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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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die Religion beschädigt oder nahezu verloren war. Im innersten Lebenskerne
war die Religiosität der Herzen vernichtet und gestört.

Für derartige Uebelstände hatte man auch damals an vielen Stellen eine
Empfindung: ernste und religiöse Geister verlangten damals eine innere Er¬
neuerung der Kirche. Man malte sich aus unsicheren und sehr bestreitbaren
Ueberlieferungen über die christliche Urzeit ein Idealbild aus von einer sitt¬
lichen Reinheit und Hoheit und Einfachheit des priesterlichen Wesens, an dem
gemessen der damalige Zustand des Clerus in den schlimmsten Farben erschei¬
nen mußte. Man tadelte die ganze aus der geschichtlichen Entwicklung ent¬
standene Beschäftigung der Geistlichen mit weltlichen Dingen als eine Ent¬
artung : man verlangte den Geistlichen allein mit geistlichen Geschäften beauf¬
tragt zu sehen. Man sprach vielfach die Ansicht aus, daß grade durch die
Concentration der Pfründenvergabung in Rom eine Verschlechterung des Clerus
veranlaßt sei. Und die Haltung Roms erweckte fortwährend neue Angriffe
und neue Beschwerden wider den Verlauf der kirchlichen Dinge.

Wie nun einmal im -15. Jahrhundert sich die Beziehungen der ganzen
Kirche zu ihrem päpstlichen Haupte gestaltet hatten, so mußte jede Modifi¬
kation im Papstthum sich für die ganze Christenheit fühlbar machen. Nach dem
Siege über die Conzile aber war das Papstthum in eine seltsame Phase seiner
.Geschichte eingetreten.

Seit dem 8. Jahrhundert war der Papst auch weltlicher Landesherr gewor¬
den, und in den Jahrhunderten des Mittelalters war der Besitz des Kirchen¬
staates von großer Bedeutung, von unzweifelhaftem Nutzen für den geistlichen
Vater der Kirche gewesen. Nachher hatte dies Verhältniß wiederholte Schwan¬
kungen und Wechsel erlitten; jetzt am Ende des 15. Jahrhunderts erhoben sich
in Italien die bestehenden territorialen Gewalten zu einer staatlicheren Auf¬
fassung ihres Berufes und ihrer Stellung, und auch der geistliche Regent des
Kirchenstaates entwickelte inmitten jenes italienischen Treibens einen neuen
Charakter als weltlicher Fürst. Jene Päpste, die den Familien Borgia, Ro-
vere, Medici, Farnese entstammten, traten auf wie weltliche Herrscher; ihr
Fürstenthum war ihnen die Quelle, aus der sie ihren Familien -- sowohl
den Neffen als den eigenen Söhnen und Enkeln -- Reichthum und Macht
zu verschaffen im Stande waren; ja selbst die in ihre Hand gegebene Vollmacht
über das Seelenheil der gläubigen Menschheit wurde von diesen Stellvertretern
Gottes auf Erden wie ein dynastisches Machtmittel zum Vortheil der päpst¬
lichen Söhne und Töchter und der ganzen Verwandtschaft in allen Linien aus¬
gebeutet. Eine Gallerie interessanterer Päpste hat keine Zeit auszuweisen als
grade jene Periode von 1480 etwa bis 1560; in vielen Beziehungen fordern
sie unsere höchste Bewunderung heraus, nur wird auch der mildeste Richter


die Religion beschädigt oder nahezu verloren war. Im innersten Lebenskerne
war die Religiosität der Herzen vernichtet und gestört.

Für derartige Uebelstände hatte man auch damals an vielen Stellen eine
Empfindung: ernste und religiöse Geister verlangten damals eine innere Er¬
neuerung der Kirche. Man malte sich aus unsicheren und sehr bestreitbaren
Ueberlieferungen über die christliche Urzeit ein Idealbild aus von einer sitt¬
lichen Reinheit und Hoheit und Einfachheit des priesterlichen Wesens, an dem
gemessen der damalige Zustand des Clerus in den schlimmsten Farben erschei¬
nen mußte. Man tadelte die ganze aus der geschichtlichen Entwicklung ent¬
standene Beschäftigung der Geistlichen mit weltlichen Dingen als eine Ent¬
artung : man verlangte den Geistlichen allein mit geistlichen Geschäften beauf¬
tragt zu sehen. Man sprach vielfach die Ansicht aus, daß grade durch die
Concentration der Pfründenvergabung in Rom eine Verschlechterung des Clerus
veranlaßt sei. Und die Haltung Roms erweckte fortwährend neue Angriffe
und neue Beschwerden wider den Verlauf der kirchlichen Dinge.

Wie nun einmal im -15. Jahrhundert sich die Beziehungen der ganzen
Kirche zu ihrem päpstlichen Haupte gestaltet hatten, so mußte jede Modifi¬
kation im Papstthum sich für die ganze Christenheit fühlbar machen. Nach dem
Siege über die Conzile aber war das Papstthum in eine seltsame Phase seiner
.Geschichte eingetreten.

