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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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wo der geringste Anlaß sich darbietet, so verhält es sich auch mit den von
Sommer beobachteten Volkskreisen. Sehr charakteristisch veranschaulicht uns
dies der Dichter in dem Gedichte (II. No. 13) "Unsere Faste". Eines jagt
so zu sagen das andere und im Grunde läuft Alles auf rein materielle Ge¬
nüsse hinaus, wenn wir vielleicht den Besuch des Theaters abrechnen, das.
wenigstens früher, in der Regel um die Zeit des Rudolstädter Vogelschießens
seinen Anfang nahm. Wir wissen nicht, ob sich bezüglich des Theaters, einer
durch unvorteilhaftes Aussehen bekannten - Breterhütte, das alte Wahr¬
zeichen des theatralischen Volkslebens erhalten hat. Jedenfalls war der geistige
Genuß auf dem vom Volke reich besetzten Platze nicht groß, wenn man be¬
denkt, daß der glückliche Inhaber stehend über das Parterre hinter einem
ziemlich engen Lattenverschlage hervorlugte. Der Rudolstädter, der überhaupt
witzig, bald einen passenden Namen ausfindig zu machen weiß, belegte daher
auch diesen Platz mit dem Namen "Gänsestall", über den Sommer uns jeden¬
falls sehr humoristisch erzählen könnte.

Neben der Abhaltung der Feste, ist noch die charakteristische Gewohnheit,
der Sinn des Volks für den Vogelfang hervorgehoben, der leider so bedeutende
Dimensionen angenommen hat, daß sich auch die besseren Stände dieser Lieb¬
haberei nicht abhold zeigen. Tränken und Vogelheerde sind sehr charaktervolle
Stätten in den Wäldern und angebauten Bergen um Rudolstadt, und wenn
man die Geduld bewundert, mit der das Volk in den unscheinbaren Häuschen
auf das Einfallen der gefiederten Sänger wartet, um dann mit Gier den
Gefangenen den Garaus zu machen, so contrastirt dies mit dem gemüthlichen
und harmlosen Wesen des Volks, dem bei einiger polizeilichen Aufsicht*) wohl
bald ein besserer Geschmack beizubringen wäre. Sommer hat in dem Gedichte:
Offn Vogelharde (II. No. 4.) diese leidige Gewohnheit in einer Weise ge^
schildert, die über alles Lob erhaben ist. Die Darstellung ist zugleich ein ver¬
nichtender Schlag gegen die gierige Unsitte, indem sie durch den Ausgang
des Gedichtes, der die Verschieben des Unternehmens veranschaulicht, verur¬
theilt wird. Ein eigentliches Polemisiren und die besondere Hervorhebung einer
Nutzanwendung finden wir bei Sommer im Ganzen nicht; der Ausgang der
Erzählung deutet die Intentionen des Dichters an, der sich frei von jedem
Moralisiren und pastoralen Ton zeigt.

Das Bild des äußern Lebens ergänzt nun der Dichter, indem er sich noch
in das Charakteristische des Familienlebens vertieft und reiche Schilderungen,
die ein weit über das enge Gebiet hinaus reichendes culturhistorisches Interesse
haben, darbietet. Im Allgemeinen hebt sich uns das Bild der Hausfrau als
einer sorgsamen in den häuslichen Geschäften aufgehenden Mutter ab, die an



D. Red. Und mit Hülfe des deutschen Strafgesetzbuchs.

wo der geringste Anlaß sich darbietet, so verhält es sich auch mit den von
Sommer beobachteten Volkskreisen. Sehr charakteristisch veranschaulicht uns
dies der Dichter in dem Gedichte (II. No. 13) „Unsere Faste". Eines jagt
so zu sagen das andere und im Grunde läuft Alles auf rein materielle Ge¬
nüsse hinaus, wenn wir vielleicht den Besuch des Theaters abrechnen, das.
wenigstens früher, in der Regel um die Zeit des Rudolstädter Vogelschießens
seinen Anfang nahm. Wir wissen nicht, ob sich bezüglich des Theaters, einer
durch unvorteilhaftes Aussehen bekannten - Breterhütte, das alte Wahr¬
zeichen des theatralischen Volkslebens erhalten hat. Jedenfalls war der geistige
Genuß auf dem vom Volke reich besetzten Platze nicht groß, wenn man be¬
denkt, daß der glückliche Inhaber stehend über das Parterre hinter einem
ziemlich engen Lattenverschlage hervorlugte. Der Rudolstädter, der überhaupt
witzig, bald einen passenden Namen ausfindig zu machen weiß, belegte daher
auch diesen Platz mit dem Namen „Gänsestall", über den Sommer uns jeden¬
falls sehr humoristisch erzählen könnte.

