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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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herbe Kraft und süße Minne so seltsam mischt, ist in den Rahmen dieser
Landschaft gefaßt. Ekkehard! -- Hier war sein Thurmgemach auf Hohen¬
twiel; wo man hinabsieht über den weiten blauen Bodensee, wohnte Hadwig,
die gelehrte Herzogin von Schwaben. Wie eine hohe Warte, die der Gau
gegen Strom und See hin ausgestellt, liegt jetzt die prächtige Ruine auf dem
Felsen, nahe dahinter, und noch steiler die Ruine Hohenkrähen. Welche
Erinnerungen birgt dieser Fels, es ist ein Denkstein der Erdgeschichte und der
Geschichte unseres Volkes.

Ziemlich am Fuße des Hohentwiel liegt das Städtchen Singen und die
zahlreichen römischen Alterthümer, die man dort gefunden hat, lassen errathen,
daß schon die Legionen des Tiberius sich diesen prächtigen Waffenplatz ersahen.
In dem Maierhof, der am Aufstieg zur Burg gelegen ist, schließt sich den
Fremden ein Führer an, der schweigsam mit klirrenden Schlüsselbund voran¬
geht, an der alten Linde und an der steilen Felswand vorüber, durch deren
graues Gestein bisweilen röthliche Adern ziehn. In einer Viertelstunde haben
wir die eigentliche Beste erreicht, zertrümmerte Bastionen, Graben und Wall
umgeben uns und wenn auch Alles zerfallen ist, so spricht uns doch überall
noch jetzt ein Zug der Stärke an, den weder die Zeit noch der Feind zerstören
konnte. Freilich hat auch mancher von ihr viel Leid erfahren, denn unter den
zahlreichen Zwecken, denen der mächtige Fels im Lauf der Zeiten diente, war
einer, der gar düster klingt. Sie war der Kerker, in welchem Männer wie
der edle Moser schmachteten, den mancher mit grauen Haaren verließ, der ein¬
stens goldenes Gelock hineingetragen.

In der Mitte des XVI, Jahrhunderts kam Hohentwiel an Würtemberg,
dem es noch heute als Enclave in badischem Gebiet zu eigen ist.

Hoch schlugen die Wogen des dreißigjährigen Krieges an seine Mauern,
aber der tapfere Widerhold, dem der Schutz des Platzes anheimgegeben war,
blieb unerschütterlich und erlag weder dem Eisen noch dem Gold der Feinde.
Er hat die Inschrift verdient, die ehedem vor dem zersprengten Hauptportal
des "poster Hauszes" eingemeißelt war:


Der Feind hat's fünfmal zwar geschreckt
Doch hat der Herr zum Schutz erweckt
Den Widerhold, der fünfzehen Jahr
DaSselb' beschützt in Feinde's Gefahr.

Freilich war nicht immer ein Widerhold Gebieter auf dem Hohentwiel
und so unbezwinglich auch die Beste schien, so schlug doch auch ihr die Stunde.
In den Abgrund von Schmach und Noth, der an der Wende unsres Jahr¬
hunderts steht, der Reiche und Dynastien begrub, versank auch der Stern des
Hohentwiel. Wer hat ihn zerstöre? -- dieselbe Hand, die damals durch ganz
Europa die Zerstörung trug, die Soldaten Bonaparte's die 20000 Mann stark


GvciizboKn l. 1875. 39

herbe Kraft und süße Minne so seltsam mischt, ist in den Rahmen dieser
Landschaft gefaßt. Ekkehard! — Hier war sein Thurmgemach auf Hohen¬
twiel; wo man hinabsieht über den weiten blauen Bodensee, wohnte Hadwig,
die gelehrte Herzogin von Schwaben. Wie eine hohe Warte, die der Gau
gegen Strom und See hin ausgestellt, liegt jetzt die prächtige Ruine auf dem
Felsen, nahe dahinter, und noch steiler die Ruine Hohenkrähen. Welche
Erinnerungen birgt dieser Fels, es ist ein Denkstein der Erdgeschichte und der
Geschichte unseres Volkes.

Ziemlich am Fuße des Hohentwiel liegt das Städtchen Singen und die
zahlreichen römischen Alterthümer, die man dort gefunden hat, lassen errathen,
daß schon die Legionen des Tiberius sich diesen prächtigen Waffenplatz ersahen.
In dem Maierhof, der am Aufstieg zur Burg gelegen ist, schließt sich den
Fremden ein Führer an, der schweigsam mit klirrenden Schlüsselbund voran¬
geht, an der alten Linde und an der steilen Felswand vorüber, durch deren
graues Gestein bisweilen röthliche Adern ziehn. In einer Viertelstunde haben
wir die eigentliche Beste erreicht, zertrümmerte Bastionen, Graben und Wall
umgeben uns und wenn auch Alles zerfallen ist, so spricht uns doch überall
noch jetzt ein Zug der Stärke an, den weder die Zeit noch der Feind zerstören
konnte. Freilich hat auch mancher von ihr viel Leid erfahren, denn unter den
zahlreichen Zwecken, denen der mächtige Fels im Lauf der Zeiten diente, war
einer, der gar düster klingt. Sie war der Kerker, in welchem Männer wie
der edle Moser schmachteten, den mancher mit grauen Haaren verließ, der ein¬
stens goldenes Gelock hineingetragen.

