Gedichte alter und neuer Zeit mit Vorliebe parodirt worden. Unbekannte Gedichte eignen sich zur Parodie überhaupt nicht. Der Hauptfactor des Witzes ist ja Contrast. Je idealer und pathe¬ tischer die Vorlage, um so wirksamer ist die humoristische Parodie und deßhalb sind ganz besonders die Dichtungen Schiller's viel und mannichfach parodirt worden. Wir theilen nun zwar nicht die Ansicht jenes Recensenten, daß Schiller selbst über die Parodien gelacht haben würde — weil er überhaupt keine Neigung für den Dialect hatte — aber sicherlich hätte er die Berech¬ tigung dazu nicht abgesprochen, wenn er Sommer's dialectische Versuche vor sich gehabt hätte. Auch auf diesem Gebiete hat Sommer vorzügliches geleistet. Der Ring des Polycrates, die Bürgschaft, vor allem der Handschuh, sind trefflich gelungen und was uns die Hauptsache für die andere Seite der Betrachtung ist, sie vervollständigen die Anschauungen des Volks, sie haben culturhistorische Be¬ rechtigung und culturhistorisches Verdienst. — Ganz besonders hervorzuheben sind Sommer's Naturbetrachtungen, denen feine und tiefe Beobachtung zu Grunde liegen, die mit wohlthuender Wärme wiedergegeben sind. Von ihnen sind „der erschte Star" (I. 1.). und „Vorbei" (II. 21.) unstreitig die gelungensten. Ob man recht thut, schon jetzt diese wie die Sommer'schen Schöpfungen überhaupt mit denen anderer Volködjchter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/351>, abgerufen am 25.08.2024.