Neben der Abhaltung der Feste, ist noch die charakteristische Gewohnheit,
der Sinn des Volks für den Vogelfang hervorgehoben, der leider so bedeutende
Dimensionen angenommen hat, daß sich auch die besseren Stände dieser Lieb¬
haberei nicht abhold zeigen. Tränken und Vogelheerde sind sehr charaktervolle
Stätten in den Wäldern und angebauten Bergen um Rudolstadt, und wenn
man die Geduld bewundert, mit der das Volk in den unscheinbaren Häuschen
auf das Einfallen der gefiederten Sänger wartet, um dann mit Gier den
Gefangenen den Garaus zu machen, so contrastirt dies mit dem gemüthlichen
und harmlosen Wesen des Volks, dem bei einiger polizeilichen Aufsicht*) wohl
bald ein besserer Geschmack beizubringen wäre. Sommer hat in dem Gedichte:
Offn Vogelharde (II. No. 4.) diese leidige Gewohnheit in einer Weise ge^
schildert, die über alles Lob erhaben ist. Die Darstellung ist zugleich ein ver¬
nichtender Schlag gegen die gierige Unsitte, indem sie durch den Ausgang
des Gedichtes, der die Verschieben des Unternehmens veranschaulicht, verur¬
theilt wird. Ein eigentliches Polemisiren und die besondere Hervorhebung einer
Nutzanwendung finden wir bei Sommer im Ganzen nicht; der Ausgang der
Erzählung deutet die Intentionen des Dichters an, der sich frei von jedem
Moralisiren und pastoralen Ton zeigt.

Das Bild des äußern Lebens ergänzt nun der Dichter, indem er sich noch
in das Charakteristische des Familienlebens vertieft und reiche Schilderungen,
die ein weit über das enge Gebiet hinaus reichendes culturhistorisches Interesse
haben, darbietet. Im Allgemeinen hebt sich uns das Bild der Hausfrau als
einer sorgsamen in den häuslichen Geschäften aufgehenden Mutter ab, die an



D. Red. Und mit Hülfe des deutschen Strafgesetzbuchs.
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[0348] wo der geringste Anlaß sich darbietet, so verhält es sich auch mit den von Sommer beobachteten Volkskreisen. Sehr charakteristisch veranschaulicht uns dies der Dichter in dem Gedichte (II. No. 13) „Unsere Faste". Eines jagt so zu sagen das andere und im Grunde läuft Alles auf rein materielle Ge¬ nüsse hinaus, wenn wir vielleicht den Besuch des Theaters abrechnen, das. wenigstens früher, in der Regel um die Zeit des Rudolstädter Vogelschießens seinen Anfang nahm. Wir wissen nicht, ob sich bezüglich des Theaters, einer durch unvorteilhaftes Aussehen bekannten - Breterhütte, das alte Wahr¬ zeichen des theatralischen Volkslebens erhalten hat. Jedenfalls war der geistige Genuß auf dem vom Volke reich besetzten Platze nicht groß, wenn man be¬ denkt, daß der glückliche Inhaber stehend über das Parterre hinter einem ziemlich engen Lattenverschlage hervorlugte. Der Rudolstädter, der überhaupt witzig, bald einen passenden Namen ausfindig zu machen weiß, belegte daher auch diesen Platz mit dem Namen „Gänsestall", über den Sommer uns jeden¬ falls sehr humoristisch erzählen könnte. Neben der Abhaltung der Feste, ist noch die charakteristische Gewohnheit, der Sinn des Volks für den Vogelfang hervorgehoben, der leider so bedeutende Dimensionen angenommen hat, daß sich auch die besseren Stände dieser Lieb¬ haberei nicht abhold zeigen. Tränken und Vogelheerde sind sehr charaktervolle Stätten in den Wäldern und angebauten Bergen um Rudolstadt, und wenn man die Geduld bewundert, mit der das Volk in den unscheinbaren Häuschen auf das Einfallen der gefiederten Sänger wartet, um dann mit Gier den Gefangenen den Garaus zu machen, so contrastirt dies mit dem gemüthlichen und harmlosen Wesen des Volks, dem bei einiger polizeilichen Aufsicht*) wohl bald ein besserer Geschmack beizubringen wäre. Sommer hat in dem Gedichte: Offn Vogelharde (II. No. 4.) diese leidige Gewohnheit in einer Weise ge^ schildert, die über alles Lob erhaben ist. Die Darstellung ist zugleich ein ver¬ nichtender Schlag gegen die gierige Unsitte, indem sie durch den Ausgang des Gedichtes, der die Verschieben des Unternehmens veranschaulicht, verur¬ theilt wird. Ein eigentliches Polemisiren und die besondere Hervorhebung einer Nutzanwendung finden wir bei Sommer im Ganzen nicht; der Ausgang der Erzählung deutet die Intentionen des Dichters an, der sich frei von jedem Moralisiren und pastoralen Ton zeigt. Das Bild des äußern Lebens ergänzt nun der Dichter, indem er sich noch in das Charakteristische des Familienlebens vertieft und reiche Schilderungen, die ein weit über das enge Gebiet hinaus reichendes culturhistorisches Interesse haben, darbietet. Im Allgemeinen hebt sich uns das Bild der Hausfrau als einer sorgsamen in den häuslichen Geschäften aufgehenden Mutter ab, die an D. Red. Und mit Hülfe des deutschen Strafgesetzbuchs.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/348>, abgerufen am 23.07.2024.