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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Die Aufgabe jener Conzile beschränkte sich vielmehr zunächst auf die Her¬
stellung der kirchlichen Einheit aus dem Schisma, -- und dies ist ihnen recht
glücklich gelungen; sodann aber gingen die Conzile aus auf eine Verfassungs¬
änderung der Kirche, eine Einschränkung des päpstlichen Absolutismus: in
diesen Richtungen aber ist ein Erfolg den Conzilen nicht zu Theil geworden;
praktisch mit einiger Beschränkung durch die Mitregierung der weltlichen
Mächte, theoretisch in vollstem mittelalterlichen Umfange hat das Papstthum
seine alte Rechtsstellung neu in Besitz genommen. Nur zu leicht wird es
heute vergessen, daß jener universale Absolutismus des Papstes, 'den neuerdings
das Vatikanische Conzil der staunenden Welt als Dogma verkündigt hat,
schon einmal auf dem 5. Lateraneonzil im Dezember 1S16 mit nachdrücklichsten
Pompe als Glaubensgebot aufgestellt ist.

Der versuchte Widerspruch der Conzile gegen diese, wie ich meine, aus den
Prinzipien der Kirche sehr wohl zu rechtfertigenden Folgesätze war wirkungslos
verhallt: die co n stituti o n el le Theorie war innerhalb der katholischen
Kirche gegen den logischeren Absolutismus des Papstthums unterlegen. Und
von jenen Conzilen waren auch die Prinzipien der Kirche, es waren die Ideen,
aus denen der ganze stolze Bau der mittelalterlichen Kirche als auf seinen
Grundlagen beruhte -- diese Ideen waren damals keineswegs in Frage ge¬
stellt: so lange man aber die Grundsätze der überlieferten christlichen Kirche
nicht neuer Erörterung unterwarf, so lange war es unmöglich, eine wesent¬
liche Aenderung in der päpstlichen Stellung zu schaffen.

Wir fragen: war nun nach Herstellung des alten Zustandes die Mensch¬
heit befriedigt? Nein! weshalb aber verlangte man auch jetzt noch nach einer
"Reformation der Kirche"? und welches sind jetzt noch die Dinge, die schad¬
haft erscheinen und eine Besserung erheischen?

Man erhob Klagen über die gewaltige Unsittlichkeit in der Kirche. Daß
diese Klagen sehr wohl begründete waren, wird Niemand in Abrede stellen
wollen. Die Geistlichen des 14. und 13. Jahrhunderts hatten, im Großen
und Ganzen angesehen, wenig geistlichen Charakter bewahrt. Die päpstliche
Vielregiererei, die päpstliche Befugniß in aller Welt die Geistlichen zu ernennen,
hatte grade zur Verschlechterung des sittlichen und religiösen Charakters der
einzelnen Geistlichen beigetragen. Die Bedeutung dieser Geistlichkeit aber für
das Leben der einzelnen Menschen war immer noch gewachsen; in allen wich¬
tigen Akten des individuellen Lebens spielte der Geistliche eine Rolle, auf Hoch¬
achtung aber seines Charakters durfte der Durchschnitt der damaligen Geist-
lichkeit nicht rechnen. Es hatten sich die Ansprüche und die Formen der offi¬
ziellen Kirchlichkeit ganz gewaltig gesteigert -- nichts destoweniger wird das
historische Urtheil über diese Kirche des ausgehenden Mittelalters berechtigt sein
zu dem Ausspruche: daß unter aller kirchlichen Form und Pracht in der Tiefe


Die Aufgabe jener Conzile beschränkte sich vielmehr zunächst auf die Her¬
stellung der kirchlichen Einheit aus dem Schisma, — und dies ist ihnen recht
glücklich gelungen; sodann aber gingen die Conzile aus auf eine Verfassungs¬
änderung der Kirche, eine Einschränkung des päpstlichen Absolutismus: in
diesen Richtungen aber ist ein Erfolg den Conzilen nicht zu Theil geworden;
praktisch mit einiger Beschränkung durch die Mitregierung der weltlichen
Mächte, theoretisch in vollstem mittelalterlichen Umfange hat das Papstthum
seine alte Rechtsstellung neu in Besitz genommen. Nur zu leicht wird es
heute vergessen, daß jener universale Absolutismus des Papstes, 'den neuerdings
das Vatikanische Conzil der staunenden Welt als Dogma verkündigt hat,
schon einmal auf dem 5. Lateraneonzil im Dezember 1S16 mit nachdrücklichsten
Pompe als Glaubensgebot aufgestellt ist.

Der versuchte Widerspruch der Conzile gegen diese, wie ich meine, aus den
Prinzipien der Kirche sehr wohl zu rechtfertigenden Folgesätze war wirkungslos
verhallt: die co n stituti o n el le Theorie war innerhalb der katholischen
Kirche gegen den logischeren Absolutismus des Papstthums unterlegen. Und
von jenen Conzilen waren auch die Prinzipien der Kirche, es waren die Ideen,
aus denen der ganze stolze Bau der mittelalterlichen Kirche als auf seinen
Grundlagen beruhte — diese Ideen waren damals keineswegs in Frage ge¬
stellt: so lange man aber die Grundsätze der überlieferten christlichen Kirche
nicht neuer Erörterung unterwarf, so lange war es unmöglich, eine wesent¬
liche Aenderung in der päpstlichen Stellung zu schaffen.

