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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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erhalten, doch standen die Interessen der Schweizer den rheinischen Städten
noch viel ferner als die Schwabens.

An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, ob es denn zu gar keiner
Verbindung oder doch zu Bemühungen darum zwischen den Städten des
Südens und des Nordens gekommen ist; hier war ja im Hansabunde schon
längere Zeit eine machtvolle Vereinigung gegeben, mit der man sich nur zu
verbinden hatte. Eine Coalition des süddeutschen und des norddeutschen
Bundes mußte die gewaltigen Kräfte, die in den Städten lagen, Jedermann
sichtbar und greifbar machen, den König und die Fürsten zwingen, das deutsche
Bürgerthum als berechtigten politischen Factor anzuerkennen und ihm Raum
zu gewähren. Aber die zeitlichen Quellen schweigen durchaus darüber, und
Man hüte sich dringend, Ideen, mit denen wir jetzt zu rechnen gelernt haben,
in das 14. Jahrhundert hineinzutragen. Nicht Principien- sondern Interessen-
Politik wurde getrieben, das gilt ganz besonders, von den Hansestädten, die
für ihre Interessen vom Reiche wenig Schutz erwarten konnten und sich des¬
selben zu entschlagen gelernt hatten. Ist sonach nicht einmal von Solidarität
der Interessen zwischen dem hanseatischen und schwäbischen Bunde die Rede,
so noch viel weniger von gemeinschaftlichen politischen Plänen, überhaupt
weder von Anknüpfung noch von Verbindung.

Ausführlich schildert unser Buch, wie sich der König und die Fürsten zu
diesen Bewegungen im Kreise der Städte verhalten, wie sie ihre Interessen
dagegen wahren, Bund mit Gegenbund erwidern, bald listig, bald drohend
den Städten beizukommen suchen, wie trotz aller Anstände. Richtungen, Stall-
ungen und Frieden die Gegensätze unvereinbar und der Appell an das Schwert
unvermeidlich scheint. Auch die Fürsten kämpfen nicht für Principien, sondern
für die Erweiterung, beziehentlich Erhaltung ihrer Macht. Aber sie scheinen
doch den Städten darin überlegen, daß sie ihren Blick öfter auf das Ganze
Achten, umfassende Pläne entwerfen. Schwerlich in der Ehrlichkeit, nur in
der Virtuosität, dem savoir taire; übertreffen sie die Städte. Ihre Macht w.ir
^ Grunde genommen auch schon zu groß und hatte schon zuviel Attribut
d^ Reichsgewalt an sich gebracht, um den Städten viel Hoffnung auf Ge¬
sinnung einer reichsständischen Geltung neben ihnen zu lassen. Auch von
do Fürsten kommen nur die des Südens und Westens in Betracht, Hessen
Und Thüringen spielen schon eine zweite Rolle, der Norden fällt ganz aus.
Das Unerfreulichste ist, daß wir auch hier keiner maßgebenden Persönlichkeit'
segnen, keine tritt in individueller Bedeutung hervor; was aber noch viel
^hr in die Augen fällt, ist die gänzliche Unbedeutendheit des Königs. Nicht
daß er von Anfang an seine Trägheit, Trunksucht und Leidenschaftlichkeit
i^eigt hätte, die später seinen Namen berüchtigt gemacht haben, es hat ihm
'N den ersten Jahren nicht am guten Willen gefehlt, aber er war eben der


erhalten, doch standen die Interessen der Schweizer den rheinischen Städten
noch viel ferner als die Schwabens.

An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, ob es denn zu gar keiner
Verbindung oder doch zu Bemühungen darum zwischen den Städten des
Südens und des Nordens gekommen ist; hier war ja im Hansabunde schon
längere Zeit eine machtvolle Vereinigung gegeben, mit der man sich nur zu
verbinden hatte. Eine Coalition des süddeutschen und des norddeutschen
Bundes mußte die gewaltigen Kräfte, die in den Städten lagen, Jedermann
sichtbar und greifbar machen, den König und die Fürsten zwingen, das deutsche
Bürgerthum als berechtigten politischen Factor anzuerkennen und ihm Raum
zu gewähren. Aber die zeitlichen Quellen schweigen durchaus darüber, und
Man hüte sich dringend, Ideen, mit denen wir jetzt zu rechnen gelernt haben,
in das 14. Jahrhundert hineinzutragen. Nicht Principien- sondern Interessen-
Politik wurde getrieben, das gilt ganz besonders, von den Hansestädten, die
für ihre Interessen vom Reiche wenig Schutz erwarten konnten und sich des¬
selben zu entschlagen gelernt hatten. Ist sonach nicht einmal von Solidarität
der Interessen zwischen dem hanseatischen und schwäbischen Bunde die Rede,
so noch viel weniger von gemeinschaftlichen politischen Plänen, überhaupt
weder von Anknüpfung noch von Verbindung.

Ausführlich schildert unser Buch, wie sich der König und die Fürsten zu
diesen Bewegungen im Kreise der Städte verhalten, wie sie ihre Interessen
dagegen wahren, Bund mit Gegenbund erwidern, bald listig, bald drohend
den Städten beizukommen suchen, wie trotz aller Anstände. Richtungen, Stall-
ungen und Frieden die Gegensätze unvereinbar und der Appell an das Schwert
unvermeidlich scheint. Auch die Fürsten kämpfen nicht für Principien, sondern
für die Erweiterung, beziehentlich Erhaltung ihrer Macht. Aber sie scheinen
doch den Städten darin überlegen, daß sie ihren Blick öfter auf das Ganze
Achten, umfassende Pläne entwerfen. Schwerlich in der Ehrlichkeit, nur in
der Virtuosität, dem savoir taire; übertreffen sie die Städte. Ihre Macht w.ir
^ Grunde genommen auch schon zu groß und hatte schon zuviel Attribut
d^ Reichsgewalt an sich gebracht, um den Städten viel Hoffnung auf Ge¬
sinnung einer reichsständischen Geltung neben ihnen zu lassen. Auch von
do Fürsten kommen nur die des Südens und Westens in Betracht, Hessen
Und Thüringen spielen schon eine zweite Rolle, der Norden fällt ganz aus.
Das Unerfreulichste ist, daß wir auch hier keiner maßgebenden Persönlichkeit'
segnen, keine tritt in individueller Bedeutung hervor; was aber noch viel
^hr in die Augen fällt, ist die gänzliche Unbedeutendheit des Königs. Nicht
daß er von Anfang an seine Trägheit, Trunksucht und Leidenschaftlichkeit
i^eigt hätte, die später seinen Namen berüchtigt gemacht haben, es hat ihm
'N den ersten Jahren nicht am guten Willen gefehlt, aber er war eben der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/319>, abgerufen am 23.07.2024.