In der Mitte des XVI, Jahrhunderts kam Hohentwiel an Würtemberg,
dem es noch heute als Enclave in badischem Gebiet zu eigen ist.

Hoch schlugen die Wogen des dreißigjährigen Krieges an seine Mauern,
aber der tapfere Widerhold, dem der Schutz des Platzes anheimgegeben war,
blieb unerschütterlich und erlag weder dem Eisen noch dem Gold der Feinde.
Er hat die Inschrift verdient, die ehedem vor dem zersprengten Hauptportal
des „poster Hauszes" eingemeißelt war:


Der Feind hat's fünfmal zwar geschreckt
Doch hat der Herr zum Schutz erweckt
Den Widerhold, der fünfzehen Jahr
DaSselb' beschützt in Feinde's Gefahr.

Freilich war nicht immer ein Widerhold Gebieter auf dem Hohentwiel
und so unbezwinglich auch die Beste schien, so schlug doch auch ihr die Stunde.
In den Abgrund von Schmach und Noth, der an der Wende unsres Jahr¬
hunderts steht, der Reiche und Dynastien begrub, versank auch der Stern des
Hohentwiel. Wer hat ihn zerstöre? — dieselbe Hand, die damals durch ganz
Europa die Zerstörung trug, die Soldaten Bonaparte's die 20000 Mann stark


GvciizboKn l. 1875. 39
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[0313] herbe Kraft und süße Minne so seltsam mischt, ist in den Rahmen dieser Landschaft gefaßt. Ekkehard! — Hier war sein Thurmgemach auf Hohen¬ twiel; wo man hinabsieht über den weiten blauen Bodensee, wohnte Hadwig, die gelehrte Herzogin von Schwaben. Wie eine hohe Warte, die der Gau gegen Strom und See hin ausgestellt, liegt jetzt die prächtige Ruine auf dem Felsen, nahe dahinter, und noch steiler die Ruine Hohenkrähen. Welche Erinnerungen birgt dieser Fels, es ist ein Denkstein der Erdgeschichte und der Geschichte unseres Volkes. Ziemlich am Fuße des Hohentwiel liegt das Städtchen Singen und die zahlreichen römischen Alterthümer, die man dort gefunden hat, lassen errathen, daß schon die Legionen des Tiberius sich diesen prächtigen Waffenplatz ersahen. In dem Maierhof, der am Aufstieg zur Burg gelegen ist, schließt sich den Fremden ein Führer an, der schweigsam mit klirrenden Schlüsselbund voran¬ geht, an der alten Linde und an der steilen Felswand vorüber, durch deren graues Gestein bisweilen röthliche Adern ziehn. In einer Viertelstunde haben wir die eigentliche Beste erreicht, zertrümmerte Bastionen, Graben und Wall umgeben uns und wenn auch Alles zerfallen ist, so spricht uns doch überall noch jetzt ein Zug der Stärke an, den weder die Zeit noch der Feind zerstören konnte. Freilich hat auch mancher von ihr viel Leid erfahren, denn unter den zahlreichen Zwecken, denen der mächtige Fels im Lauf der Zeiten diente, war einer, der gar düster klingt. Sie war der Kerker, in welchem Männer wie der edle Moser schmachteten, den mancher mit grauen Haaren verließ, der ein¬ stens goldenes Gelock hineingetragen. In der Mitte des XVI, Jahrhunderts kam Hohentwiel an Würtemberg, dem es noch heute als Enclave in badischem Gebiet zu eigen ist. Hoch schlugen die Wogen des dreißigjährigen Krieges an seine Mauern, aber der tapfere Widerhold, dem der Schutz des Platzes anheimgegeben war, blieb unerschütterlich und erlag weder dem Eisen noch dem Gold der Feinde. Er hat die Inschrift verdient, die ehedem vor dem zersprengten Hauptportal des „poster Hauszes" eingemeißelt war: Der Feind hat's fünfmal zwar geschreckt Doch hat der Herr zum Schutz erweckt Den Widerhold, der fünfzehen Jahr DaSselb' beschützt in Feinde's Gefahr. Freilich war nicht immer ein Widerhold Gebieter auf dem Hohentwiel und so unbezwinglich auch die Beste schien, so schlug doch auch ihr die Stunde. In den Abgrund von Schmach und Noth, der an der Wende unsres Jahr¬ hunderts steht, der Reiche und Dynastien begrub, versank auch der Stern des Hohentwiel. Wer hat ihn zerstöre? — dieselbe Hand, die damals durch ganz Europa die Zerstörung trug, die Soldaten Bonaparte's die 20000 Mann stark GvciizboKn l. 1875. 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/313>, abgerufen am 23.07.2024.