Wir fragen: war nun nach Herstellung des alten Zustandes die Mensch¬
heit befriedigt? Nein! weshalb aber verlangte man auch jetzt noch nach einer
„Reformation der Kirche"? und welches sind jetzt noch die Dinge, die schad¬
haft erscheinen und eine Besserung erheischen?

Man erhob Klagen über die gewaltige Unsittlichkeit in der Kirche. Daß
diese Klagen sehr wohl begründete waren, wird Niemand in Abrede stellen
wollen. Die Geistlichen des 14. und 13. Jahrhunderts hatten, im Großen
und Ganzen angesehen, wenig geistlichen Charakter bewahrt. Die päpstliche
Vielregiererei, die päpstliche Befugniß in aller Welt die Geistlichen zu ernennen,
hatte grade zur Verschlechterung des sittlichen und religiösen Charakters der
einzelnen Geistlichen beigetragen. Die Bedeutung dieser Geistlichkeit aber für
das Leben der einzelnen Menschen war immer noch gewachsen; in allen wich¬
tigen Akten des individuellen Lebens spielte der Geistliche eine Rolle, auf Hoch¬
achtung aber seines Charakters durfte der Durchschnitt der damaligen Geist-
lichkeit nicht rechnen. Es hatten sich die Ansprüche und die Formen der offi¬
ziellen Kirchlichkeit ganz gewaltig gesteigert — nichts destoweniger wird das
historische Urtheil über diese Kirche des ausgehenden Mittelalters berechtigt sein
zu dem Ausspruche: daß unter aller kirchlichen Form und Pracht in der Tiefe


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[0334] Die Aufgabe jener Conzile beschränkte sich vielmehr zunächst auf die Her¬ stellung der kirchlichen Einheit aus dem Schisma, — und dies ist ihnen recht glücklich gelungen; sodann aber gingen die Conzile aus auf eine Verfassungs¬ änderung der Kirche, eine Einschränkung des päpstlichen Absolutismus: in diesen Richtungen aber ist ein Erfolg den Conzilen nicht zu Theil geworden; praktisch mit einiger Beschränkung durch die Mitregierung der weltlichen Mächte, theoretisch in vollstem mittelalterlichen Umfange hat das Papstthum seine alte Rechtsstellung neu in Besitz genommen. Nur zu leicht wird es heute vergessen, daß jener universale Absolutismus des Papstes, 'den neuerdings das Vatikanische Conzil der staunenden Welt als Dogma verkündigt hat, schon einmal auf dem 5. Lateraneonzil im Dezember 1S16 mit nachdrücklichsten Pompe als Glaubensgebot aufgestellt ist. Der versuchte Widerspruch der Conzile gegen diese, wie ich meine, aus den Prinzipien der Kirche sehr wohl zu rechtfertigenden Folgesätze war wirkungslos verhallt: die co n stituti o n el le Theorie war innerhalb der katholischen Kirche gegen den logischeren Absolutismus des Papstthums unterlegen. Und von jenen Conzilen waren auch die Prinzipien der Kirche, es waren die Ideen, aus denen der ganze stolze Bau der mittelalterlichen Kirche als auf seinen Grundlagen beruhte — diese Ideen waren damals keineswegs in Frage ge¬ stellt: so lange man aber die Grundsätze der überlieferten christlichen Kirche nicht neuer Erörterung unterwarf, so lange war es unmöglich, eine wesent¬ liche Aenderung in der päpstlichen Stellung zu schaffen. Wir fragen: war nun nach Herstellung des alten Zustandes die Mensch¬ heit befriedigt? Nein! weshalb aber verlangte man auch jetzt noch nach einer „Reformation der Kirche"? und welches sind jetzt noch die Dinge, die schad¬ haft erscheinen und eine Besserung erheischen? Man erhob Klagen über die gewaltige Unsittlichkeit in der Kirche. Daß diese Klagen sehr wohl begründete waren, wird Niemand in Abrede stellen wollen. Die Geistlichen des 14. und 13. Jahrhunderts hatten, im Großen und Ganzen angesehen, wenig geistlichen Charakter bewahrt. Die päpstliche Vielregiererei, die päpstliche Befugniß in aller Welt die Geistlichen zu ernennen, hatte grade zur Verschlechterung des sittlichen und religiösen Charakters der einzelnen Geistlichen beigetragen. Die Bedeutung dieser Geistlichkeit aber für das Leben der einzelnen Menschen war immer noch gewachsen; in allen wich¬ tigen Akten des individuellen Lebens spielte der Geistliche eine Rolle, auf Hoch¬ achtung aber seines Charakters durfte der Durchschnitt der damaligen Geist- lichkeit nicht rechnen. Es hatten sich die Ansprüche und die Formen der offi¬ ziellen Kirchlichkeit ganz gewaltig gesteigert — nichts destoweniger wird das historische Urtheil über diese Kirche des ausgehenden Mittelalters berechtigt sein zu dem Ausspruche: daß unter aller kirchlichen Form und Pracht in der Tiefe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/334>, abgerufen am 23.07.2024.