Seit dem 8. Jahrhundert war der Papst auch weltlicher Landesherr gewor¬
den, und in den Jahrhunderten des Mittelalters war der Besitz des Kirchen¬
staates von großer Bedeutung, von unzweifelhaftem Nutzen für den geistlichen
Vater der Kirche gewesen. Nachher hatte dies Verhältniß wiederholte Schwan¬
kungen und Wechsel erlitten; jetzt am Ende des 15. Jahrhunderts erhoben sich
in Italien die bestehenden territorialen Gewalten zu einer staatlicheren Auf¬
fassung ihres Berufes und ihrer Stellung, und auch der geistliche Regent des
Kirchenstaates entwickelte inmitten jenes italienischen Treibens einen neuen
Charakter als weltlicher Fürst. Jene Päpste, die den Familien Borgia, Ro-
vere, Medici, Farnese entstammten, traten auf wie weltliche Herrscher; ihr
Fürstenthum war ihnen die Quelle, aus der sie ihren Familien — sowohl
den Neffen als den eigenen Söhnen und Enkeln — Reichthum und Macht
zu verschaffen im Stande waren; ja selbst die in ihre Hand gegebene Vollmacht
über das Seelenheil der gläubigen Menschheit wurde von diesen Stellvertretern
Gottes auf Erden wie ein dynastisches Machtmittel zum Vortheil der päpst¬
lichen Söhne und Töchter und der ganzen Verwandtschaft in allen Linien aus¬
gebeutet. Eine Gallerie interessanterer Päpste hat keine Zeit auszuweisen als
grade jene Periode von 1480 etwa bis 1560; in vielen Beziehungen fordern
sie unsere höchste Bewunderung heraus, nur wird auch der mildeste Richter


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[0335] die Religion beschädigt oder nahezu verloren war. Im innersten Lebenskerne war die Religiosität der Herzen vernichtet und gestört. Für derartige Uebelstände hatte man auch damals an vielen Stellen eine Empfindung: ernste und religiöse Geister verlangten damals eine innere Er¬ neuerung der Kirche. Man malte sich aus unsicheren und sehr bestreitbaren Ueberlieferungen über die christliche Urzeit ein Idealbild aus von einer sitt¬ lichen Reinheit und Hoheit und Einfachheit des priesterlichen Wesens, an dem gemessen der damalige Zustand des Clerus in den schlimmsten Farben erschei¬ nen mußte. Man tadelte die ganze aus der geschichtlichen Entwicklung ent¬ standene Beschäftigung der Geistlichen mit weltlichen Dingen als eine Ent¬ artung : man verlangte den Geistlichen allein mit geistlichen Geschäften beauf¬ tragt zu sehen. Man sprach vielfach die Ansicht aus, daß grade durch die Concentration der Pfründenvergabung in Rom eine Verschlechterung des Clerus veranlaßt sei. Und die Haltung Roms erweckte fortwährend neue Angriffe und neue Beschwerden wider den Verlauf der kirchlichen Dinge. Wie nun einmal im -15. Jahrhundert sich die Beziehungen der ganzen Kirche zu ihrem päpstlichen Haupte gestaltet hatten, so mußte jede Modifi¬ kation im Papstthum sich für die ganze Christenheit fühlbar machen. Nach dem Siege über die Conzile aber war das Papstthum in eine seltsame Phase seiner .Geschichte eingetreten. Seit dem 8. Jahrhundert war der Papst auch weltlicher Landesherr gewor¬ den, und in den Jahrhunderten des Mittelalters war der Besitz des Kirchen¬ staates von großer Bedeutung, von unzweifelhaftem Nutzen für den geistlichen Vater der Kirche gewesen. Nachher hatte dies Verhältniß wiederholte Schwan¬ kungen und Wechsel erlitten; jetzt am Ende des 15. Jahrhunderts erhoben sich in Italien die bestehenden territorialen Gewalten zu einer staatlicheren Auf¬ fassung ihres Berufes und ihrer Stellung, und auch der geistliche Regent des Kirchenstaates entwickelte inmitten jenes italienischen Treibens einen neuen Charakter als weltlicher Fürst. Jene Päpste, die den Familien Borgia, Ro- vere, Medici, Farnese entstammten, traten auf wie weltliche Herrscher; ihr Fürstenthum war ihnen die Quelle, aus der sie ihren Familien — sowohl den Neffen als den eigenen Söhnen und Enkeln — Reichthum und Macht zu verschaffen im Stande waren; ja selbst die in ihre Hand gegebene Vollmacht über das Seelenheil der gläubigen Menschheit wurde von diesen Stellvertretern Gottes auf Erden wie ein dynastisches Machtmittel zum Vortheil der päpst¬ lichen Söhne und Töchter und der ganzen Verwandtschaft in allen Linien aus¬ gebeutet. Eine Gallerie interessanterer Päpste hat keine Zeit auszuweisen als grade jene Periode von 1480 etwa bis 1560; in vielen Beziehungen fordern sie unsere höchste Bewunderung heraus, nur wird auch der mildeste Richter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/335>, abgerufen am 23.07.2024.