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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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liebe Kirche beruhte, steht, wie ein Verehrer dieser Kirche sagen würde, über
wissenschaftlicher Forschung; sie steht jedenfalls, wie wir denselben Gedanken
zu formuliren vorziehen, außerhalb des wissenschaftlichen Denkens. Eine
Reformation der Kirche durch die Aufklärung humanistischer Wissenschaft, wie
sie Erasmus sich vorgesetzt hatte, läuft auf die Alternative heraus: sie wird
entweder die Kirche, die sie reformiren will, auslösen und zersprengen oder
sie wird bei äußerlicher Anbequemung an kirchliche Formen und Gebräuche
zu einer philosophischen, der äußeren Kirche entfremdeten Religiosität hinleiten.
Das aber ist ein Ergebniß, dessen Berechtigung für Persönlichkeiten wie Eras¬
mus ich weit entfernt bin zu bestreiten, das auf Allgemeingültigkeit nichts
destoweniger wohl kaum einen Anspruch erheben kann.

Nein, wenn es galt die mittelalterliche Kirche zu erneuern und von ihren
Schäden zu heilen, ohne die überlieferten Grundsätze und Grundlagen dieser
Kirche zu verlassen, dann war es wohl kaum gerathen, einen andern Weg
der Kirchenreformation einzuschlagen, als denjenigen, den die spanische Lan¬
deskirche betreten: d. h. volle und rückhaltlose Rückkehr ins Mittelalter, viel¬
leicht mit einer gewissen Beschränkung der päpstlichen Befugnisse gegenüber
der landeskirchlichen Stellung.

Wäre es ein Heil für die Menschheit gewesen, wenn allenthalben diese
spanische Methode angewendet und unter Spaniens Führung eine allgemeine
Erneuerung der, mittelalterlichen Papstkirche ausgeführt worden?

Diese Frage wird der Historiker nicht vom Standpunkt einer kirchlichen
Partei erwägen dürfen; er wird nicht ohne weiteres die protestantische Theorie
zu der seinen machen; ihm wird vielmehr die vergleichende Betrachtung der
allgemeingeschichtlichen Entwicklung die Antwort an die Hand geben; und
diese Antwort wird auch Niemandem zweifelhaft 'oder dunkel bleiben können.

Ein einziger Blick auf das, was die spanische Nation im Vergleiche
mit den anderen Völkern der Neuzeit erlebt und erlitten, seit sie im Beginn
der Neuzeit mit ganzer Seele dem Mittelalter sich hingegeben hat, -- schon
die oberflächlichste Parallele wird das Loos der Spanier für kein Volk und
kein Land beneidenswert!) zeigen.

An ihren Ergebnissen erkennt man die Natur und die Bedeutung historischer
Richtungen und Tendenzen: durch ihre Ergebnisse hat sich die spanische Kirchen-
reformation als Rückschritt und Hemniß moderner Entwicklung erwiesen.

Erst im Gegensatze zu diesem historischen Ereigniß e> schließt sich die volle
Bedeutung Luther's und das volle Verständniß seiner reformatorischen Ideen-




liebe Kirche beruhte, steht, wie ein Verehrer dieser Kirche sagen würde, über
wissenschaftlicher Forschung; sie steht jedenfalls, wie wir denselben Gedanken
zu formuliren vorziehen, außerhalb des wissenschaftlichen Denkens. Eine
Reformation der Kirche durch die Aufklärung humanistischer Wissenschaft, wie
sie Erasmus sich vorgesetzt hatte, läuft auf die Alternative heraus: sie wird
entweder die Kirche, die sie reformiren will, auslösen und zersprengen oder
sie wird bei äußerlicher Anbequemung an kirchliche Formen und Gebräuche
zu einer philosophischen, der äußeren Kirche entfremdeten Religiosität hinleiten.
Das aber ist ein Ergebniß, dessen Berechtigung für Persönlichkeiten wie Eras¬
mus ich weit entfernt bin zu bestreiten, das auf Allgemeingültigkeit nichts
destoweniger wohl kaum einen Anspruch erheben kann.

Nein, wenn es galt die mittelalterliche Kirche zu erneuern und von ihren
Schäden zu heilen, ohne die überlieferten Grundsätze und Grundlagen dieser
Kirche zu verlassen, dann war es wohl kaum gerathen, einen andern Weg
der Kirchenreformation einzuschlagen, als denjenigen, den die spanische Lan¬
deskirche betreten: d. h. volle und rückhaltlose Rückkehr ins Mittelalter, viel¬
leicht mit einer gewissen Beschränkung der päpstlichen Befugnisse gegenüber
der landeskirchlichen Stellung.

Wäre es ein Heil für die Menschheit gewesen, wenn allenthalben diese
spanische Methode angewendet und unter Spaniens Führung eine allgemeine
Erneuerung der, mittelalterlichen Papstkirche ausgeführt worden?

Diese Frage wird der Historiker nicht vom Standpunkt einer kirchlichen
Partei erwägen dürfen; er wird nicht ohne weiteres die protestantische Theorie
zu der seinen machen; ihm wird vielmehr die vergleichende Betrachtung der
allgemeingeschichtlichen Entwicklung die Antwort an die Hand geben; und
diese Antwort wird auch Niemandem zweifelhaft 'oder dunkel bleiben können.

Ein einziger Blick auf das, was die spanische Nation im Vergleiche
mit den anderen Völkern der Neuzeit erlebt und erlitten, seit sie im Beginn
der Neuzeit mit ganzer Seele dem Mittelalter sich hingegeben hat, — schon
die oberflächlichste Parallele wird das Loos der Spanier für kein Volk und
kein Land beneidenswert!) zeigen.

An ihren Ergebnissen erkennt man die Natur und die Bedeutung historischer
Richtungen und Tendenzen: durch ihre Ergebnisse hat sich die spanische Kirchen-
reformation als Rückschritt und Hemniß moderner Entwicklung erwiesen.

Erst im Gegensatze zu diesem historischen Ereigniß e> schließt sich die volle
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/340>, abgerufen am 23.07.2024.